Diabetesmedikament könnte die Heilung von Knochenbrüchen verbessern

Mit Hilfe der FACS® (Fluorescence Activated Cell Sorting)-Analyse kann z. B. eine große Anzahl von Fettvorläuferzellen gemessen oder analysiert werden. Till Budde/DIfE

Seit längerem ist bekannt, dass Alterungsprozesse Übergewicht begünstigen können. Dabei sind die Alterungsprozesse nicht nur von vermehrten Ablagerungen weißer Fettzellen in den regulären Fett-Depots wie dem Unterhautfettgewebe begleitet. Sie tragen auch zu übermäßig großen Fettzell-Ansammlungen in anderen Gewebstypen bei, zum Beispiel im Knochenmark.

Wie jüngste Studien annehmen lassen, stehen solche Veränderungen in Zusammenhang mit Knochenschwund (Osteoporose), einem erhöhten Risiko für Knochenbrüche sowie einer gestörten Ausreifung der Immun- und Blutzellen im Knochenmark.

Darüber hinaus weisen andere Untersuchungen darauf hin, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes besonders zu Knochenbrüchen neigen. Die biologischen Mechanismen, die all diesen Beobachtungen zu Grunde liegen, sind jedoch bislang noch nicht hinreichend erforscht. Daher gingen die Wissenschaftler in der aktuellen Studie mit Hilfe von Zellexperimenten und Untersuchungen an Mäusen den zellulären und molekularbiologischen Ursachen dieser Prozesse genauer auf den Grund.

Wie die Forscher erstmals zeigen, führt eine fettreiche Ernährung insbesondere in Kombination mit einem fortgeschrittenen Alter dazu, dass sich im Knochenmark vermehrt spezialisierte (Fett-)Vorläuferzellen ausbreiten, die letztlich zur Fettansammlung im Knochen beitragen. Diese beeinträchtigen nicht nur die Knochenheilung, sondern auch die Blutbildung im Knochenmark der langen Röhrenknochen. Zudem beobachteten die Wissenschaftler, dass im Alter generell die Knochenzellentwicklung gestört ist.

„Unsere Untersuchungen bestätigen somit die Beobachtungen früherer Studien und könnten erklären, warum Knochenbrüche im Alter schlechter heilen, besonders dann, wenn die Patienten aufgrund einer fettreichen Ernährungsweise übergewichtig sind“, sagt Erstautor Ambrosi. „Darüber hinaus haben wir ein erstes molekulares Bindeglied identifiziert, das die negative Wirkung der Fettzellen auf die Regenerationsfähigkeit der Knochen vermittelt. Es handelt sich um das eiweißspaltende Enzym Dipeptidyl Peptidase 4, kurz DPP4 genannt“, ergänzt Studienleiter Schulz.

Das Enzym ist bereits aus der Diabetesforschung gut bekannt, da es Hormone abbaut, die den Zuckerstoffwechsel stark beeinflussen. Dies begünstigt einerseits hohe Blutzuckerwerte und beeinträchtigt zum anderen die Funktion der Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse. Basierend auf diesen Erkenntnissen haben Pharmafirmen verschiedene Präparate entwickelt, sogenannte Gliptine oder DPP4-Inhibitoren, die als Tablette eingenommen den negativen Einfluss von DPP4 auf den Blutzuckerspiegel mindern.

„Unsere Entdeckung, dass DPP4 neben seinem Einfluss auf den Zuckerstoffwechsel auch eine wichtige Rolle für die zelluläre Knochenzusammensetzung spielt, ist besonders in Hinblick auf Beobachtungen spannend, die Menschen mit Alterszucker einen Hang zu Knochenbrüchen attestieren“, sagt Ambrosi. „Sie weist auf einen direkten Zusammenhang zwischen Stoffwechselerkrankungen und der Anfälligkeit für Knochenbrüche hin“, so der Wissenschaftler weiter. „Zudem liefert sie einen ganz neuen therapeutischen Ansatzpunkt, um die Regenerationsfähigkeit der Knochen insbesondere bei alten, übergewichtigen Menschen medikamentös zu verbessern. Dabei ist es besonders günstig, dass DPP4-Inhibitoren bereits seit Jahren in der Diabetestherapie etabliert sind“, ergänzt Schulz, der am DIfE die Abteilung Fettzell-Entwicklung und Ernährung leitet. Natürlich sei es notwendig, hinsichtlich der Therapie von Knochenbrüchen noch weiter zu forschen.

Neben diesen unmittelbar medizinisch relevanten Untersuchungen zeigen die Forscher in umfangreichen zellbiologischen Arbeiten, dass die Zusammensetzung der Ernährung die Stammzellen des Knochens direkt beeinflusst und bestimmt, ob aus ihnen Knochen- oder Fettvorläuferzellen* entstehen. In künftigen Studien wollen die Wissenschaftler daher beispielsweise untersuchen, inwiefern bestimmte Ernährungsformen und Nahrungsmittelinhaltstoffe eingesetzt werden könnten, um die Knochenheilung zu unterstützen. Schon heute zeigten die Forschungsergebnisse aber, dass man viel für seine Knochengesundheit tun kann, indem man besonders im Alter auf ein normales Körpergewicht und eine ausgewogene Ernährung achtet, sind sich Schulz und Ambrosi einig.

Neben DIfE-/DZD-Wissenschaftlern waren an der Studie auch Forscher des Wellcome Trust Sanger Institute und des European Bioinformatics Institute in Großbritannien, des Monell Chemical Senses Center in den USA, des Sidra Medical and Research Center in Qatar sowie der Charité – Universitätsmedizin Berlin beteiligt.

Hintergrundinformationen:

* Als Stammzellen werden allgemein Körperzellen bezeichnet, die sich in verschiedene Zelltypen oder Gewebe umwandeln (ausdifferenzieren) können. Je nach Art der Stammzelle haben sie das Potenzial, sich in jedes beliebige Gewebe des Körpers (embryonale Stammzellen) oder in bestimmte festgelegte Gewebetypen (adulte Stammzellen) zu entwickeln. Stammzellen sind in der Lage, sich asymmetrisch zu teilen, also zwei verschiedene Tochterzellen zu generieren. Eine Tochterzelle besitzt wiederum Stammzelleigenschaften, man spricht hier von der Fähigkeit der Stammzelle, sich selbst zu erneuern. Die zweite Tochterzelle zeichnet sich durch eine größere Ausdifferenzierung aus und wird auch als Vorläuferzelle für einen bestimmten Gewebetyp bezeichnet, zum Beispiel als Knochen- oder Fettvorläuferzelle. Zu diesem asymmetrischen Teilungsschritt befähigt sie ein noch nicht vollständig geklärter Mechanismus. Über das jeweilige Schicksal der Zellen entscheidet dabei vor allem das biologische Milieu, in dem sie sich befinden, unter anderem auch die Verfügbarkeit bestimmter Nährstoffe oder Hormone.
Das Knochenmark enthält zwei verschiedene adulte Stammzellen, aus denen sich einerseits Vorläuferzellen für Knochen, Fett und Knorpel entwickeln, und andererseits Stammzellen, aus denen sich die verschiedenen Blutzellen, also rote und weiße Blutkörperchen, entwickeln können.

Literatur: Ambrosi, T.H.; Scialdone, A.; Graja, A.; Gohlke, S.; Jank, A.-M.; Bocian, C.; Woelk, L.; Fan, H.; Logan, W.D.; Schürmann, A.; Saraiva, L.R.; Schulz, T.J.: Adipocyte accumulation in the bone marrow during obesity and aging impairs stem cell-based hematopoietic and bone regeneration. Cell Stem Cell, http://dx.doi.org/10.1016/j.stem.2017.02.009 (2017)

Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsassoziierter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ursachen und Folgen des metabolischen Syndroms, einer Kombination aus Adipositas (Fettsucht), Hypertonie (Bluthochdruck), Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörung, die Rolle der Ernährung für ein gesundes Altern sowie die biologischen Grundlagen von Nahrungsauswahl und Ernährungsverhalten. Mehr unter http://www.dife.de. Das DIfE ist zudem ein Partner des 2009 vom BMBF geförderten Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD). Weitere Informationen zum DZD finden Sie unter https://www.dzd-ev.de.

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 91 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.600 Personen, darunter 9.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,7 Milliarden Euro. Mehr unter https://www.leibniz-gemeinschaft.de/start/.

Kontakt:

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Abteilung Fettzell-Entwicklung und Ernährung
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal/Deutschland
Tel.: +49 (0)33200 88-2114/-2110
E-Mail: tim.schulz@dife.de

Thomas Ambrosi
Abteilung Fettzell-Entwicklung und Ernährung
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal/Deutschland
Tel.: +49 (0)33200 88-2111
E-Mail: thomas.ambrosi@dife.de

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Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
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