"Volkszählung" im Südpolarmeer

Die Auswirkungen des Klimawandels sind bereits spürbar: In den letzten zwölf Jahren brachen Schelfeisflächen von der Größe der Schweiz ab. Und legten damit Bereiche des Meeresbodens frei, die bisher unerforscht waren. Der Lebensraum in der eisigen Tiefsee birgt eine ungeahnte Artenvielfalt.

Bereits 2004 hatte der wissenschaftliche Assistent des Instituts für Zoomorphologie, Zellbiologie und Parasitologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Direktor: Prof. Dr. Heinz Mehlhorn) an einer Expedition zum mittelatlantischen Rücken teilgenommen. Jetzt folgte die Fortsetzung: Im Rahmen des Projektes „Census of Antarctic Marine Life“ (CAML) wird an einer Bestandsaufnahme der Artenvielfalt der Polarregion gearbeitet, „wenn man so will: eine Volkszählung im Lebensraum Antarktis“, so Dr. Sven Klimpel. Die zweieinhalbmonatige Reise des Forscherteams aus 14 Ländern („Expedition ANT XXIII/8“) ist Teil des „Internationalen Polarjahres 2007/08“ gewesen.

Gestartet war die 52-köpfige Wissenschaftlergruppe an Bord des deutschen Forschungseisbrechers „Polarstern“, einem Schiff des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven, vom südafrikanischen Kapstadt aus. Zielhafen: Punta Arenas in Chile. Eine Forschungsreise durch eine der unwirtlichsten Regionen der Erde.

Zweiter Tag auf See, das Schiff kämpfte sich durch ein stürmisches Schlechtwettergebiet. Ergebnis: der Großteil der Forschercrew wurde seekrank, der Arbeitsalltag, das Auspacken der Geräte, das Einrichten der Labore, alles nahm einen sichtlich anderen Lauf als geplant. Dann bei 60 Grad südlicher Breite die ersten Eisberge. Klimpel: „Auf den Eisbergen leben Mengen von Pinguinen, die nutzen sie als Erholungsplätze.“

Je südlicher die Fahrt, desto dicker und geschlossener wurde die Eisdecke. „Von da an musste sich die 'Polarstern' nicht nur als Forschungsschiff sondern auch als zuverlässiger Eisbrecher beweisen“, berichtet Klimpel. Auf dem Eis wurden immer öfter Robben gesichtet, „so genannte 'Krabbenfresser'“, erklärt der Düsseldorfer Wissenschaftler.

Nach 600 Kilometern Fahrt durch die geschlossene Eisdecke dann das erste Etappenziel, die Atka Bucht. Dort liegt die Forschungsstation Neumayer II, benannt nach dem deutschen Polarforscher Georg von Neumayer (1826 bis 1909). Erster Auftrag der „Polarstern“: Transport von Versorgungsnachschub für diesen Außenposten der deutschen Antarktisforschung. Klimpel ist heute noch begeistert: „Solch eine Station am Ende der Welt zu besuchen, das hat schon was! Die Eismassen bewegen sich ständig, die Konstruktion wird zunehmend beschädigt, sie versinkt langsam im Eis. Zur Zeit entsteht deshalb ein Neubau, Neumayer III.“

Für seine eigenen Projekte besuchte der Düsseldorfer Forscher, der von einem seiner Doktoranden Markus W. Busch, und seinem Kollegen Dr. Rüdiger Riehl auf der Expedition begleitet wurde, eine der weltweit größten Kolonien von Kaiserpinguinen. Fotomotive satt. Verendete Tiere wurden gesammelt, später an Bord im Labor seziert und untersucht. Hierbei konnte Klimpel eine neue, bislang unbeschriebene Parasitenart (Fadenwurm) nachweisen und belegen, dass die Hauptnahrung der Pinguine in diesem Gebiet aus Tintenfischen (Cephalopoden) und Krill besteht. „Fest steht jetzt: Die Übertragung der Parasiten auf die Jungtiere geschieht nur über die Nahrung der Elterntiere.“ Ebenfalls ertragreich für Klimpel: Ein Flug mit dem Bordhelikopter zu einer Weddelrobben-Kolonie, wo einzigartige Proben genommen werden konnten.

Nach der Versorgung der Neumayer-Station dann die Fahrt durchs Weddelmeer, entlang am Eisrand. Ziel: das eigentliche Forschungsgebiet, die Antarktische Halbinsel. Klimpel: „Hier begannen die Teams mit den wissenschaftlichen Programmen: die Erforschung der natürlichen Ressourcen – und hier besonders der Fischarten – und des gesamten marinen Lebens in der Antarktis. Beides gehört zum Census of Antarctic Marine Life und ist Teil des Internationalen Polarjahres 2007/2008.“

Dr. Klimpel und seine zwei Düsseldorfer Kollegen waren im Endeffekt höchst zufrieden. Fast überwältigte sie ihre Materialausbeute aus den Fangnetzen. „Erste Untersuchungen an Bord zeigten uns, dass viele Fischarten mit Unmengen von Parasiten infiziert sind, besonders mit dem Walwurm und dem Robbenwurm.“ Klimpel konnte nachwiesen, dass es sich bei diesen Fadenwürmern um so genannte „Sibling Species“ handelt: Parasiten, die morphologisch, also vom Körperbau her, gleich sind, jedoch im Erbgut deutliche Unterschiede aufweisen. Sie nutzen in ihrem Lebenszyklus diverse Krebstiere, zum Beispiel den Krill, Cephalopoda und Fische als Zwischen- bzw. Transportwirte, die den potentiellen Endwirten wie Walen oder Robben als Nahrung dienen. „Anhand der Fadenwürmer in den Fische und der eindeutigen genetischen Identifizierung können wir genau bestimmen, welche Wal- bzw. Robbenarten in dem Gebiet wirklich vorkommen, weil die Parasiten spezifisch für die jeweiligen Endwirte sind“, resümiert Dr. Klimpel. Weitere exakte Daten zur Erfassung eines riesigen Ökosystems, mit einer Fläche von 13,7 Millionen Quadratkilometern, ein Kontinent anderthalb Mal so groß wie Europa, zu mehr als 90 Prozent mit Eis bedeckt.

Nachdem das wissenschaftliche Programm vor den Antarktischen Inseln abgeschlossen war, wurden im Larsen A- und B-Gebiet Proben genommen. Dort führten die Gebirgsketten der Antarktischen Halbinsel und die vorherrschenden Westwinde dazu, dass hier die weltweite atmosphärische Erwärmung extrem ausgeprägt ist. Die Folge: In den vergangenen Jahren, besonders 2002, kollabierten große Teile des Larsen-Gebietes und drifteten als Schollen oder Eisberge davon. Da das Schelfeis abgebrochen ist, sind neue, eisfreie Wasser- und Bodenflächen entstanden. Auch hier entnahmen die Wissenschaftler der „Polarstern“ Probenmaterial. „Das ist für uns besonders wertvoll, weil diese Gebiete zuvor noch nie ökologisch und fischereibiologisch untersucht worden waren“, so Klimpel.

Anhand der Proben, die nun an der Universität Düsseldorf weiter bearbeitet und ausgewertet werden, kann das Forscherteam um Dr. Klimpel eindeutige Aussagen über die Verbreitungsmuster von Organismen und ihren Parasiten sowie deren Besiedlungsstrukturen geben. Ein weiterer Beitrag, um das Ökosystem Antarktis zu verstehen.

Kontakt: Dr. Sven Klimpel, Tel. 0211-81-10521, e-mail: sven.klimpel@uni-duesseldorf.de

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Rolf Willhardt idw

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