Ohne Technik in den Lehrplänen hängen Nachwuchsinitiativen in der Luft

Zu diesem Ergebnis kommt acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften in der bislang umfassendsten Studie zu den Nachwuchsinitiativen in Deutschland und ihren Erfolgsfaktoren. Technik sollte daher laut der am 11. April in Osnabrück vorgestellten Studie als eigenes Unterrichtsfach oder als integraler Bestandteil verwandter Disziplinen im Lehrplan fest verankert werden.

Die Studie widerlegt die verbreitete Ansicht, dass Schülerinnen und Schüler erst in höheren Klassen in der Schule an Technik herangeführt werden sollten. Dann ist es zu spät, wie die empirischen Ergebnisse zeigen. Den Initiativen bescheinigt die Evaluation zwar oftmals positive Ansätze, sieht aber noch deutlichen Verbesserungsbedarf – etwa durch eine stärkere Verzahnung mit Schulen sowie anderen Bildungseinrichtungen und eine klarere Definition der angestrebten Ziele.

Schülerinnen und Schülern im Hochtechnologieland Deutschland stehen nach wie vor viel zu wenig attraktive Technikangebote im Unterricht zur Verfügung. Verbände, Stiftungen oder Unternehmen können einer Studie der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften zufolge die Defizite in der Technikbildung auch mit einer Vielzahl an Projekten nicht wirksam kompensieren. „Der zentrale Ort der Technikvermittlung muss die Schule sein“, sagt Studienleiter und acatech Präsidiumsmitglied Ortwin Renn. „Nur dort können Kinder entsprechend ihrer Begabung frühzeitig und kontinuierlich bis in die Oberstufe an Technik herangeführt und Wissen aufgebaut werden. Die Einführung von Technikunterricht an Schulen ist daher nicht nur sinnvoll, sie ist längst überfällig.“ Es komme zugleich darauf an, für den Unterricht Fachkräfte auszubilden und für eine geeignete technische Ausstattung zu sorgen.

Die in Zusammenarbeit mit der Universität Stuttgart durchgeführte Studie belegt, dass sowohl punktuelle als auch kontinuierliche außerschulische Lernangebote begleitend zum Unterricht eine positive Rolle spielen können. Das gilt vor allem dann, wenn sie gut mit anderen Initiativen und Schulangeboten verzahnt sind und klar definiert ist, ob sie eher Talente fördern oder Technikinteresse wecken sollen. Der Studie „Monitoring von Motivationskonzepten für den Techniknachwuchs“ (MoMoTech) zufolge sollte die Technikförderung schon im Kindergarten beginnen und, je nach Bildungskarriere, bis zum Hochschulabschluss fortgeführt werden. Die Forscher beklagen, dass vielfach noch die Ansicht vorherrsche, Lernkompetenz in diesem Bereich beginne erst ab der achten Klasse. „Das können wir heute als widerlegt zurückweisen. Die technische Früherziehung muss sprichwörtlich im Sandkasten beginnen und dann kontinuierlich ausgebaut werden. Nur so können wir sicher stellen, dass sich mehr junge Menschen auch später im Beruf mit Technik beschäftigen wollen“, sagt Ortwin Renn.

Schlecht ist es in Deutschland nach wie vor um die Berufsperspektiven von Frauen in den technischen Berufen bestellt. Schon das von acatech gemeinsam mit dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) aufgelegte Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften hatte 2009 belegt, dass der Frauenanteil in technisch-akademischen Berufen in Deutschland im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich ausfällt. Die MoMoTech-Studie nennt einige Gründe für diesen Negativtrend: Bereits im Kindesalter wird demnach Mädchen eine geringe Technikkompetenz zugeschrieben. Im Elternhaus werden die meisten von ihnen in Bezug auf Technik weniger gefördert als Jungen. Technikinteressierte Jungen sprechen den Mädchen zudem Fähigkeiten in diesem Bereich ab. Dadurch entwickeln sie bis zur Pubertät eine eher ablehnende Haltung und schätzen sich selbst bei besseren Noten in Technik, Physik oder Mathematik als weniger technikbegabt ein.

„In unserem bestehenden Bildungssystem gelingt es nicht, das intuitive Interesse von Mädchen an Technik über die Schulzeit zu retten und in ein stabiles Selbstkonzept ihrer technischen Fähigkeiten zu überführen“, erläutert Ortwin Renn. Alarmierend sei dabei, dass sich die ehemals höheren Anteile von Ingenieurinnen und Naturwissenschaftlerinnen im Osten Deutschlands an das schlechtere Westniveau angleichen. Auch um diesem Negativtrend entgegenzuwirken, empfiehlt acatech daher einen Rückgriff auf monoedukative Bildungselemente. „Die MoMoTech-Studie zeigt: Wenn Mädchen unter sich sind, bauen sie Selbstzweifel ab, sind motivierter und können in Hinblick auf ihre Begabungen besser gefördert werden. Weibliche Talente im harten Wettbewerb um die MINT-Fachkräfte aus den Augen zu verlieren, können und sollten wir uns als Gesellschaft nicht mehr leisten“, konstatiert Ortwin Renn.

Weitere Informationen unter: http://www.acatech.de/mint

Über MoMoTech
Die Studie MoMoTech (Monitoring von Motivationskonzepten für den Techniknachwuchs) hat zwischen März 2007 und Juni 2010 die Zielsetzung und Wirkung von 317 Modellprojekten zur Förderung des Technikinteresses untersucht. Die Studie wurde von der Universität Stuttgart (Institut für Sozialwissenschaften) begleitet, von acatech betreut und von der Georgmarienhütte GmbH finanziert. Im Mittelpunkt stehen Projekte und Aktivitäten von der frühen Förderung im Elementar- und Primärbereich über die die schulische und außerschulische Förderung in der Sekundärstufe bis hin zu Projekten, die spezifische Zielgruppen ansprechen oder neue didaktische Konzepte verfolgen. Dabei wurden 16 Initiativen genauer unter die Lupe genommen. Es wurde überprüft, welche Effekte sie bei der Förderung der Techniksozialisation und Technikbildung ihrer Zielgruppen erreichen, also wie erfolgreich die Projekte arbeiten. Eine anschließende Best-Practice-Analyse benennt die Erfolgsfaktoren für eine MINT-Nachwuchsförderung, die zwischen Interessen- und Talentförderung unterscheidet. Insgesamt wurden rund 1000 der über die MoMoTech-Projektdatenbank http://www.motivation-technik-entdecken.de erreichbaren Modelprojektträger angefragt.

MoMoTech ist Teil der „acatech Gesamtstrategie Techniknachwuchs“. Die Akademie macht mit einer Reihe von Initiativen, Veranstaltungen und Forschungsprojekten den besten Stand des Wissens zum Thema verfügbar. Dazu gehört zum einen die MoMoTech-Vorstudie „Wege zur Technikfaszination“, die zwischen 2008 und 2009 Eltern und deren Kinder dazu befragt hat, wie sich das Spektrum des spielerischen Umgangs mit Technik gestaltet und welche Förderung Kinder in diesem Bereich im Elternhaus erfahren.

Zum anderen fließen die Ergebnisse des „Nachwuchsbarometers Technikwissenschaften“, einer gemeinsamen Studie von acatech und dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI), aus dem Jahr 2009 ein. Damals wurden 13.000 Schüler, Studierende sowie Ingenieure und Naturwissenschaftler über deren Techniksozialisation, Technikbildung und den Einflussfaktoren auf die Studien- und Berufswahl befragt.

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Jann Gerrit Ohlendorf idw

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