Der Kormoran – die "schwarze Pest" oder ein Beispiel für erfolgreichen Artenschutz?

Europa braucht ein gemeinsames Management für Kormorane, um Naturschutz und Fischereiinteressen unter einen Hut zu bekommen. Eine wirksame Bestandsregulierung könne nur auf europäischer Ebene funktionieren, schreiben Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) im Fachjournal Environmental Conservation.

Dazu schlagen sie einen fünfstufigen Aktionsplan vor, der mit einem Konsens über die tatsächlichen Zahlen der Tiere beginnen und mit einem internationalen Managementplan enden könnte. Momentan scheitere eine gemeinsame Lösung an verschiedenen Interessen der einzelnen Länder und an fehlender Koordination, so die Forscher.

In Nordamerika existiere dagegen seit 2003 ein Managementplan für den Nordamerikanischen Kormoran, obwohl das Problem dort ähnlich komplex sei wie in Europa. Je nach Quelle schwanken die Angaben über die Größe der Population des Kormorans zwischen einer halben und anderthalb Millionen Vögeln in Europa. Der Vorschlag der Forscher für einen neuen Aktionsplan entstand aus 22 Interviews mit Verantwortlichen in mehreren EU-Ländern auf verschiedenen Verwaltungsebenen.

Fischer beschimpfen ihn als „schwarze Pest“, die ihnen die Fische vor der Nase wegfrisst – Tierschützer dagegen feiern die Zunahme der Kormoranbestände als Beleg dafür, dass die Schutzmaßnahmen der letzten Jahrzehnte erfolgreich waren.

Versuche, den Bestand lokal oder regional zu regeln, bringen den Konflikt regelmäßig in die Schlagzeilen, auch weil diese Versuche erfolglos bleiben. Dabei ist schon lange klar, dass der Kormoran (Phalacrocorax carbo) nicht an Ländergrenzen halt macht. Als typischer Zugvogel brütet er im Nord- und Ostseeraum, überwintert aber in der Nähe des Mittelmeeres. Soll der Bestand des Kormorans reguliert werden, um den Konflikt zwischen Fischerei und Naturschutz zu entschärfen, dann betrifft das alle EU-Länder.

Doch die Haltung zum Kormoran ist in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich: Die Niederlande beispielsweise sperren sich komplett gegen Eingriffe. Frankreich dagegen organisiert den Abschuss von 40 000 Tieren pro Jahr. „Bei 25 Mitgliedsstaaten eine Regelung zu finden, mit der alle Staaten zufrieden sind, ist natürlich ziemlich schwierig.

Wenn auch nur einer der Mitgliedsstaaten nicht zustimmt, ist der Plan gescheitert“, beschreibt Vivien Behrens vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) das Dilemma. Die Sozialwissenschaftlerin hatte zusammen mit Kollegen untersucht, weshalb ein gesamteuropäisches Kormoranmanagement so schwierig ist und dazu Interviews mit verschiedensten Entscheidungsträgern geführt.

Aus ihrer Sicht sind die bisherigen Versuche gescheitert, weil ein Hauptverantwortlicher fehlt: „Es ist in Europa ganz klar ein institutionelles Problem: Wer ist überhaupt zuständig – Naturschutzämter, Fischereibehörden oder wer? Es gibt verschiedene Ebenen von regional über national bis international. Aber es gibt keine Stelle, bei der die Fäden zusammenlaufen und die sagen könnte: Wir entwickeln jetzt einen Aktionsplan, mit dem man das Problem regeln könnte.“ Formell wäre das ORNIS-Komitee der Ansprechpartner, aber dort wird das Problem momentan als nicht so dringlich eingestuft. In den Sitzungen, in denen der Ansatz und die Ergebnisse der Forschungsarbeit vorgestellt wurden, gab es jeweils mindestens einen Vertreter eines Landes, das einen Aktionsplan nicht für notwendig hielt. Dr. Felix Rauschmayer vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) berichtet von der Reaktion auf seine Vorträge: „Manche Argumente gegen einen Aktionsplan waren wissenschaftlich nicht haltbar – sie wurden, und das war allen Anwesenden klar, nur als Einwand vorgeschoben.“

Die Konvention für migrierende Tierarten (CMS) hat dagegen klar signalisiert, dass des Bestand des Kormorans zur Zeit ausreichend gesichert ist und deshalb nicht reguliert werden muss, da diese Konvention ihren Schwerpunkt bei stark gefährdete Tierarten sieht.

Die Forscher haben deshalb einen fünfstufigen Aktionsplan entwickelt, der das Kormoranmanagement der EU aus der Sackgasse führen könnte. Zuerst geht es darum, gesicherte Zahlen über den Bestand zu erhalten, da die Angaben je nach Interessenlage variieren. Anschließend würden die regionalen Gegebenheiten verglichen, Nutzen und Kosten von Managementoptionen festgestellt sowie ein Gesamtmodell der Population erarbeitet werden.

Danach müsste eine übergreifende Institution gefunden werden, die letztlich für ein gemeinsames Management verantwortlich wäre. „Diese Schritte müssen nacheinander gegangen werden. Würde man beim dritten Schritt anfangen und dann feststellen, dass über den ersten Schritt kein Konsens herrscht, dann würde alles wieder im Sande verlaufen.“ Ein schwieriger Prozess, der gegenseitiges Vertrauen erfordert, da alle Länder Rechte und Entscheidungsautonomie abgeben müssten.

Dass ein grenzüberschreitendes Kormoran-Management aber möglich ist, zeigt das Beispiel der USA. Dort gibt es eine zentrale Behörde, die dafür zuständig ist: der U.S. Fish and Wildlife Service beim Innenministerium. Das Problem in Nordamerika ist mit dem in Europa vergleichbar: Seit den 70er Jahren haben dort die Populationen des Noramerikanischen Kormorans (Phalacrocorax auritus) zugenommen. Brut- und Überwinterungsgebiete verteilen sich über den ganzen Kontinent und damit über verschiedene Bundesstaaten.

Nach einem intensiven Konsultationsprozess entstand 2003 ein über 200seitiger Managementplan, der jetzt konsequent umgesetzt wird. Dieser sieht mehrere Alternativen vor, die schrittweise aufeinander aufbauen und nur zum Einsatz kommen, wenn die vorige Stufe erfolglos blieb: 1. kein Eingreifen, 2. Vergrämung (jedoch ohne Abschuss), 3. lokale Schadensbegrenzung an kommerziellen Fischteichen, 4. streng überwachte Reduzierung der Ressourcen, 5. Reduzierung von regionalen Populationen und 6. landesweite Freigabe zur Jagd als allerletzte Alternative. Auf diese Weise soll der Bestand in Nordamerika um etwa 160.000 Tiere reduziert werden, was nach Einschätzung des U.S. Fish and Wildlife Service zu keinen deutlichen negativen Folgen für die Population führen wird.

Neben den institutionellen Defiziten in Europa gibt es noch einen weiteren Grund, weshalb die bisherigen Versuche, den Kormoranbestand zu regulieren, wenig gebracht haben. Die Struktur der Kormoranpopulation macht die Regulation des Kormorans schwer: „Ein Teil der Tiere brütet nicht, obwohl sie geschlechtsreif sind, sondern wartet nur auf die Chance, einen freien Nistplatz besetzen zu können und so für Nachwuchs zu sorgen“, erklärt Sten Zeibig vom UFZ, der gerade an einem Modell der Kormoran-Population in Europa arbeitet. „Diese so genannten Floater stellen einen natürlichen Puffer dar und schützen so die Population gegen zu starke Verluste nach Katastrophen. Wenn man nun die brütenden Vögel tötet, dann rücken immer wieder neue nach – solange bis der Puffer aufgebraucht ist, die Population zusammenbricht und so stark vom Aussterben bedroht ist.“

Im Modell rechnete Zeibig verschiedene Szenarien durch und kam zu dem Ergebnis: Am wirksamsten und auch am ökologisch verträglichsten ist es, die Kapazität der Umwelt für brütende Vögel zu verringern, in dem beispielsweise schon abgestorbene Brutbäume gefällt und dadurch neue Nester verhindert werden. Ebenso können kleinere und mittlere Fischteiche mit Netzen überspannt werden. „Damit würde man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Verluste der Fischer könnten reduziert werden und gleichzeitig die Struktur der Population geschützt werden, wodurch der wichtige Puffer erhalten bleiben würde.“ Das derzeit vor allem in Dänemark praktizierte Einölen der Eier schnitt dagegen im Modell weniger gut ab, da es eine hohe Fluktuation in der Population zur Folge hat, was wiederum die Risiken für den Bestand erhöht.

Mit seinem Modell konnte der DBU-Stipendiat Zeibig erste Faustregeln für eine ökologisch verträgliche Regulation des Kormoran-Bestandes aufstellen. Er empfiehlt: die Pufferstruktur des Bestandes erhalten, nur indirekt durch Verringerung der Kapazitäten eingreifen sowie – falls das nicht möglich sein sollte – vorsichtig durch Abschüsse eingreifen, damit die Struktur des Bestandes nicht zerstört wird.

Mehr zum Thema Biodiversität finden Sie in einer Spezialausgabe des UFZ-Newsletters zur 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention zur Biologischen Vielfalt (COP9), die vom 19. bis 30. Mai 2008 in Bonn stattfindet.

http://www.ufz.de/index.php?de=10690

Publikationen:
Behrens, V., Rauschmayer, F., Wittmer, H. (2008):
Managing international 'problem' species: why pan-European cormorant management is so difficult
Environ.Conserv. 35 (1), 55-63
http://dx.doi.org/10.1017/S037689290800444X
Berghöfer, A., Wittmer, H., Rauschmayer, F. (2008):
Stakeholder participation in ecosystem-based approaches to fisheries management: a synthesis from European research projects
Marine Policy 32 (2), 243-253
http://dx.doi.org/10.1016/j.marpol.2007.09.014
Die Untersuchungen wurden von der EU im Rahmen des Forschungsprojektes FRAP sowie von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert.
Weitere fachliche Informationen:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Vivien Behrens
Telefon: 0341-235-1745 (UFZ) oder 0521-106-4656 (Universität Bielefeld)
http://www.ufz.de/index.php?de=7035
und
Dr. Felix Rauschmayer
Telefon: 0341-235- 1656
http://www.ufz.de/index.php?de=1660
und
Sten Zeibig (UFZ/ Universität Osnabrück)
Telefon: 0341-235-1718
oder
Tilo Arnhold (UFZ- Pressestelle)
Telefon: 0341-235-1269
E-mail: presse@ufz.de
Weiterführende Links:
Zur Bedeutung von Puffern für ein effizientes und effektives Management biologischer Bestände unter Unsicherheit – ein ökologisch-ökonomischer Ansatz illustriert am Beispiel des Kormorans (Phalacrocorax carbo sinensis):
https://www.dbu.de/stipendien_20005/796_db.html
http://www.higrade.ufz.de/data/data_intern/13_StenZeibig_UFZDocConf_20088607.pdf
FRAP – Fischwirtschaft und Biodiversitätsschutz: Nachhaltige Schutz- und Nutzungsstrategien am Beispiel von Fischotter, Kormoran und Robben
http://www.ufz.de/index.php?de=1717
http://www.frap-project.ufz.de/
http://www.ufz.de/index.php?de=6715
Kormoran-Management in den USA:
http://www.fws.gov/migratorybirds/issues/cormorant/cormorant.html
U.S. Fish and Wildlife Service: „Final Environmental Impact Statement – Double-crested Cormorant Management in the United States“

http://www.fws.gov/migratorybirds/issues/cormorant/finaleis/CormorantFEIS.pdf

Wetlands International Cormorant Research Group:
http://web.tiscali.it/sv2001/
Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg 900 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit 25.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 15 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2,3 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des großen Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).

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