Wer in wirtschaftlichen Boomjahren heranwächst, verfügt im Alter über eine höhere kognitive Leistung

Zu diesem Ergebnis kommt eine in PLOS ONE veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern der Universitäten Rostock und Mannheim sowie des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).

Untersucht wurden Personen aus zehn europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geboren wurden. Jene Personen, deren Geburt in eine wirtschaftliche Rezessionsphase fiel, haben aktuell einen schlechteren kognitiven Gesundheitsstand.

Für die Gesundheitspolitik wird es zunehmend wichtig zu wissen, welches die bestimmenden Faktoren der kognitiven Leistungsfähigkeit älterer Menschen sind. Einer der Gründe dafür sind die hohen Kosten im Gesundheitswesen, die besonders bei Patienten mit Demenzerkrankungen in den nächsten Jahrzehnten weiter steigen werden. Bisher war die Forschung stark auf Risikofaktoren konzentriert, die im mittleren und späten Erwachsenenleben auftreten und im Alter zu eingeschränkter Kognition und zu Demenzen führen.

„Unsere Forschung geht bis an den Anfang des individuellen Lebenslaufes zurück. Dabei sind wir zur Erkenntnis gelangt, dass bereits die Bedingungen in den ersten Lebensmonaten entscheidenden Einfluss auf die individuelle physische und kognitive Konstitution der Menschen auch in ihrem späteren Leben haben“, sagt Gabriele Doblhammer, Professorin für empirische Sozialforschung und Demographie an der Universität Rostock.

Phasen wirtschaftlicher Rezession und Boomphasen, wie sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert wiederholt auftraten, bieten eine einzigartige Möglichkeit. Denn sie gestatten es, den Einfluss wirtschaftlicher Rahmenbedingungen in der Frühphase eines Individuums, unabhängig von dessen privater wirtschaftlicher Situation und im Vergleich zu dessen kognitiver Leistungsfähigkeit im Alter, zu studieren. „Wir fanden heraus, dass Menschen, die während einer Rezession oder einer wirtschaftlichen Boomphase geboren wurden, eine im Alter signifikant voneinander abweichende kognitive Leistungsfähigkeit aufweisen.

Wer in Boomjahren geboren wurde, verfügt über eine bessere sprachliche Ausdruckskompetenz, besseres Erinnerungsvermögen und generell bessere kognitive Leistungen“, so Doblhammer, die auch für das DZNE tätig ist. Dieser Effekt ist unabhängig von Herz-Kreislauf-Risikofaktoren, wie Fettleibigkeit, Bluthochdruck oder Diabetes, die ebenfalls zu verminderten kognitiven Leistungen führen können und an der Entstehung von Demenzen beteiligt sind.

Die Rostocker Forschungen legen den generellen Schluss nahe, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den ökonomischen Bedingungen, die in den ersten Lebensjahren herrschten, und den kognitiven Fähigkeiten im Alter gibt. Nach Doblhammer gibt es eine Reihe von möglichen Wirkungszusammenhängen: „Wirtschaftliche Rezessionszeiten waren mit schlechterer Ernährung, einem erhöhten Maß an Infektionserkrankungen, aber auch mehr Stress, der sich auf die Eltern-Kind Beziehung auswirken kann, verbunden.“ Heutige Rezessionsphasen haben nicht mehr die Wucht wie zum Beispiel die Weltwirtschaftskrise der späten 1920er Jahre. Inwieweit aber das durchaus vorhandene Stresspotenzial aktueller Rezessionen Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit später im Leben hat, lässt sich wissenschaftlich noch nicht eindeutig bestimmen. Fest steht hingegen, dass die Sozialpolitik den Zusammenhang von wirtschaftlichen Krisensituationen und deren Auswirkungen auf die heranwachsende Generation ernst nehmen muss. Ganz besonders sollten dabei die Bedürfnisse von Frauen mit Kinderwunsch, von Schwangeren und dem Nachwuchs mehr Beachtung finden, um ihnen spezielle Hilfen anbieten zu können. Dies würde helfen, negative Langzeitfolgen hinsichtlich der kognitiven Leistungsfähigkeit der nächsten Generation zu verhindern.

Link zur Studie
http://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0074915
Kontakt
Universität Rostock
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Rostocker Zentrum zur Erforschung des demographischen Wandels
Prof. Dr. Gabriele Doblhammer
Fon: +49 (0)381 498 4393
Mail: gabriele.doblhammer@uni-rostock.de

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Ingrid Rieck Universität Rostock

Weitere Informationen:

http://www.uni-rostock.de

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