Auswirkungen von Straßen auf die Tierwelt

Internationaler Workshop im Schloss Rauischholzhausen – Fazit: Wissenschaftliche Erkenntnisse finden zu wenig Eingang in politische Entscheidungsprozesse

Die Zahl der wissenschaftlichen Erkenntnisse nimmt stetig zu. Es zeigt sich, dass die Landschaftszerschneidung überwiegend negative Folgen für wildlebende Tierarten hat. Tiere fallen dem Verkehr zum Opfer, Straßen zerstückeln und verkleinern Lebensräume und wirken als Barriere für den Austausch zwischen Populationen, stören durch Lärm und Licht das Brutgeschäft und vermindern den Fortpflanzungserfolg. Die Zerschneidung der Landschaft zählt zu den Hauptursachen für die besorgniserregende Verringerung und den Verlust von Wildtierpopulationen. Nicht zuletzt beeinträchtigen Straßen auch die Lebensqualität des Menschen. Große unzerschnittene Freiflächen, unbeeinträchtigt vom Verkehrslärm, haben eine wichtige Erholungsfunktion. Trotzdem ist das Problem im Bewusstsein der Bevölkerung erst schwach verankert. Die Notwendigkeit von „Entschneidungs“-Programmen hat in Deutschland bisher nur in Ansätzen Eingang in die politische Agenda gefunden.

Internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutierten in der vergangenen Woche (am 2. und 3. November 2005) auf einem Workshop zum Thema „Auswirkungen von Straßen auf Tierpopulationen“ den Forschungsbedarf, um die langfristigen Folgen und die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen besser beurteilen zu können. Elf Referenten und rund 30 Gäste aus Kanada, Neuseeland, Australien, Schweden, Tschechien, den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland gingen den Ursachen des Problems auf die Spur und entwickelten Lösungsansätze.

Als ein Hauptgrund für den mangelhaften Eingang wissenschaftlicher Erkenntnisse in politische Entscheidungsprozesse wurde genannt, dass wichtige Fragen immer noch unbeantwortet seien. Wenn Störungseffekte einer Straße nachgewiesen werden, könne nur schwer mit Maß und Zahl belegt werden, welchen Effekt dies auf die langfristige Überlebensfähigkeit einer Population haben werde. Das räumliche Ausmaß der Effekte von Straßennetzen sei groß, zudem reagieren zahlreiche Tierarten auf Neubauten und Verkehrszunahme mit einer Zeitverzögerung, die das Untersuchen der Auswirkungen erschwert.

Fazit der Experten: Um Erkenntnislücken zu schließen, sind großflächige Langzeit-Monitoring-Programme nötig, die den Rahmen von einzelnen Diplom- und Dissertationsarbeiten übersteigen. Das von ihnen beklagte Dilemma: Brauchbare Datengrundlagen zur Bestandsentwicklung von Tierpopulationen fehlten in den meisten Fällen. Wenn sich Wissenschaftler mit Modellrechnungen aushelfen, zeige sich der politische Entscheidungsträger meist nicht überzeugt. Für großflächige Forschungsvorhaben, die Erkenntnislücken schließen könnten, fehle jedoch in den meisten Fällen das nötige Geld. Zur besonderen Situation Deutschlands wurde bemängelt, dass trotz der Dringlichkeit eines weiteren Erkenntnisgewinns an keiner deutschen Universität systematisch über Straßenökologie geforscht werde.

Zum internationalen Workshop im Schloss Rauischholzhausen, gemeinsam veranstaltet von der Justus-Liebig-Universität Gießen und der ETH Zürich, gefördert vom Sonderforschungsbereich 299 der Deutschen Forschungsgemeinschaft, begrüßte Prof. Dr. Wolfgang Köhler elf internationale Vortragende.

Prof. Dr. Lenore Fahrig von der kanadischen Carleton University in Ottawa gab einen Überblick darüber, was bisher über die Effekte von Straßen auf Tierpopulationen bekannt ist. Dr. Daniel Rutledge vom Institut Landcare Research in Neuseeland zeigte die rasche Entwicklung von Indizes auf, die Landschaftsfragmentierung messbar machen und potenziell für ein Monitoring nutzbar wären. Prof. Dr. Jeff Houlahan (University of New Brunswick, Kanada) und Prof. Dr. Scott Findlay (Ottawa University, Kanada), Inga Roedenbeck (Justus-Liebig-Universität Gießen), Prof. Dr. Sven Herzog (TU Dresden) und Dr. Andreas Seiler (Swedish University of Agricultural Sciences, Schweden) präsentierten Ergebnisse und methodische Herausforderungen empirischer Untersuchungen.

Dr. Jochen Jaeger (ETH Zürich, Schweiz), Dr. Stephanie Kramer-Schadt und Nina Klar (beide UFZ Leipzig-Halle) stellten Computermodelle vor, die mit Hilfe von Expertenwissen trotz geringer Datengrundlagen zu wichtigen Erkenntnissen führen können. Kersten Hänel (Universität Kassel) präsentierte abschließend das vom Deutschen Jagdverband und vom Bundesamt für Naturschutz entwickelte bundesdeutsche Konzept „Lebensraumkorridore für Mensch und Natur“ – ein erster Schritt zu einer verbesserten Problembearbeitung in Deutschland.

Die aktive Kommunikation zwischen Wissenschaftlern, Planern und Politikern wurde als notwendige Grundlage genannt, um den Eingang der Ergebnisse in Planungsprozesse zu gewährleisten. Edgar van der Grift vom Alterra Institut in Wageningen zeigte beeindruckende Erfolge in den Niederlanden auf. Hier läuft unter breiter politischer Unterstützung bereits seit mehreren Jahren ein landesweit koordiniertes Entschneidungsprogramm – bisher noch eine Zukunftsvision für Deutschland.

Kontakt:

Inga Rödenbeck
Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung II
Heinrich-Buff-Ring 26-32
35392 Gießen
Tel.: 0641/99- 37543
Fax: 0641/99- 37549
E-Mail: Inga.Roedenbeck@agrar.uni-giessen.de

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Charlotte Brückner-Ihl idw

Weitere Informationen:

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