Sprechen nach dem Schlaganfall

Bei dem Rechtshänder sitzt sie links, bei der Linkshänderin sitzt sie (meist) rechts: Wo Sprachproduktion und -verarbeitung im Gehirn stattfinden, ist schon lange kartographiert. Doch so einfach ist es nicht, sagt die Psychologin Professorin Gesa Hartwigsen von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).

In ihrer aktuellen Forschungspublikation in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA (PNAS) hat sie sich damit beschäftigt, welche Bereiche im Gehirn tatsächlich für Sprache zuständig sind und wie sie miteinander interagieren. Ihre Ergebnisse sollen später Schlaganfallbetroffenen zu Gute kommen, bei denen Sprachproduktion oder -verarbeitung gestört sind.

Hören & Sprechen
Um der Fragestellung nachzugehen, haben sich Gesa Hartwigsen und ihr Team zunächst die Sprachproduktion vorgenommen. Dabei arbeiteten sie mit gesunden rechtshändigen Probandinnen und Probanden zusammen, die Worte erst hören und dann nachsprechen sollten. „Das sind dann Kunstworte wie ‚beudo‘. Diese Worte haben im Deutschen keinen Inhalt, deshalb werden beim Hören und Nachsprechen keine Areale im Gehirn aktiviert, die mit dem Bedeutungsgehalt des Gehörten zu tun haben.“

Was bei diesem Test im Gehirn passiert, schließt die Psychologin aus einer Kombination von nicht-invasiven Messmethoden (fMRT: funktionale Magnetresonanztomographie und TMS: Transkranielle Magnetstimulation). „So weisen wir nach, dass die linke Hemisphäre bei der Sprachproduktion wie erwartet aktiviert wird, während die rechte Hemisphäre keinen aktiven Beitrag leistet“, erklärt Hartwigsen den Normalzustand im gesunden Gehirn. Aus diesen und anderen Ergebnissen habe man bisher abgeleitet, dass die rechte Hemisphäre der Sprachproduktion nicht zuträglich sein müsse und deshalb natürlich unterdrückt werde.

Simulieren & Messen
In einem zweiten Test simulierte die Kieler Wissenschaftlerin eine Störung im Gehirn, wie sie von Schlaganfallpatientinnen und -patienten bekannt ist. Mittels einer Magnetfeldspule wird dabei ein Stromimpuls ausgesendet, der die Funktion eines Sprachareals (Broca-Areal) in der linken Hemisphäre stört. Diese völlig ungefährliche Methode beeinflusst rund 30 bis 45 Minuten die Sprachproduktion der Testpersonen. „In diesem Zeitraum wurde das Hören und Nachsprechen erneut gemessen. Während dabei die Gehirnaktivität in der linken Hemisphäre beim Nachsprechen deutlich herabreguliert war und einige Probandinnen und Probanden mehr Zeit zum Nachsprechen brauchten, haben sich unerwartete Regungen in der rechten Hemisphäre gezeigt“, berichtet Hartwigsen.

Die rechte Seite zeigte eine verstärkte Aktivität beim Nachsprechen. Und je mehr die Aktivität im rechten Broca-Areal stieg, desto schneller konnten die Probandinnen und Probanden die Sprachaufgabe lösen. „Diese Reaktion deutet darauf hin, dass die rechte Hemisphäre auf die Störung in der linken Seite reagiert und sie in gewissem Maße zu kompensieren versucht.“ Hat die rechte Hemisphäre entgegen der bisherigen Meinung einen fördernden Einfluss und kann sie einen aktiven Beitrag zur Sprache leisten?

Ergebnis & Ausblick
Die Untersuchungsergebnisse von Gesa Hartwigsen und ihrem Team zeigen beim Thema Sprache eine Interaktion zwischen den Hirnarealen in der rechten und linken Hemisphäre. Solange die linke Hemisphäre beispielsweise durch einen Schlaganfall gehemmt ist, könnte die rechte Hemisphäre die Sprachproduktion fördern. „Mit einer Stimulation der rechten Hemisphäre könnte daher das Wiedererlangen der eigenen Sprache unterstützt werden“, mutmaßt die Wissenschaftlerin. Ganz wichtig dafür sei allerdings der Zeitpunkt. „Direkt nach dem Schlaganfall könnten wir die rechte Hemisphäre unterstützen. Sobald aber die linke Hemisphäre ihre Arbeit wieder aufnehmen will, muss eine natürliche Hemmung der rechten Seite zugelassen werden. Stattdessen könnten wir in dieser Phase die linke Seite stimulieren. Das richtige Timing kann dann ausschlaggebend sein für eine gute Erholung der Sprachfunktionen nach dem Schlaganfall.“

In Zusammenarbeit mit der Kieler Neurologie, einer Leipziger Schlaganfallexpertin und Doktorandinnen und Doktoranden der Medizin und Psychologie hat Professorin Gesa Hartwigsen bereits eine Nachfolgestudie zu der aktuellen Forschungspublikation in Gang gebracht. „Hier wollen wir mehr über die Zusammenarbeit der Hirnareale und das richtige Timing bei Patientinnen und Patienten lernen“, so Hartwigsen. Ihr Forschungsfeld in den kognitiven Neurowissenschaften ist noch sehr jung, aber mit konkreten Therapieansätzen, die sich aus ihrer Forschung ableiten lassen, rechnet die Wissenschaftlerin schon in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren.

Bilder stehen zum Download bereit:
www.uni-kiel.de/download/pm/2013/2013-362-1.png
Schematische Darstellung der Forschungsergebnisse: (links) eine Störung liegt vor; (mitte) linke Hemisphäre wird herabreguliert; (rechts) Aktivität der rechten Hemisphäre steigt.

www.uni-kiel.de/download/pm/2013/2013-362-2.jpg
Gesa Hartwigsen demonstriert, wie mittels einer Magnetfeldspule (TMS-Spule) ein Stromimpuls ausgesendet wird, der die Funktion eines Sprachareals (Broca-Areal) in der linken Hemisphäre stört.
Foto/Copyright: Maren Klein, Leipzig

www.uni-kiel.de/download/pm/2013/2013-362-3.jpg
Gesa Hartwigsen forscht an der Uni Kiel im Bereich der biologischen Psychologie. Weitere Informationen zur Person unter: www.uni-kiel.de/unizeit/index.php?bid=780902
Foto/Copyright: pur.pur/CAU

Originalpublikation:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24062469

Kontakt:
Prof. Dr. Gesa Hartwigsen
Telefon: 0431 / 880 4872
E-Mail: hartwigsen@psychologie.uni-kiel.de

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Presse, Kommunikation und Marketing, Dr. Boris Pawlowski, Text: Claudia Eulitz
Postanschrift: D-24098 Kiel, Telefon: (0431) 880-2104, Telefax: (0431) 880-1355
E-Mail: presse@uv.uni-kiel.de

Link zur Pressemitteilung:
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