Transplantierte neurale Stammzellen verursachen Hirntumoren

„Diese Beobachtung ist ohne Zweifel ein Rückschlag für die Entwicklung zellbasierter Therapien mit neuralen Stammzellen zur Korrektur definierter genetischer Defekte“, beurteilt Prof. Dr. Michael Weller von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) diesen Bericht aus der aktuellen Ausgabe von PLoS Medicine [1].

Allerdings sei die Forderung nach einem generellen Verzicht auf zellbasierte Therapien aufgrund dieses Rückschlags nicht gerechtfertigt, so der Direktor der Neurologischen Klinik am Universitätsspital Zürich weiter.

Vielmehr zeige die Studie, wie wichtig internationale Standardisierungen und Optimierungen dieser Therapieform sind. Mit ihr sind weltweit große Hoffnungen auch bei der Therapie von weit verbreiteten Erkrankungen wie Schlaganfall, Parkinson oder Multiple Sklerose verbunden.

Im vorliegenden Fall war ein damals 9-jähriger Junge mit Ataxia telangiectasia seit Mai 2001 in Moskau mehrmals mit neuralen Stammzellen behandelten worden. Bei der Ataxia telangiectasia handelt es sich um eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die durch ein progredientes zerebelläres Syndrom, meist eine begleitende Immunschwäche und ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Tumorerkrankungen gekennzeichnet ist.

Ursache der Erkrankung ist eine homozygote Mutation des ATM-Gens auf dem Chromosomenabschnitt 11q22-23. Der Gendefekt führt u. a. zu Störungen der DNA-Reparatur und der Zellzykluskontrolle.

Therapieform für weit verbreitete Krankheiten

Neurale Stammzellen, die im Rahmen von Aborten aus menschlichen Feten gewonnen werden, gelten nicht nur als potenziell für die Korrektur vererbter Erkrankungen geeignet, sondern auch als therapeutische Alternative bei häufigeren neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall, Parkinson-Erkrankung oder Multiple Sklerose.

Als ein wesentliches Risiko solcher auf Stammzellen basierender Therapieansätze gilt die Entwicklung von Tumoren aus den transplantierten Stammzellen, deren biologisches Entwicklungspotenzial schwer vorhersagbar und noch unzureichend verstanden ist.

Die Krankengeschichte des jungen Patienten belegt nun endgültig, dass diese Sorgen berechtigt sind. Es zeigten sich 4 Jahre nach Beginn der Injektion neuraler Stammzellen in Gehirn und Liquorraum mehrere, langsam wachsende Tumoren.

Ein operativ entfernter Tumor entsprach am ehesten einem glioneuralen Tumor. Dass das Tumorgewebe des betroffenen Patienten von den transplantierten Zellen, sogar mindestens von zwei „Spendern“ abstammte, wurde durch molekularbiologische Methoden zweifelsfrei belegt: u.a. fanden sich männliche und weibliche Zellen im Tumor, und die Tumorzellen trugen nicht den Gendefekt der Ataxia telangiectasia. Die relative Immunschwäche vieler Patienten mit dieser Erkrankung mag die Tumorentstehung begünstigt haben.

„Diese Beobachtung ist ohne Zweifel ein Rückschlag für die Entwicklung zellbasierter Therapien mit neuralen Stammzellen zur Korrektur definierter genetischer Defekte“, sagt Prof. Dr. Michael Weller, Direktor der Neurologischen Klinik am Universitätsspital Zürich und von 2001 bis 2008 Sprecher der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft (NOA) der Deutschen Krebsgesellschaft.

Dieser Fall zeige, wie dringend erforderlich internationale Bemühungen um eine Standardisierung und Optimierung von Stammzell-Therapien seien. Andererseits müssen aber die ebenfalls erheblichen Nebenwirkungen vieler anderer, derzeit eingesetzter Therapien und der lebensbedrohliche Charakter vieler Erkrankungen beachtet werden. Die Forderung nach einem generellen Verzicht auf zellbasierte Therapien aufgrund solcher Rückschläge erscheine darum nicht gerechtfertigt.

[1] Amariglio, N., Hirshberg, A., Scheithauer, B.W., Cohen, Y., Loewenthal, R., Trakhtenbrot, L., Paz, N., Koren-Michowitz, M., Waldman, D., Leider-Trejo, L., Toren, A., Constantini, S., Rechavi, G. Donor-derived brain tumor following neural stem cell transplantation in an ataxia telangiectasia patient. PLoS Med 6

(2):e1000029.
Im Internet: http://medicine.plosjournals.org/perlserv/?request=get-document&doi=10.1371/journal.pmed.1000029&ct=1
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Prof. Dr. Michael Weller
Neurologische Klinik
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