Studie weckt massive Zweifel an Existenz Dunkler Materie

Die Autoren haben Beobachtungsdaten der Milchstraße und des Andromedanebels mit den Vorhersagen der Theorie verglichen. Dabei sind sie auf fünf schwer zu erklärende Widersprüche gestoßen.

Ihre Ergebnisse erscheinen in der kommenden Ausgabe der Zeitschrift „Astronomy and Astrophysics“ (http://xxx.uni-augsburg.de/abs/1006.1647). Sie haben möglicherweise weit reichende Implikationen: Eventuell müssen sowohl Newtons Gravitationstheorie als auch Einsteins allgemeine Relativitätstheorie modifiziert werden.

Galaxien rotieren so schnell, dass die Sterne in ihnen eigentlich aufgrund der Fliehkraft auseinander getrieben werden müssten. Eine unsichtbare Substanz – die Dunkle Materie – scheint mit ihrer Masseanziehung dafür zu sorgen, dass das nicht passiert. Seit vier Jahrzehnten fahnden Astrophysiker schon nach diesem mysteriösen „Sternenkitt“ – bislang ohne Erfolg. Möglicherweise jagen sie einem Phantom hinterher: Inzwischen bezweifeln manche Forscher, dass die Dunkle Materie überhaupt existiert.

Die neue Studie stärkt diesen Zweiflern den Rücken. „Wir haben untersucht, wie sich die Vorhersagen der Dunklen-Materie-Theorie mit tatsächlichen Beobachtungsdaten decken“, erklärt Professor Dr. Pavel Kroupa. Der Physiker vom Bonner Argelander-Institut für Astronomie untersucht seit Jahren das aus der Not geborene Konstrukt.

Zusammen mit Kollegen aus Österreich, Italien, Frankreich und Australien hat Kroupa die Galaxien vor unserer Haustür unter die Lupe genommen. Zu dieser so genannten „Lokalen Gruppe“ zählen neben der Milchstraße und dem Andromeda-Nebel ungefähr 60 Zwerggalaxien. Die meisten von ihnen umkreisen die großen Galaxien als Satelliten.

Theorie scheint nicht mehr haltbar zu sein

Der Theorie zufolge entstanden nach dem Urknall zunächst Klumpen Dunkler Materie. Diese verschmolzen schließlich zu großen Strukturen, den so genannten Halos. Die Halos zogen aufgrund ihrer Gravitation normale Materie in Form von Gas an sich. Daraus bildeten sich dann die sichtbaren Sterne. Wenn dieses Modell stimmt, sollten die Satellitengalaxien umso heller sein, je mehr Dunkle Materie sie enthalten – einfach deshalb, weil mehr Dunkle Materie mehr sichtbare Materie zu sich heranziehen kann. „In der Praxis finden wir diesen Effekt jedoch nicht“, betont Professor Dr. Klaas S. de Boer vom Argelander-Institut. Auch sollten die Satelliten-Galaxien nach dem Zufallsprinzip um Milchstraße und Andromeda-Nebel verteilt sein. „Sie liegen aber nahe einer Ebene, bilden also eine Art Scheibe – etwa wie die Eis- und Gesteinsbrocken, aus denen die Ringe des Saturn bestehen“, stellt Professor Dr. Duncan A. Forbes von der Swinburne University of Technology in Melbourne, Australien, fest.

Das Team zählt in der Publikation noch drei weitere Punkte auf, in denen die tatsächlichen Gegebenheiten der Theorie zuwiderlaufen. „Jede einzelne dieser Beobachtungen stellt das Dunkle-Materie-Modell vor Probleme“, sagt Kroupa. „Zusammengenommen kollidieren sie so stark mit der Theorie, dass diese nicht mehr zu halten scheint. Wir müssen uns auf die Suche nach Alternativen machen.“

Eine dieser Alternativen ist die Annahme, dass bei galaktischen Dimensionen ein wenig größere Gravitationskräfte wirken, als durch Newtons Gravitationsgesetz vorhergesagt wird. „In diesem Fall würden die fünf Probleme entweder direkt verschwinden oder sich relativ einfach lösen lassen“, betont Professor Kroupa. Der israelische Physiker Professor Dr. Mordehai Milgrom hat bereits in den frühen 80iger Jahren des 20. Jahrhunderts eine entsprechende Theorie vorgeschlagen. Ihre Konsequenz wäre, dass sowohl Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie also auch Newtons Gravitationstheorie angepasst werden müssten. Dafür müsste die Teilchenphysik nicht für eine große Menge Dunkler-Materie-Teilchen aufkommen.

Kroupa wird im Juni auf einer internationalen Konferenz in den USA einen neuen Ansatz zur kosmologischen Theorie vorstellen. In der August-Ausgabe der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“ erscheint zudem ein ausführlicher populärwissenschaftlicher Artikel zu den aktuellen Forschungsergebnissen.

Kontakt:
Professor Dr. Pavel Kroupa
Agelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn
Telefon: 0228/73-6140 oder -3655
Mobil: 0177/9566127
E-Mail: pavel@astro.uni-bonn.de

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Frank Luerweg idw

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