Deutschland hinkt bei der Schaffung zukunftsorientierter Arbeitsbedingungen hinterher

Berufstätige in Deutschland haben zu wenig eigene Entscheidungs- und Handlungsspielräume, um den Herausforderungen der modernen Arbeitswelt gewachsen zu sein. Andere Länder wie die Benelux-Staaten und Skandinavien sind hier schon viel weiter fortgeschritten.

„Wir laufen mit einigen osteuropäischen Staaten der aktuellen Entwicklung hinterher“, stellt Univ.-Prof. Dr. Christian Dormann von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz fest. „Dadurch verschenken wir als Nation unendlich viele wertvolle Ressourcen.“ Der Leiter der Abteilung Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie am Psychologischen Institut befürchtet darüber hinaus, dass das Bachelorsystem nicht in der Lage ist, die Studierenden ausreichend auf die künftigen Arbeitsanforderungen vorzubereiten.

Dormann untersucht im Rahmen einer Studie mit der TU Darmstadt, wie die Arbeitswelt im Jahr 2030 aussehen wird und welche Konsequenzen in der Folge zu erwarten sind. Dienstleistungstätigkeiten werden demnach weiter vordringen und in 15 Jahren wahrscheinlich schon einen Anteil von 85 bis 90 Prozent ausmachen. Dies wird, so die Erwartungen des Mainzer Wirtschaftspsychologen, fundamental neue Anforderungen und Belastungen für die Erwerbstätigen mit sich bringen. Da ist zum einen das „Emotionsmanagement“, also die Fähigkeit zur Regulation der eigenen Gefühle, die künftig nicht nur von bestimmten Berufsgruppen wie Krankenpflegern und Erziehern erwartet wird, sondern von ganz vielen Erwerbstätigen, die ihrem Auftraggeber, ihrem Projektleiter oder ihrem Kooperationspartner Gefühle der Sicherheit, des Vertrauens und der Sympathie vermitteln sollten.

„Fähig zu sein zur eigenen Emotionskontrolle ist aber nur eine zentrale Anforderung an die Beschäftigten der Zukunft. Das gesamte Selbstmanagement wird sehr viel wichtiger werden.“ Und genau hier sieht Dormann Deutschland unter den europäischen Schlusslichtern. „Es ist wichtig, dass die Menschen selbst Entscheidungen treffen können, dass sie selbst Verantwortung übernehmen, sich eigene Ziele setzen und dass sie ihre Zeit selbst einteilen können.“ Denn die Aufgaben werden viel zu komplex, als dass der klassische Vorgesetzte noch alles überblicken und kontrollieren könnte.

Aber die Organisationen und Betriebe müssen diese Freiräume einrichten und daran hapert es: „Die Kompetenzen verkümmern in den Betrieben.“ Aber nicht nur das. Weil die Anforderungen trotzdem steigen, die Einflussmöglichkeiten in Deutschland aber gering sind, finden wir hierzulande zahlreiche „Stressjobs“ im Gegensatz zu den sogenannten „active jobs“, die durch hohe Anforderungen, aber auch einen hohen Grad von Einflussmöglichkeiten gekennzeichnet sind. „Das muss sich ändern“, fordert Dormann, auch im Hinblick auf den Krankenstand in deutschen Unternehmen. „Wir könnten deutlich weniger Absentismus und weniger psychische Erkrankungen haben.“

Nicht nur die Arbeitgeber sind hier gefordert, auch die Arbeitnehmer und Freiberufler müssen das Ihre beisteuern – und das wird nicht jedem gelingen. Dormann erwartet eine neue, psychische Zweiteilung der Gesellschaft. Da sind die einen, die zu einem erfolgreichen Selbstmanagement in der Lage sind und an ihren Aufgaben wachsen werden. Aber da sind auch die anderen, die bei der eigenen Selbstregulation weniger erfolgreich sind und die mehr Schwierigkeiten haben werden als heute, am Arbeitsmarkt nicht nur wirtschaftlich, sondern auch psychisch zu bestehen. „Es hat sich gezeigt, dass ohne erfolgreiches Selbstmanagement und insbesondere auch ohne erfolgreiches Emotionsmanagement die Wahrscheinlichkeit drastisch steigt, von der Arbeit zerrieben zu werden.“

Es wird auch vor diesem Hintergrund künftig eine zentrale Aufgabe des deutschen Ausbildungssystems sein, die Selbstmanagement-Fähigkeiten zu fordern und zu fördern. Allerdings ist da im Augenblick von den Universitäten wenig zu erwarten. Dormann zufolge ist der Wechsel von den wenig vorstrukturierten Diplomstudiengängen zu dem durchorganisierten Bachelorsystem nicht gerade dienlich. Mussten die Studierenden sich bislang selbst Informationen beschaffen, sich selbst zum kontinuierlichen Lernen anhalten, für sich selbst ein Studienkonzept entwickeln und sich insgesamt viel selbst kümmern, so sei dies bei den Bachelorstudiengängen weniger zu erwarten. „Daher war Selbstmanagementkompetenz eine Fähigkeit, die früher weit mehr zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Studienabgängern unterschieden hat, als dies in Zukunft sein wird.“

Kontakt und Informationen:
Univ.-Prof. Dr. Christian Dormann
Psychologisches Institut
Abt. Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Tel. 06131 39-22422
Fax 06131 39-24242
E-Mail: cdormann@uni-mainz.de

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Petra Giegerich idw

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