Ergotherapeuten setzen auf Methodenvielfalt bei der Behandlung von kindlichen Entwicklungsstörungen

Die Zahl der Kinder, die Ergotherapie erhalten, steigt kontinuierlich. Angesichts hoher Verordnungszahlen sprechen Kritiker von einer „Modebehandlung“. Therapieziele und Methoden seien zu wenig transparent.

Was Kinder in der Ergotherapie-Praxis erwartet, zeigt jetzt eine gemeinsame Untersuchung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) und der Hochschule Magdeburg-Stendal. Sie stellt der Ergotherapie ein gutes Zeugnis aus: „Die Therapeutinnen und Therapeuten nutzen in allen Phasen der Behandlung die zur Verfügung stehenden Methoden engagiert und kreativ für eine individuelle Behandlung“, sagt der stellvertretende WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder. Allerdings seien viele Behandlungstechniken bisher nicht hinreichend wissenschaftlich untersucht.

Für ihre Untersuchung hatten das WIdO und die Hochschule Magdeburg-Stendal rund 1.400 Mitglieder des Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten angeschrieben. Mit knapp 600 ausführlichen Antworten war die Rücklaufquote außerordentlich hoch. Anhand eines fiktiven typischen Behandlungsfalles legten die Teilnehmer dar, wie sie Befunde erheben, welche Therapie sie auswählen und wie sie den Behandlungserfolg messen.

„Wurde Ergotherapie einst für Kinder mit Behinderungen entwickelt, so geht es heute in der Praxis eher um die Unterstützung bei Verhaltensauffälligkeiten oder Abweichungen von der Entwicklungsnorm“, erläutert Helmut Schröder. Anhand von Daten der AOK lasse sich zeigen, dass dies auf 86 Prozent der ärztlichen Verordnungen für Kinder unter 14 Jahren zutrifft. „70 Prozent der Verordnungen werden für Jungen ausgestellt. Vor allem im Übergang zur Grundschule brauchen sie besonders häufig therapeutische Unterstützung. Die Therapie zielt darauf ab, Motorik, Koordination, Wahrnehmung oder Kommunikation zu verbessern – insbesondere im Hinblick auf die Schulfähigkeit.“ So befinden sich von den sechsjährigen Jungen jährlich ca.14 Prozent – mehr als in jedem anderen Lebensalter – in ergotherapeutischer Behandlung.

Für die aktuelle Befragung wurde deshalb der „typische Fall“ des sechsjährigen Justin konstruiert. Er kann schlecht stillsitzen, tut sich schwer mit Schere, Stiften oder Reißverschluss, fällt im Kindergarten durch körperliche Ungeschicklichkeit auf und gerät besonders oft mit anderen Kindern in Streit.

Das Ergebnis der Auswertung: Um den Entwicklungsstand von „Justin“
zu testen, verwenden Ergotherapeuten im Schnitt drei verschiedene Methoden. Neun von zehn Therapeuten nutzen standardisierte Tests zur Befunderhebung. Der vielseitigen Befunderhebung folgt eine ebenso vielseitige Behandlung mit durchschnittlich vier Methoden. 84 Prozent der Therapeuten setzen dabei funktionelle, handwerkliche, spielerische und gestalterische Behandlungstechniken ein. Zumeist in Zusammenarbeit mit den Eltern formulieren die teilnehmenden Ergotherapeuten im Schnitt fünf Therapieziele. Im Vordergrund steht dabei die Verbesserung der Sensomotorik, der Gleichgewichtsfunktionen und der Haltung. Alle befragten Therapeuten überprüfen ihren Therapieerfolg – 85 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der Basis der Tests, mit denen der Befund erhoben wurde.

„Die Befragung hat transparent gemacht, wie Ergotherapeutinnen und -therapeuten arbeiten“, sagt Helmut Schröder. „Die Vielfalt der eingesetzten Befunderhebungen und Therapieansatze bei dem zu Grunde gelegten typischen Fallbeispiel macht auch deutlich, dass es für Kinder mit Entwicklungsstörungen keine standardisierten Abläufe gibt. Jeder Therapeut sucht nach einem eigenen Königsweg in der Behandlung. Das liegt sicher auch daran, dass nicht alle Behandlungstechniken hinreichend wissenschaftlich untersucht sind.“

Insgesamt zeigt die Studie, dass die ergotherapeutische Anwendung eine große Vielfalt an ergotherapeutischen Behandlungen umfasst. Um die Ergotherapeuten bei ihrer Arbeit zu unterstützen und die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Therapie zu gewährleisten, plädiert das WIdO deshalb für eine systematische Untersuchung der Wirksamkeit einzelner Behandlungsansätze. Diese Studien sollten mit staatlicher Forschungsförderung an den universitären Lehrstühlen durchgeführt werden. Leitlinien können dann den verordnenden Ärzten helfen, die Erwartungen der jungen Patienten und deren Eltern an die Behandlungen auch zu erfüllen.

Diese und weiteren Ergebnisse stehen zur Verfügung unter:
http://www.wido.de/heilhilfsmittel_ergo.html

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Andrea Waltersbacher presseportal

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