Große Unterschiede: Antibiotikavergabe an Kinder und Jugendliche in fünf europäischen Ländern

Am häufigsten werden Antibiotika für Kinder und Jugendliche in Italien verschrieben – gefolgt von Deutschland, England und Dänemark. In den Niederlanden ist die Verschreibungsrate mit Abstand am geringsten – sie beträgt ein Drittel von der in Italien.

In allen fünf Ländern erhalten die unter Vierjährigen am häufigsten Antibiotika. Dies zeigt eine Studie in fünf europäischen Ländern im Zeitraum von 2005 bis 2008, die Daten von 23 Millionen Kindern und Jugendlichen ausgewertet hat. Professorin Edeltraut Garbe vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS ist Leitautorin der Studie, die jetzt im Journal BMC Pediatrics erschienen ist.

Antibiotika werden häufig verschrieben, zu häufig – denn weltweit nehmen resistente Bakterienstämme zu, durch die Antibiotika ihre Wirkung verlieren. Um gegenzusteuern zu können, ist es grundlegend zu verstehen, wie Antibiotika verordnet werden.

In der publizierten Studie, die im EU-Projekt Aritmo über Nebenwirkungen verschiedener Medikamentengruppen erfolgte, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Häufigkeit, aber auch die Art des verschriebenen Antibiotikums bei verschiedenen Altersgruppen zwischen null und 18 Jahren beleuchtet. Was die Studie in der Antibiotika-Forschung einzigartig macht, sind die vergleichbaren Ergebnisse – Methoden, untersuchte Altersgruppen sowie der Untersuchungszeitraum stimmen in allen fünf Ländern überein.

Die Studie offenbart hohe Verschreibungsraten in Italien, Deutschland, England und Dänemark – und eine niedrige in den Niederlanden. Dass die Niederlande in Europa Vorreiter im sorgsamen Umgang mit Antibiotika sind, haben bereits frühere Studien gezeigt. In den Niederlanden gibt es eine strikte Verordnungspolitik für Medikamente gegen Infektionskrankheiten und starke Bemühungen, Verschreibungsrichtlinien zu fördern um Bakterienresistenzen zu bekämpfen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass die Unterschiede nicht durch verschiedene Infektionshäufigkeiten in den Ländern, sondern durch länderspezifisches Verschreibungsverhalten verursacht werden. Es ist anzunehmen, dass Antibiotika nicht nur gegen bakterielle, sondern auch gegen virale Erkrankungen verordnet werden. Dies wird von der Beobachtung gestützt, dass die Verordnung von Antibiotika jahreszeitliche Spitzen hat. Am höchsten ist sie im Winter, insbesondere in den Ländern mit einer hohen Verschreibungsrate. Dies spricht dafür, dass Antibiotika auch gegen virale Infektionen eingesetzt und somit falsch angewendet werden. Hauptsächlich die viralen Erkrankungen steigen im Winter an, nicht die bakteriellen.

„Insbesondere Atemwegsinfektionen und Mittelohrentzündungen werden bei Kindern bereits beim ersten Arztkontakt häufig mit Antibiotika therapiert“, erklärt Professorin Garbe, Leiterin der Abteilung „Klinische Epidemiologie“ am BIPS. „Allerdings belegen viele Studien, dass Antibiotika im Regelfall nur dann verordnet werden sollten, wenn sich die Symptome nicht in den ersten Tagen der Erkrankung bessern. Ihr breiter Einsatz fördert die Entstehung multiresistenter Keime und setzt Kinder unnötig dem Risiko von Nebenwirkungen der Arzneimittel aus.“

Weiterhin macht die Studie deutlich, dass die Arten von Antibiotika, die verordnet werden, in den fünf Ländern generell, aber auch bezogen auf die untersuchten Altersgruppen stark variieren. Es ist zu vermuten, dass für eine Krankheit nicht immer das sinnvollste Antibiotikum eingesetzt wird. In allen Ländern, außer Dänemark, sind Breitspektrum-Antibiotika die größte Gruppe der verschriebenen Antibiotika – und dabei vor allem bei der Altersgruppe der unter Vierjährigen, dies gilt für alle fünf Länder. Schmalspektrum-Antibiotika werden am häufigsten in Dänemark angewendet. Die Studie macht deutlich, dass auch Arten von Antibiotika häufig verschrieben werden, die verstärkt Resistenzen fördern, und dass diese zu früh eingesetzt werden.

Publikation:
“Systemic antibiotic prescribing to paediatric outpatients in 5 European countries: a population-based cohort study”
Holstiege J, Schink T, Molokhia M, Mazzaglia G, Innocenti F, Oteri A, Bezemer I, Poluzzi E, Puccini A, Ulrichsen S P, Sturkenboom M C, Trifirò G and Garbe E. BMC Pediatrics. 2014;14:174. doi:10.1186/1471-2431-14-174. http://www.biomedcentral.com/1471-2431/14/174

Kontakt:
Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS
Prof. Dr. Edeltraut Garbe
Tel. 0421/218-56862
E-Mail garbe@bips.uni-bremen.de

Dr. Tania Schink
Tel. 0421/218-56865
E-Mail schink@bips.uni-bremen.de

Pressestelle
Anja Wirsing
Tel. 0421/218-56780
Fax 0421/218-56761
E-Mail presse@bips.uni-bremen.de
www.bips-institut.de

http://www.biomedcentral.com/1471-2431/14/174
http://www.aritmo-project.org

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