Aliens in deutschen Flüssen – Belastete Gewässer haben größeres Invasionsrisiko

Die Wollhandkrabbe ist wegen ihrer Grabaktivität eher unbeliebt. © Timm Reinhardt<br>

Dies haben Wissenschaftler des Senckenberg Forschungsinstitutes in Gelnhausen herausgefunden. Die Ausbreitung invasiver Arten hat massive Auswirkungen auf die Artenvielfalt und kann hohe Kosten verursachen. Die zugehörigen Studien sind kürzlich in den Fachmagazinen „Ecology and Evolution“ und „Biological Invasions“ erschienen.

Die Wollhandkrabbe fühlt sich wohl in Deutschland – ursprünglich in Ostchina beheimatet, ist der Flussbewohner als „blinder Passagier“ auf großen Schiffen eingewandert und hat sich in Europa ausgebreitet.

„Invasive Arten wie die Wollhandkrabbe werden in den kommenden Jahren in den Flüssen und Bächen Deutschlands zunehmen“, meint Dr. Stefan Stoll vom Senckenberg Forschungsinstitut in Gelnhausen.

Der Wissenschaftler und sein Team haben fast 1000 Probenorte in Flüssen und Bächen auf das Risiko einer Invasion durch fremde Arten untersucht. „Wir haben herausgefunden, dass insbesondere belastete Gewässer ein erhöhtes Invasionsrisiko haben“, ergänzt Stoll. „Die von uns untersuchten invasiven Arten – Schnecken, Muscheln, Flohkrebse und Asseln – verhalten sich dabei sehr ähnlich.“

Besonders an Orten mit erhöhter Salzbelastung, geringerer Sauerstoffsättigung und erhöhter Temperatur scheinen sich die vier verschiedenen Tiergruppen wohlzufühlen.

Doch warum breiten sich diese Neozoen bevorzugt in den bei der heimischen Fauna unbeliebten Gewässern aus? „Weil sie es können“, sagt der Gelnhäuser Biologe. „Durch die Art ihrer Verschleppung sind die Tiere ein extremes Milieu gewöhnt. Daher werden invasive Arten begünstigt, die diese Bedingungen vertragen.“

Die meisten aquatischen Zuwanderer werden im Ballastwasser großer Schiffe in fremde Gewässer transportiert. In die riesigen Tanks zur Stabilisierung von Schiffen wird wechselnd Süß- und Salzwasser gefüllt, die Temperatur schwankt und der Sauerstoff kann knapp werden. Diese Bedingungen überleben nur besonders stresstolerante Arten unter den blinden Passagieren.

„Die Zunahme des Schiffsfrachtverkehrs wird längerfristig auch zu vermehrten Invasionen führen“, erläutert Stoll. Im viel befahrenen Rhein leben heute bereits allein über 45 Arten wirbelloser Einwanderer. „Heimische Arten haben ein doppeltes Nachsehen: Einerseits durch die Belastung der Gewässer und anderseits durch die Verdrängung durch die Neuankömmlinge.“

Invasive Arten bedrohen die Artenvielfalt, denn meistens sind es die in anderen Regionen häufig vorkommende Arten, welche die Gewässer besiedeln und dabei heimische, seltene Arten verdrängen. „Man kann dabei von einer ‚McDonaldisierung‘ sprechen“, so der Biologe. „Überall gibt es nur noch das gleiche Angebot.“

Und nicht nur aus Biodiversitätsaspekten sind die zugewanderten Wasserbewohner problematisch – sie kosten auch viel Geld. Angefangen bei den von Wollhandkrabben durchlöcherten Deichen über Zebramuscheln, die Filter verstopfen bis zu Grundeln, die als Laichräuber zum Rückgang einheimischer Fischarten und Einbußen in der Fischerei beitragen.

„Die Erkenntnis, dass Gewässerbelastung das Invasionsrisiko erhöht, zeigt uns aber auch im Umkehrschluss, dass eine Reduzierung der Gewässerbelastung und eine Renaturierung von Gewässern Vorsorgemaßnahmen sind, die das Invasionsrisiko senken“, fasst Stoll zusammen.

Kontakt
Dr. Stefan Stoll
Abteilung Fließgewässerökologie und Naturschutzforschung
Tel. 06051 61954-3123
Stefan.Stoll@senckenberg.de

Judith Jördens
Pressestelle
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Tel. 069- 7542 1434
judith.joerdens@senckenberg.de

Publikationen

Denise Früh, Stefan Stoll & Peter Haase (2012): Physico-chemical variables determining the invasion risk of freshwater habitats by alien mollusks and
Crustaceans. Ecology and Evolution 2012; 2(11): 2843–2853 DOI: 10.1002/ece3.382

Denise Früh, Stefan Stoll & Peter Haase (2012): Physicochemical and morphological degradation of stream and river habitats increases invasion risk.
Biological Invasions
2012; Volume 14, Issue 11: 2243-2253 DOI 10.1007/s10530-012-0226-9

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