Schlaganfall hemmt auch Lernvermögen ferner Hirnregionen; neuer Therapieansatz bringt erste Erfolge

In einer neuen Studie konnten Forscher des Bernstein Netzwerks und der Universitäten Göttingen und Jena jetzt zeigen, dass ein Schlaganfall die Lernfähigkeit selbst entfernt liegender Hirnbereiche beeinträchtigt: Im Sehsystem von Mäusen waren Lernvorgänge zum Teil wochenlang unmöglich. Die Forscher schließen daraus, dass plastische Veränderungen im Gehirn von weit größeren Netzwerken moduliert werden als bisher angenommen. Durch Gabe von Entzündungshemmern konnte ein Teil der Netzwerke seine Lernfähigkeit wiedererlangen.

Allein in Deutschland trifft jedes Jahr rund 200.000 Menschen der Schlag. Bis heute ist nicht verstanden, warum es den Betroffenen oft so schwer fällt, alltägliche Dinge wieder zu erlernen. Auch über den besten Startzeitpunkt einer Therapie und medikamentöse Behandlungswege herrscht noch immer Unklarheit.

Schon lange beobachten Wissenschaftler, dass die lokal begrenzte Durchblutungsstörung auch Auswirkungen auf weit entfernte Gehirnbereiche haben kann. Nun untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Siegrid Löwel und Prof. Otto Witte im Projekt „Visuelles Lernen“ innerhalb des Bernstein Fokus: Neuronale Grundlagen des Lernens, welche Auswirkungen ein lokaler Schlaganfall auf neuronale Plastizität im Sehsystem von Mäusen hat. Verschließt man bei gesunden Tieren ein Auge, erhöht sich die Sehschärfe des verbleibenden und beide Hirnhälften widmen sich verstärkt der Informationsverarbeitung des offenen Auges.

„Wir konnten zeigen, dass dem Gehirn diese Fähigkeit in der Zeit nach einem Schlaganfall abhanden kommt“, so Franziska Greifzu, Doktorandin im Labor von Prof. Siegrid Löwel, Neurobiologin am Bernstein Fokus Neurotechnologie und der Universität Göttingen und Leiterin der Studie. Für die Untersuchung wurde an einer Stelle in der Hirnrinde ein Schlaganfall ausgelöst, die keinen bekannten Einfluss auf das Sehsystem hat. Verschlossen die Wissenschaftler direkt nach dem Schlaganfall eines der Augen, konnte sich das Gehirn nicht mehr normal an die neue Situation anpassen; es hatte seine Lernfähigkeit verloren. Hatte das Gehirn nach der Schädigung zwei Wochen Zeit, war ein Teil der Anpassungsfähigkeit wieder regeneriert.

Die Wissenschaftler untersuchten, ob Entzündungsreaktionen für die Störungen verantwortlich sein könnten. Dazu behandelten sie die Tiere direkt nach dem Schlaganfall mit einem entzündungshemmenden Medikament. Tatsächlich entwickelten die behandelten Tiere genau wie gesunde Tiere eine Erhöhung der Sehschärfe des offenen Auges. „Die durch den Schlaganfall gestörte Lernfähigkeit konnte durch den Entzündungshemmer wieder normalisiert werden“, erklärt Witte, Neurologe am Universitätsklinikum Jena.

Inwiefern das geschädigte Hirnareal Einfluss auf das Sehsystem hat, ist noch völlig unklar. „Es scheint viel mehr Wechselwirkungen zwischen Hirnarealen zu geben, als wir bisher wissen und experimentell testen“, meint Löwel. Nun wollen die Wissenschaftler genauer untersuchen, was nach einem Schlaganfall auf zellulärer Ebene verändert ist und wie man die Lernfähigkeit vollständig wiederherstellen kann. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler im renommierten Fachjournal PNAS.

Das Projekt „Visuelles Lernen“ des Bernstein Fokus: Neuronale Grundlagen des Lernens ist Teil des nationalen Bernstein Netzwerks Computational Neuroscience (NNCN). Das NNCN wurde vom BMBF mit dem Ziel gegründet, die Kapazitäten im Bereich der neuen Forschungsdisziplin Computational Neuroscience zu bündeln, zu vernetzen und weiterzuentwickeln. Das Netzwerk ist benannt nach dem deutschen Physiologen Julius Bernstein (1835-1917).

Originalpublikation:
Greifzu et al. (2011): Global impairment and therapeutic restoration of visual plasticity mechanisms after a localized cortical stroke. PNAS, published ahead of print August 24, 2011, doi:10.1073/pnas.1016458108.
Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne:
Prof. Dr. Siegrid Löwel
sloewel@gwdg.de
Abteilung Systemische Neurobiologie
Bernstein Fokus: Neurotechnologie (BFNT) und
J.F. Blumenbach Institut für Zoologie und Anthropologie
Georg-August-Universität Göttingen
Von-Siebold-Str. 4
37073 Göttingen
Tel: +49 (0) 551 3920161/60

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Johannes Faber idw

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