Gene beeinflussen das Denken

Haben die Gene Einfluss auf unsere Denkstrukturen? Dieser Frage ist jetzt eine internationale und interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlern nachgegangen. Das Ergebnis zeigt, dass sich im Aktivierungsmuster des Gehirns eine Art „genetischer Fingerabdruck“ einer Person nachweisen lässt.

Es ist also genetisch mitbestimmt, auf welches Netzwerk von Gehirnarealen eine Person für das Arbeitsgedächtnis zurückgreift, wenn ihr kognitive Anforderungen gestellt werden. Die Ergebnisse der Studie, die Wissenschaftler aus Aachen, Amsterdam, Bonn, Maastricht, Nijmegen und Salzburg gemeinsam durchgeführt haben, wurden jetzt in der aktuellen Ausgabe des international renommierten Wissenschaftsmagazins „Science“ veröffentlicht.

Bei der Erforschung der Hirnaktivierung liefert die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) Bilder des Gehirns: Während der Proband beispielsweise Gedächtnisaufgaben mit Zahlen ausführt, lässt sich die „Aktivierung“ des Stoffwechsels verfolgen. Bisher haben Wissenschaftler hauptsächlich die Regionen untersucht, die die größten Effekte bei allen Probanden einer Studie zeigen. Die Messung solcher durchschnittlichen Gruppeneffekte kann aber das Verständnis für das Zustandekommen von Aktivierungsmustern des Gehirns verstellen, denn es gibt durchaus Unterschiede zwischen den Personen. Um Aufschluss über individuelle Muster zu bekommen, führten die Wissenschaftler eine Studie mit eineiigen Zwillingen durch. Die ausgewählten männlichen Geschwisterpaare hatten alle noch einen Bruder, der unter gleichen Bedingungen die gleichen Aufgaben löste. Während die Zwillinge genetisch identisch sind, teilen sie mit ihrem Bruder auf Grund der gleichen Abstammung im Durchschnitt nur 50 Prozent der Erbanlagen.

Im Rahmen der Studie hatten die drei Mitglieder jeder untersuchten Familie dieselben Gedächtnisaufgaben in zwei getrennten Untersuchungen mit der fMRT zweimal zu bearbeiteten: Sie sollten sich bei einer Gedächtnisaufgabe visuell vorgegebene Ziffern einprägen. Dabei wurden sie durch eine weitere Aufgabe abgelenkt, bei der einfache Rechenaufgaben zu lösen waren oder Fotos von Objekten in Gruppen einsortiert werden mussten. Anschließend bekamen sie erneut eine Ziffer gezeigt und sollten entscheiden, ob sie diese bereits vorher gesehen hatten.

Die Auswertung zeigte, dass die Hirnaktivierungsmuster zwischen den einzelnen Personen beträchtlich variierten. Allerdings ließ sich bei der Aktivierung unter den Zwillingen in bestimmten Hirnregionen eine größere Ähnlichkeit feststellen als im Vergleich mit ihrem Bruder. Dies belegen die von den Wissenschaftlern farblich sichtbar gemachten Aktivierungsmuster und ihre räumliche Verteilung, die durch die Bearbeitung der Gedächtnisaufgaben gewonnen wurden. Zusätzlich fertigten sie eine Anordnung der Heritabilität der Aktivierung an. Unter Heritabilität versteht man den genetischen Anteil an der beobachteten Variabilität. Heritabilitätskarten oder Erblichkeitskarten zeigen, in welchen Teilen des Gehirns genetische Einflüsse mehr oder weniger zu individuellen Unterschieden in der Hirnaktivierung beitragen. Im Detail wurden zwei Netzwerke des so genannten Arbeitsgedächtnisses beschrieben. Eines ist besonders mit der sprachlichen Verarbeitung, das andere mit der numerisch-räumlichen Verarbeitung von Zahlen befasst. Eineiige Zwillinge zeigten eine überraschend hohe Übereinstimmung in ihrer funktionellen Hirnorganisation, die signifikant höher ausfiel als mit ihrem (Nichtzwillings-) Bruder. Die Studie legt nahe, dass die individuelle Bevorzugung eines bestimmten Verarbeitungsmodus und dessen Einflüsse auf die Verhaltensleistung unter genetischem Einfluss stehen. Damit würden gewisse neurobiologische Grundlagen der Individualität eine genetische Komponente aufweisen.

Die aktuelle Studie über genetische Einflüsse auf die Hirnaktivierungsmuster, wie man sie mit der funktionellen Magnetresonanztomographie feststellt, wurde am Universitätsklinikum der RWTH Aachen von Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Klaus Willmes-von Hinckeldey und seinem Mitarbeiter Jan Willem Koten federführend betreut. Sie waren unter anderem für die Analyse der funktionellen Bilddaten verantwortlich, die in der zentralen Serviceeinrichtung „Funktionelle Bildverarbeitung“ des „BIOMAT“ der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen ausgeführt wurden. Außerdem waren Wissenschaftler aus Amsterdam, Maastricht, Bonn, Nijmegen und Salzburg an den Arbeiten beteiligt. Die Zwillings-Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Nederlandse Organisatie voor Wetenschappelijk Onderzoek (NWO) gefördert.

Weitere Informationen:

Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Klaus Willmes-von Hinckeldey
Leiter Lehr- und Forschungsgebiet Neuropsychologie
an der Neurologischen Klinik & Schwerpunktkoordinator „Klinische Neurowissenschaften“, Interdisziplinäres Zentrum für Klinische Forschung „BIOMAT.“
Telefon: 0241 – 80 8089970 (Sekretariat: 0241-8088477 oder 8088426)
E-Mail: willmes@neuropsych.rwth-aachen.de oder
kwillmes-vonhincke@ukaachen.de

Media Contact

Thomas von Salzen idw

Weitere Informationen:

http://www.rwth-aachen.de

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