Landleben nur noch mit der dicken Geldbörse?

Ein Häuschen im Grünen – für viele ist das bis heute ein Traum. Doch dieser Traum hat seine Schattenseiten: In vielen ländlichen Gemeinden fehlt die Infrastruktur, gibt es weder Supermarkt noch Kindergarten oder Schule.

Die Bewohner müssen selbst mobil sein oder mit dem meist spärlichen Angebot des öffentlichen Nahverkehrs vorlieb nehmen. Mit zunehmendem Alter der Bewohner steigt die Zahl der Probleme, weil zum Beispiel der nächste Arzt seine Praxis in der Stadt hat.

Richtig prekär wird die Situation im ländlichen Raum in zehn bis 15 Jahren. In den Familien, die Mitte der 90er Jahre ins Grüne zogen, kommen die Eltern ins Rentenalter. Die Kinder sind längst aus dem Haus, die Häuser harren einer ersten umfassenden Sanierung. „Die Lösung heißt nicht selten: Haus verkaufen und in die nächste Stadt zurückkehren“, sagt Prof. Dr. Peter Sedlacek von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Der Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsgeographie und Regionalentwicklung warnt davor, dass ganze Regionen im ländlichen Raum ausdünnen werden. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern hat Sedlacek jetzt eine neue Studie über „demographisch auffällige Gemeinden“ fertiggestellt. „Das sind Gemeinden, die durch eine extreme positive oder negative demographische Entwicklung auf sich aufmerksam gemacht haben“, definiert er. Dazu gehören die jüngste und die älteste Gemeinde, außerdem Orte, die besonders stark gewachsen sind oder mit dem Gegenteil, einer extrem schrumpfenden Bevölkerung, zu kämpfen haben.

Besonders auffällig sind die Auswirkungen des demographischen Wandels im Dorf Großlöbichau im Saale-Holzland-Kreis. Großlöbichau hat das größte Bevölkerungswachstum in Thüringen zu verzeichnen. Sichtbarer Beleg dafür: Der Kindergarten im Ort musste erweitert werden. „Es gibt aber keine Grundschule im Dorf“, sagt Robert Bartsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter an Sedlaceks Lehrstuhl. Ebenso fehlen Einkaufsmöglichkeiten.

Ergo müssen die Bewohner selbst mobil sein oder sie sind auf den öffentlichen Nahverkehr und den Schulbus angewiesen. Die Jenaer Wissenschaftler sprechen davon, dass Grundstückseigentümer und Bauträger davon profitieren, die Folgekosten aber der Steuerzahler oder die Bewohner zu tragen haben.

Mehr als 60 Gemeinden haben die Geographen der Universität Jena unter die Lupe genommen. Ausgehend von Daten des Statistischen Landesamtes wurden die Ortschaften kartiert und Bürgermeister oder Mitarbeiter in Verwaltungsgemeinschaften befragt. Ein Ergebnis: Die Einwohnerzahlen sind nicht nur in peripheren ländlichen Gemeinden rückläufig, sondern auch in den Umlandgemeinden der großen Städte, die in den 1990ern hinzugewonnen hatten.

Für den Erhalt des ländlichen Raumes sind daher intakte Grund- und Mittelzentren unverzichtbar. Um die Mittelzentren erhalten zu können, seien Absprachen und Kooperationen unerlässlich, lautet ein Fazit der Wissenschaftler. „Wer allein auf sich gestellt agiert, der wird damit scheitern“, sagt Sedlacek. Außerdem spiele die wirtschaftliche Situation eine Rolle. Einfach gesagt: Solange die Wirtschaft brummt, lassen sich die Veränderungen abfedern. Das gilt sowohl für den Einzelnen, der für seine Mobilität auf dem Land bezahlen, als auch für die Gesellschaft, die Investitionen in die Infrastruktur aufbringen muss.

Auf jeden Fall, so das Fazit der Wissenschaftler von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, verstärke sich der Re-Urbanisierungstrend, er sei längst ein internationales Phänomen. Eine weitere Erkenntnis: Noch sind in vielen Gemeinden Vereine die Träger des sozialen Lebens. Oft agieren die Vereinsvorsitzenden zugleich als Gemeinderäte oder Bürgermeister. Als „ausgehungert“ bezeichnen die Wissenschaftler hingegen die Parteienlandschaft in den kleinen Orten. In zahlreichen Gemeinden sei gerade noch eine Partei aktiv, sagt Bartsch.

Ihre Studie zur demographischen Entwicklung der auffälligen Gemeinden werden die Wissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität im September abschließen. Sie wird in der institutseigenen Reihe „Wirtschaftsgeographie + Regionalentwicklung – Berichte + Diskussionen“ veröffentlicht.

Kontakt:
Prof. Dr. Peter Sedlacek
Institut für Geographie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Löbdergraben 32, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 948811
E-Mail: peter.sedlacek[at]uni-jena.de

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Stephan Laudien idw

Weitere Informationen:

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