Wenn der Boden unter den Füßen wankt

Träge wogt der grüne Teppich. Jeder Schritt bringt den weichen Moosboden zum Schwingen. Vorsichtig setzt Jörg Gelbrecht einen Fuß vor den anderen, um nicht im wabernden Untergrund stecken zu bleiben. Luftig in Shorts und zitronengelbem Shirt gekleidet, schreitet der Forscher durchs Moor. Sonnentau, Wollgras und Torfmoos säumen den feuchten Schwamm unter seinen nackten Füßen. Seit neun Uhr ist der Moorkundler vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) mit zwei Mitarbeitern am nördlichen Rand des Spreewaldes unterwegs: Die Gewässerökologen wollen verstehen, was passiert, wenn der Mensch in Moore eingreift.

Erste Station: das Dollgenmoor bei Lübben, einer von Gelbrechts Lieblingsorten. „Schwingmoore gibt es in Deutschland nur noch selten“, sagt er, wippt mit den Knien und die grüne Masse unter ihm wabert sanft. Die kindliche Freude weicht aus seinem Gesicht. „Einst war halb Norddeutschland ein einziges Moor“, sagt Gelbrecht. Genauer gesagt: etwa zehn Prozent. Heute machen Moore weniger als ein Prozent der norddeutschen Landschaften aus. Denn seit dem 19. Jahrhundert griff der Mensch immer stärker in die Natur ein und legte die Feuchtgebiete systematisch trocken. Mit Spaten zogen Torfstecher in die Sümpfe, um die brennbare Erde abzutragen und Häuser zu beheizen. Bauern zogen Gräben, das Wasser floss in Bäche und Flüsse ab. Fortan weideten Kühe auf der Wiese oder Landwirte bestellten den Acker.

Die Bedeutung der Moore geriet in Vergessenheit. „Sie sind jedoch wichtige Speicher“, sagt Gelbrecht. Sie regulieren den Wasserhaushalt eines Gebietes, saugen das Wasser wie ein Schwamm auf. Nicht nur das: Die moortypischen, kohlenstoffreichen Torfschichten, die sich bilden, wenn die Wiese dauerhaft unter Wasser steht, binden organische Substanzen absterbender Pflanzenteile, wie Stickstoff und Phosphor. Moore haben deshalb zugleich die Funktion eines Filters. Sie halten diese Stoffe zurück, die für die Qualität der Gewässer schädlich sein können. Seen mit zu hohen Phosphor- und Stickstoffkonzentration werden von Algen überwuchert und ihre Fische sterben.

Anfang der 1990er Jahre haben Experten die Bedeutung der Moore verstärkt ins Bewusstsein gerufen. Umweltpolitiker in vielen Bundesländern reagierten. Das Land Mecklenburg- Vorpommern startete das weltweit größte Moorschutzprogramm. Auch in Brandenburg erarbeitete das Landesumweltamt ein Konzept zum Landschafts-Wasserhaushalt. Die Idee: trockengelegte Moorlandschaften sollten wieder unter Wasser gesetzt werden. Gelbrecht und sein Team begleiteten die ersten Flutungen in Mecklenburg-Vorpommern. Sie nahmen Wasserproben in den umliegenden Gewässern der frisch entstandenen Feuchtgebiete. „Der Schock war groß“, erinnert sich der Moorexperte. „Wider Erwarten waren die Phosphorkonzentrationen um ein Tausendfaches gestiegen.“

„Uns wurde schnell klar, dass wir viel zu wenig über die chemischen Prozesse in Mooren wissen“, sagt Gelbrecht. In einem fünfjährigen Forschungsprojekt untersuchen die IGB-Forscher nun, was genau passiert, wenn trockengelegte Moorgebiete wieder unter Wasser gesetzt werden. Natürlich wachsende Moore wie das Schwingmoor im Dollgengrund dienen dem Team als Vergleich.

Ortswechsel: Töpchin im Dahme-Spreewald- Seengebiet. Ein muffiger Geruch liegt über der Wiese. Gelbrecht watet mit Gummistiefeln an den Füßen durch den algenreichen Sumpf, ein Nährboden für Moose, Seggen, Binsen und Schilfröhrichte. „Dieses Moor ist ziemlich schlammig, da sind Stiefel ratsam“, sagt der Forscher. Ein Hinweis für den Moorexperten, dass die Gegend einst, vermutlich bis in die 1980er Jahre, trockengelegt war. Denn sinkt der Grundwasserstand ab, wird der Boden besser durchlüftet. Bakterien finden dann genug Sauerstoff, um den Torf zu zersetzen. Als Folge schwinden die Torfschichten, übrig bleibt Schlamm.

„Kammer sechs ist kaputt“, ruft Jörg Gelbrecht, in beiden Händen hält er eine schmale Plexiglasplatte. Mit einem Ruck und etwas Mühe hat er den so genannten Dialysesammler aus dem sumpfigen Moorboden gezogen. Er beherbergt vierzehn kleine, mit einer Kunststoffmembran bespannte Kammern, gefüllt mit Moorwasser der obersten Bodenschichten. In der Zwischenzeit ist im IGB-Bus ein kleines Chemielabor entstanden. Zwischen Reagenzgläsern, Plastikbehältern und Pipetten sitzt dort die Chemielaborantin Antje Lüder. Vorsichtig entnimmt sie mit einer Spritze die Wasserproben, um später im Institut die chemische Zusammensetzung des Bodenwassers zu analysieren.

Das Moor bei Töpchin ist nur einer von 18 Standorten, an denen Gelbrecht und sein Team regelmäßig Moorwasser entnehmen und untersuchen. Auch im Boden haben sie gegraben und den Torf und Schlamm inspiziert. Es zeigte sich, dass es sehr lange dauert, bis in einem vernässten Moor der Torf wieder zu wachsen beginnt. „Vermutlich bildet sich erst nach zwanzig bis dreißig Jahren wieder Torf“, sagt Gelbrecht. Das Moor bei Töpchin wachse erst seit kurzer Zeit wieder. Was aber passierte davor im Moorboden?

Um der Frage auf den Grund zu gehen, fährt der Moorexperte regelmäßig ins Peene-Flusstal in Mecklenburg-Vorpommern. Die landwirtschaftliche Nutzung hat dort tiefe Spuren hinterlassen. Gesäumt ist der Flusslauf von den Orten Demmin bis Anklam nahe der Ostsee mit Polderflächen und Pumpwerken, die Wasser von Äckern und Wiesen fernhalten. Allerdings ist damit nun vielerorts Schluss: Seit 1994 wurden große Teile wieder geflutet, die Bauern für ihr Land entschädigt. Andere Stellen setzte man erst 2004 unter Wasser. Diese Flutungen haben die IGB-Forscher von Anfang an verfolgt. Wie Moore sehen die frisch vernässten Gebiete nicht gerade aus. Die einstigen Kuhweiden haben sich vielmehr in Seen verwandelt, an deren Rändern Schilfgewächse und Sauergräser wuchern. Schwäne ziehen majestätisch ihre Bahnen. Ein stürmischer Wind fegt über die Wasserflächen. Es riecht modrig.

„Auch hier ist kurz nach der Flutung viel Phosphor freigesetzt worden“, sagt Gelbrecht. Die Untersuchungen zeigten, dass sich die Nährstoffe vor allem in der oberen Bodenschicht lösten. Das erklärt der Forscher so: Wird ein Moorgebiet trockengelegt, läuft in den oberen Schichten, die mit Sauerstoff in Berührung kommen, eine chemische Reaktion ab. Der an den Kohlenstoff gebundene Phosphor wird abgespalten. Denn Kohlenstoff oxidiert und wird als CO2 in die Atmosphäre abgegeben. „Moore trockenzulegen ist extrem klimaschädigend“, sagt Gelbrecht. Sie wieder zu fluten, kann in einigen Fällen ungünstig für die Gewässer sein: Der Phosphor liegt in Bindungsformen vor, die leicht aus dem Boden gespült werden können.

Wie dieses Problem eingedämmt werden könnte, weiß der Moorexperte bereits. „Man müsste etwa dreißig Zentimeter des frisch vernässten Bodens abtragen“, sagt Gelbrecht. Er schlägt vor, den Erfolg an einer Beispielfläche zu prüfen und die entstehenden Kosten zu berechnen. Gelbrecht vermutet allerdings schon jetzt, dass die Maßnahme nicht ausreichen wird. „Auf den Seen bildet sich oft nach kurzer Zeit eine breiige Algenschicht“, sagt Gelbrecht. Dort sammle sich nicht nur Phosphor, sondern auch Klimakiller wie Methan und Lachgas würden freigesetzt. Zusammen mit Jürgen Augustin vom Leibniz- Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg will der Moorexperte diese Schicht deshalb genauer unter die Lupe nehmen.

„Bestätigt sich unsere Vermutung, dann müsste zukünftig auch dieser Algenbrei abgetragen werden“, sagt Gelbrecht. Damit ließen sich die Risiken für Klima und Gewässer eindämmen. Was der Mensch einst zerstörte, könne wieder wachsen, hofft der Forscher. Doch Torf wächst langsam. Das federnde Dollgenmoor dürfte für seine siebzig Zentimeter tiefe Torfschicht rund 700 Jahre gebraucht haben. Auf seine Gummistiefel wird Jörg Gelbrecht deshalb nicht verzichten können.

Autorin: Tania Greiner

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Josef Zens Forschungsverbund Berlin e.V.

Weitere Informationen:

http://www.fv-berlin.de

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