Jugendkriminalität unter der Lupe

Warum werden Jugendliche straffällig?

Prof. Dr. Klaus Boers vom Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Münster und Prof. Dr. Jost Reinecke von der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld räumen in dem Buch „Delinquenz im Jugendalter:

Entstehung, Verlauf, Präventivmaßnahmen“, erschienen im münsterschen Waxmann-Verlag, auf empirischer Basis mit zahlreichen Vorurteilen über Jugendkriminalität auf. Die Studie beruht auf der seit 2000 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Längsschnittuntersuchung „Kriminalität in der modernen Stadt“. In Münster wurden vom 13. bis zum 16. Lebensjahr jedes Jahr dieselben 1.900 Jugendlichen befragt. In Duisburg läuft die Untersuchung seit 2002 mit 3.400 Befragten. Das jetzt erschienene Buch stellt die Befunde aus Münster vor.

Die Jugendkriminalität geht entgegen allen Vorurteilen seit dem Ende der 1990er Jahre zurück – auch bei schweren Eigentumsdelikten oder Raub. Bei der Polizei – also im Hellfeld der Kriminalität – wird jedoch seit Jahren eine stetige Zunahme der Körperverletzungen registriert. „Sie nehmen aber bei den direkt befragten Jugendlichen – also im Dunkelfeld – ebenfalls ab“, so Boers. Körperverletzungen würden heute häufiger angezeigt, die Polizei erfahre durch verstärkte Präventionsarbeit mehr. Und inzwischen ist sei auch der Versuch der Körperverletzung strafbar.

Nur ein Siebtel der in Münster befragten Täter nannte die Schule als Tatort. Meistens ging es um Diebstahl und Sachbeschädigungen, seit jeher schultypische Delikte. Bei schweren Köperverletzungen war für ein Prozent, bei einfachen Körperverletzungen nur für jeden zehnten Täter die Schule der Tatort. Nahezu alle Schüler fühlten sich in der Schule, auf dem Schulhof und dem Schulweg sicher. Auch das Schulklima sowie das Verhältnis zu den Lehrern wurden positiv beurteilt.

Dass Gewaltspiele und -filme Jugendliche zunehmend aggressiv machen, ist in der internationalen Forschung nur schwach belegt. „Der Inhalt der meisten Gewaltspiele, insbesondere der Ego-Shooter, ist Besorgnis erregend. Auch, dass vor allem Jungen aller Schulformen einen großen Teil ihrer Zeit mit solchen Spielen verbringen. Hier sind die Eltern und die Medienpädagogen gefordert“, sagt Reinecke. Die allermeisten Spieler könnten zwischen realen und virtuellen Welten aber sicher unterscheiden. Gewaltmedien könnten sich bei gewaltsam oder übertrieben streng erzogenen Jugendlichen allerdings etwas negativer auswirken.

Dass vor allem jugendliche Migranten kriminell werden, konnten die Wissenschaftler nicht pauschal nachweisen. Es geht hier vor allem um die Gewaltkriminalität. Bei anderen Delikten sind Migrantenjugendliche ohnehin weniger auffällig. Und natürlich sind nicht alle Migrantengruppen betroffen. Gewalttätiger sind die sozial erfolgloseren: mit weniger Bildung, mit geringem Einkommen, aus schlechteren Wohnvierteln und mit hoher Arbeitslosigkeit. Solche Migrantenjugendliche sind allerdings meist kaum noch gewalttätiger als ähnlich benachteiligte deutsche Jugendliche. In den vergangenen Jahren ist die Kriminalität von Migrantenjugendlichen zurückgegangen. In der Polizeistatistik und im Gefängnis ist der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund jedoch zum Teil deutlich höher, was auf ein größeres Anzeige- und Verurteilungsrisiko schließen lässt. Ein größeres Problem sei, dass nicht die kürzlich Eingewanderten, sondern diejenigen, die schon länger hier leben oder hier geboren wurden, auffälliger sind. Die Wissenschaftler meinen deshalb, „dass wir den richtigen Dreh mit der Integration dieser Jugendlichen noch nicht raus haben.“

Insgesamt sind Mädchen um ein Mehrfaches weniger gewalttätig als Jungen und treten drei- bis sechsmal seltener als Intensivtäterinnen auf. Türkische Mädchen sind noch weniger gewalttätig als deutsche.

Ein Drittel der münsterschen 16-Jährigen gibt an, öfter als einmal im Monat betrunken zu sein, und ein Fünftel, häufiger als fünfmal im Jahr Marihuana oder Haschisch zu nehmen. Problematisch ist das auch insofern, als verstärkter Alkohol- und intensiver Drogenkonsum mit erhöhten Gewalttätigkeiten einhergehen. In Duisburg wurde übrigens deutlich weniger als in Münster konsumiert, vor allem weniger unter türkischen Jugendlichen. Das ist einer der Gründe, warum sie sich in der Gewaltkriminalität von den Einheimischen nicht weiter unterschieden.

Amerikanische Studien belegen, dass es keine Wundermittel zur Gewaltprävention gibt. So bewirken abschreckende, einschüchternde oder einfach nur harte Strafen bei Gewalttätern im besten Falle wenig, meistens sind sie kontraproduktiv. Aber durch eine Differenzierung, zum Beispiel nach Delikten, Tätergruppen und sozialer Umgebung, mit mehreren aufeinander abgestimmten Maßnahmen vernetzter Institutionen – Jugendhilfe, Schule, Therapie, Polizei und Justiz – lasse sich etwas erreichen, ist Boers optimistisch. „Zum Beispiel mit einer Kombination aus gezielter Tatbearbeitung, Täter-Opfer-Ausgleich, Aufbau des Norm- und Rechtsbewusstseins, Neugestaltung tragfähiger sozialer und beruflicher Bindungen und nicht zuletzt einer zurückhaltenden Sanktionierung.“

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Brigitte Nussbaum idw

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