Biologische Kettenreaktion bedroht sensibles Ökosystem Ostsee

Mit dem Jahrhundertsommer drohen der Ostsee dramatische Folgen bis hin zum Kollaps ganzer Ökosysteme. Das kränkelnde Brackwassermeer leidet immer noch unter der anhaltenden Intensivlandwirtschaft seiner Anrainerstaaten. Infolge lang andauernder Hitze und Sonneneinstrahlung entwickeln sich vielerorts explosionsartig giftige Blaualgen, die wiederum in einer Art biologischer Kettenreaktion die Ostsee-Fauna bedrohen. Darauf haben die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und die Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere e. V. (GSM) hingewiesen.

Gelbe Algenteppiche schwappen in diesen Tagen an viele Strände. Was für Badegäste unangenehm und mitunter auch gefährlich ist, bedroht die Tierwelt existenziell. Die Ursache sind Cyanobakterien. Sie heißen trotz ihrer grell-gelben Farbe Blaualgen, weil sie giftige Blausäure enthalten und breiten sich unter den derzeit in der Ostsee herrschenden Bedingungen mit rasender Geschwindigkeit aus. „Während Nitrate und Phosphate von Natur aus so genannte Minimumstoffe darstellen, die das Algenwachstum einst begrenzten, sorgen die Düngemittel der modernen Landwirtschaft mit ihrer Massenproduktion für Überdüngung – in fast allen Gewässern“, erläutert die Meeresbiologin und Vorsitzende der GSM Petra Deimer.

Aus Fäden zusammengesetzt, lassen die Blaualgen das Meer zunächst wie eine Nudelsuppe aussehen, ehe Strömung und Wind sie zu ekligen Teppichen zusammentreiben. „Die Ostsee befindet sich in einer Grenzsituation, die in einer ökologischen Katastrophe enden kann“, mahnte bereits 2003 der Hamburger Meeresbiologe Prof. Olaf Giere. Nach dem Zusammenbruch der Blaualgen-Blüte werden die Reste am Boden abgebaut, unter massivem Schwund von Sauerstoff. Die giftigen Substanzen bleiben dem Ökosystem erhalten.

Schon jetzt seien fast alle Tiefenzonen der Ostsee ökologisch tot und könnten wegen des mangelnden Eintrags von frischem, sauerstoffhaltigem Wasser aus der Nordsee kaum noch regenerieren. Die Teppiche aus Blaualgen und abgestorbenem Seegras entziehen dem Meerwasser zusätzlich Sauerstoff. Insofern machen sich Kurverwaltungen, die mit erheblichem Aufwand versuchen, der Seegrasschwemme an den Stränden Herr zu werden, nicht nur um das Wohl ihrer Gäste, sondern auch um das der Ostseefauna verdient. Deimer: „Jede Fuhre Seegras, die vom Strand abgefahren wird und nicht unter weiterer Sauerstoffzehrung im Meer verfault, ist geradezu ein Segen.“

Grün-braune Fadenalgen, die sich ebenfalls heftig vermehren, legen sich wie „Leichentücher“ auf Muschelbänke sowie andere am Boden lebende Tiere und bringen ihnen den Tod durch Ersticken. Die Genesung der kranken Ostsee wird nach Überzeugung der Naturschützer mit jedem Jahr schwerer, die möglichen Folgen für die Tierwelt immer bedrohlicher.

Von Sauerstoffmangel und Massensterben betroffen sind Fische und andere Lebewesen, wie Krebse, Seepocken oder Miesmuscheln, die unter normalen Umständen eine Art „reinigende Filterfunktion“ im Wasser erfüllen. Die Blaualgen, die weltweit in mehr als 2000 Arten auftreten, setzen teilweise während ihres Absterbens Giftstoffe frei, die sogar Wasservögel bedrohen und töten können, die von dem Wasser trinken.

Die Stress-Belastung des Ökosystems Ostsee verstärkt sich regelmäßig durch eine der Algenpest nachfolgende massenhafte Entwicklung von Quallen. Zuletzt war das im Hitzesommer 2003 der Fall. Zu viele Quallen fressen zu viele junge Fische und andere Kleinlebewesen.

„Als 1988 im nördlichen Atlantik eine Algenpest ausbrach, starben nicht nur Fische in Massen, sondern auch viele Delfine“, erinnert Deimer. „Sie hatten vergiftete Fische gefressen. Für den Schweinswal in der Ostsee können vergiftete Fische lebensbedrohlich werden“.

DUH-Bundesgeschäftsführer Jörg Dürr-Pucher forderte, die Bemühungen um eine EU-weite Agrarreform weg von Intensivlandwirtschaft, Massenproduktion und Überdüngung zu verstärken. „Für eine europäische Agrarreform gibt es viele gute Gründe: Algenpest und Quallenplage in der Ostsee ist einer, der viel zu oft verdrängt wird.“

Media Contact

Jörg Dürr-Pucher presseportal

Weitere Informationen:

http://www.duh.de http://www.gsm-ev.de

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