Weiterentwicklung der Wasserrahmenrichtlinie notwendig – Europäische Experten berieten über Risiken für Flüsse

Bereits heute sei abzusehen, dass das Ziel, bis 2015 alle natürlichen Gewässer in einen guten ökologischen Zustand zu versetzen, nicht erreicht werden könne. Aus Sicht der Experten sollten aber nicht die Qualitätsansprüche reduziert, sondern die Instrumente zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie überprüft werden.

Durch die zunehmende Biomasseproduktion rechnen die Forscher auch mit einem wieder zunehmenden Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und damit mit einer steigenden Pestizidbelastung. „Der verstärkte Anbau von Energiepflanzen wird die Gewässer negativ beeinflussen“, fürchtet Dr. Peter von der Ohe vom UFZ. Die Wasserrahmenrichtlinie wird also trotz aller Fortschritte der letzten Jahre auch in Zukunft gebraucht und muss auf die aktuellen Entwicklungen reagieren.

Einen Schwachpunkt der momentanen Richtlinie sehen die Wissenschaftler in der Auswahl der Schadstoffe, die in Flüssen europaweit überwacht werden.

„Diese Prioritätenliste mit derzeit 41 Stoffen ist nicht geeignet, die Auswirkungen von Chemikalien in den Flüssen ausreichend zu erklären“, sagt Dr. Werner Brack, der das EU-Forschungsprojekt MODELKEY leitet, das Schlüsselchemikalien in drei europäischen Modellflüssen untersucht. Diese 41 Chemikalien stellten einen winzigen Ausschnitt der chemischen Belastung dar und seien vielfach Stoffe, die bereits lange gemessen werden, aber zum Teil eine immer geringere Rolle spielten. „Zum Beispiel steht das Insektizid DDT mit auf der Liste, obwohl es in den meisten westlichen Industrieländern bereits in den 1970er Jahren verboten wurde und deshalb nicht mehr benutzt wird.

Aus unserer Sicht wäre es besser, in dieser wichtigen Liste nicht nur prioritäre Stoffe mit entsprechenden Qualitätsstandards festzulegen, sondern auch prioritäre Effekte. Auf diese Weise könnten wir zelltoxische, hormonell wirksame oder erbgutverändernde Stoffe überwachen, ohne sie im vorhinein genau zu kennen. Dies würde die Entdeckung neuer Gefahrenstoffe mit schädlichen Wirkungen erleichtern und die Ressourcen dorthin lenken wo sie wirklich gebraucht werden. Die Behörden könnten damit viel flexibler reagieren.“ Für das Ökosystem entscheidend sei nun einmal nicht die bloße Anwesenheit eines Stoffes, sondern was er verursache.

Giftige Chemikalien sind jedoch nur ein Teil des Problems. Flussökosysteme sind auch vielen anderen Stressfaktoren ausgesetzt, die oft gleichzeitig wirken, wie z.B. bauliche Veränderungen, Sauerstoffmangel durch Überdüngung und eingeschleppte Arten. Durch ihren Fokus auf den ökologischen Zustand statt auf die Betrachtung einzelner Stressfaktoren fördert die Wasserrahmenrichtlinie eine ganzheitliche Betrachtung dieser vielfältig beeinträchtigten Ökosysteme. Diese Stärke kann sich jedoch auch als Schwäche erweisen, wenn Konzepte fehlen, um die Bedeutung und das Zusammenwirken der verschiedenen Stressfaktoren zu bewerten und vorherzusagen. Hier sehen die Wissenschaftler großen Forschungsbedarf für die Zukunft. Dies wurde im Rahmen einer internationalen Konferenz zur Risikobewertung in europäischen Flussgebieten betont, die vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig ausgerichtet wurde. „Die Konferenz hat gezeigt, dass auf vielen Gebieten bessere Bewertungsmethoden zur Verfügung stehen, die nur darauf warten in die Leitlinien zur WRRL integriert zu werden“, findet Dr. Michaela Hein.

Eine wichtige Rolle in vielen europäischen Flussgebieten spielt auch die Beeinträchtigung der Durchgängigkeit der Flüsse und der Struktur von Flussbett und Uferzone. Hier steht die Wasserrahmenrichtlinie im Konflikt mit anderen europäischen Vorgaben. So zielt eine EU-Direktive zur Förderung erneuerbarer Energien darauf ab, die Nutzung von Wasserkraft um 10 bis 20 Prozent zu steigern. Studien aus Skandinavien, wo schon seit einem Jahrhundert Strom aus Wasserkraft gewonnen wird, haben gezeigt, dass diese Art der Stromerzeugung große Folgen für den ökologischen Zustand der Gewässer hat. Besonders betroffen sind die Flachwasserbereiche, da der Wasserspiegel im Jahresverlauf stark schwankt. Das schränkt unter anderem das Wachstum von Wasserpflanzen in diesen Bereichen stark ein, die wiederum Fischen als Laichgelegenheit und für die Nahrungssuche fehlen. Die Frage nach dem ökologischen Zustand ist daher in vielen Fällen nicht nur aus der Sicht des Umweltschutzes interessant, die vielfältigen Güter und Dienstleistungen gesunder Ökosysteme für den Menschen wie die Versorgung mit Nahrung und Trinkwasser oder die Aufrechterhaltung von Nährstoffkreisläufen sind auch von großer wirtschaftlicher Bedeutung.

Weitere fachliche Informationen:
Dr. Werner Brack
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: 0341-235-1531
und
Dr. Michaela Hein
Telefon: 0341-235-1529
http://www.ufz.de/index.php?de=6598
und
Dr. Peter von der Ohe
Telefon: 0341-235-1581
http://www.ufz.de/index.php?en=14838
oder über:
Doris Böhme / Tilo Arnhold
Pressestelle Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: 0341-235-2278
E-mail: presse@ufz.de
Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ wurde 1991 gegründet und beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle/S. und Magdeburg rund 830 Mitarbeiter. Es erforscht die komplexen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt in genutzten und gestörten Landschaften, insbesondere dicht besiedelten städtischen und industriellen Ballungsräumen sowie naturnahen Landschaften. Die Wissenschaftler des UFZ entwickeln Konzepte und Verfahren, die helfen sollen, die natürlichen Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen zu sichern.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit 25.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 15 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2,3 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des großen Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).

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