FiBS-Studie: Krippen-Ausbau kann sich auf Dauer selbst finanzieren

Wenn der Bund die Investitionen weitgehend übernehmen würde und die Elternbeiträge berücksichtigt werden, verbleiben für Länder und Kommunen Mehrausgaben von 2,5 Mrd. Euro pro Jahr. Beschäftigungseffekte und Einsparungen beim Kindergeld durch sinkende Kinderzahlen können diese Kosten decken.

Eine aktuelle Studie des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) zeigt, dass unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung in Deutschland in den westdeutschen Ländern bis 2013 bis zu 450.000 Krippenplätze fehlen, will man eine Versorgung von 35 Prozent für die 0- bis 3-Jährigen erreichen, wie sie die Bundesfamilienministerin vorschlägt. Durch Umwidmung von Plätzen für die 3- bis 5-Jährigen reduziert sich die Zahl der neu zu errichtenden Krippenplätze um bis zu 50.000 auf 400.000 Plätze. Für diesen Ausbau sind insgesamt rund 3,3 bis 3,6 Mrd. Euro erforderlich. Von diesen Kosten würden sich jährlich fast 550 Mio. Euro über Elternbeiträge finanzieren. Die auf die Nutzungszeit umgelegten jährlichen Investitionskosten belaufen sich auf 400 Mio. Euro. Da nach den geltenden Finanzierungsregelungen der Bund sich direkt nur an den Investitionen beteiligen kann, müssen die Länder bzw. Kommunen in jedem Fall die laufenden Ausgaben tragen. Diese würden sich auf knapp 2,5 Mrd. Euro belaufen.

Wenn dadurch aber den Eltern, insbesondere den Müttern eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht wird, können diese laufenden Mehrausgaben schon bei moderaten Beschäftigungseffekten durch höhere Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen weitgehend gedeckt werden. Zusammen mit den demografisch bedingten Minderausgaben beim Kindergeld ist sogar eine vollständige Refinanzierung der Mehrausgaben möglich. Ein Verzicht auf die nächste Kindergelderhöhung wäre insofern nicht nötig – er wäre auch höchst ungerecht. Die neue FiBS-Untersuchung liefert damit dem heutigen „Krippengipfel“ von Bund, Ländern und Kommunen in Berlin wichtige Informationen zum Ausbaubedarf, zu den damit verbundenen Kosten und deren Finanzierung.

Nachdem Bundesfamilienministerin Dr. Ursula von der Leyen 500.000 zusätzliche Krippen-Plätze für die unter 3-Jährigen gefordert hat, ist der längst fällige Ausbau der Kinderbetreuung endlich in der politischen Diskussion angekommen. Deshalb hat das FiBS den Ausbaubedarf auf der Basis der demografischen Entwicklung und der aktuellen Versorgungslage in den einzelnen Bundesländern sowie die damit verbundenen Mehrkosten errechnet und Wege zur Finanzierung der zusätzlichen Ausgaben betrachtet.

„Der Ausbau könnte sich quasi selbst finanzieren“, fasst Bildungsökonom Dr. Dieter Dohmen, der Direktor des FiBS, das Ergebnis der Berechnungen zusammen. „Wenn nur jede zweite Familie ein zusätzliches Erwerbseinkommen von durchschnittlich 1.100 Euro erwirtschaften kann, fließen den öffentlichen Kassen insgesamt rund 1,8 Mrd. Euro zu. Zusammen mit den Minderausgaben beim Kindergeld von 630 Mio. Euro könnten die notwendigen jährlichen Mehrausgaben der Länder und Kommunen von knapp 2,5 Mrd. Euro für den Ausbau von 400.000 zusätzlichen Krippenplätzen finanziert werden.“

Was das für die einzelnen Länder heißt, zeigt die FiBS-Studie ebenso. In den westdeutschen Ländern gab es im März 2006 laut Statistischem Bundesamt insgesamt 136.000 Betreuungsplätze für unter 3-Jährige. Dies entspricht einer Betreuungsquote von knapp acht Prozent. In den neuen Ländern ist die Versorgung mit Krippenplätzen deutlich besser. Hier können rund 40 Prozent aller unter 3-Jährigen entsprechend betreut werden. Der Ausbau der Krippenplätze ist daher vor allem ein westdeutsches Thema.

Aber auch in den einzelnen Ländern ist die Versorgungslage und dementsprechend der Ausbaubedarf sehr unterschiedlich. Während in Hamburg jedes fünfte Kind einen Krippenplatz hat, ist es in Niedersachsen nur jedes zwanzigste. Um, wie von der Bundesfamilienministerin vorgeschlagen, 35 Prozent aller unter 3-Jährigen betreuen zu können, müssten in den alten Ländern zusammen rund 400.000 neue Plätze geschaffen werden. Die Versorgungsquote in den neuen Ländern liegt bereits bei 40 Prozent, sodass dort kein weiterer Ausbau nötig wäre. Fast zwei Drittel des Ausbaus entfallen auf die großen Flächenländer Nordrhein-Westfalen (rund 120.000), Bayern (knapp 80.000) und Baden-Württemberg (rund 65.000). Danach folgen Niedersachsen mit rund 55.000, Hessen mit 35.000, Rheinland-Pfalz mit über 20.000 und Schleswig-Holstein mit über 15.000 Plätzen. In Hamburg, Bremen und dem Saarland werden jeweils bis zu 5.000 zusätzliche Plätze benötigt. Die am Freitag publik gewordenen Ausbauzahlen aus einigen Bundesländern sind meist aber nicht einmal halb so hoch. Selbst Nordrhein-Westfalen, das seinen Bestand verdreifachen will, müsste seine Anstrengungen noch einmal verdoppeln, um die angestrebten 35 Prozent zu erreichen.

Auch hier entfallen rund zwei Drittel der Mehrausgaben der gesamten laufenden Mehrausgaben von insgesamt 2,5 Mrd. Euro auf Nordrhein-Westfalen (800 Mio. Euro), Baden-Württemberg (380 Mio. Euro) und Bayern (340 Mio. Euro). Es folgen Niedersachsen (300 Mio. Euro), Hessen (240 Mio. Euro) und Rheinland-Pfalz (200 Mio. Euro). Auf jeweils unter 100 Mio. Euro belaufen sich die Kosten in Schleswig-Holstein (90 Mio. Euro), Hamburg (50 Mio. Euro) sowie Saarland (30 Mio. Euro) und Bremen (30 Mio. Euro).

Die für die Errichtung von Krippenplätzen notwendigen Kosten können nach der Untersuchung des FiBS vor allem aus zwei Quellen finanziert werden. Aus demografischen Gründen ist in Westdeutschland in den kommenden Jahren von sinkenden Kinderzahlen bei den 0- bis 5-Jährigen auszugehen. Daraus resultieren Minderausgaben von 630 Mio. Euro beim Kindergeld. Diese Einsparungen, die zur Finanzierung des Ausbaus eingesetzt werden könnten, entfallen zu je 42,5 Prozent auf Bund und Länder und 15 Prozent auf die Kommunen. Die verbleibenden rund 1,8 Mrd. Euro können durch Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer und den Sozialversicherungen finanziert werden, wenn Eltern, insbesondere Mütter zusätzlich erwerbstätig sein könnten. Ein entsprechender Einnahmebetrag würde sich schon ergeben, wenn in jeder zweiten Familie 1.100 Euro zusätzlich verdient würden. Alternativ könnten 140.000 zusätzliche Erwerbstätige mit einem Durchschnittseinkommen von 1.500 Euro oder 250.000 Personen mit einem Einkommen von 1.000 Euro monatlich diesen Betrag erwirtschaften. „Nimmt man die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Politik und Gesellschaft ernst“, erklärt Dohmen, „und baut aus diesem Grund den Kita-Bereich aus, dann reichen schon vergleichsweise moderate Beschäftigungseffekte aus, um die erforderlichen Mehrausgaben zu finanzieren. Man braucht keine extremen Annahmen, um zu zeigen, dass sich der Ausbau auch fiskalisch rechnet.“

Die zentralen Tücken des deutschen Systems zur Kinderbetreuung liegen darin, wie die Ausgaben zur Finanzierung des Ausbaus und die aus dem Ausbau resultierenden Mehreinnahmen verteilt werden. Rund zwei Drittel der zusätzlichen Einnahmen fließen den Sozialversicherungen zu, die aber an der Finanzierung des Ausbaus nicht beteiligt sind. Die Kommunen hingegen, die die neuen Plätze überwiegend bezahlen sollen, erhalten gerade einmal rund fünf Prozent. „Jeden kommunalen Kämmerer, der unter dieser Voraussetzung einem Ausbau zustimmt, müsste man fragen, ob er sein Handwerk wirklich versteht“, spitzt Dohmen zu. „Selbst die Länder können unter fiskalischen Gesichtspunkten nur ein begrenztes Interesse am Ausbau haben, obwohl sie später durch bessere Schulleistungen der früher geförderten Kinder profitieren würden. Es ist daher nur allzu verständlich, dass die von Ländern und Kommunen vorgelegten Ausbauzahlen weit hinter dem eigentlich Wünschenswerten zurückbleiben. Der Bund und die Sozialversicherungen müssen unbedingt in die Finanzierung – etwa durch Übernahme der Investitionskosten – eingebunden werden. Sonst bleibt der Ausbau bei weitem hinter dem Ziel von 35 Prozent zurück und liegt damit nach wie vor unter dem europäischen Durchschnitt.“

Eine Umverteilung eines halben Punktes bei der Umsatzsteuer zugunsten der Länder lehnt Dohmen ab. „Dann können die Länder frei über die Verwendung der Mehreinnahmen entscheiden und die Erfahrung der Vergangenheit lehrt, dass diese Gelder dann nicht dort ankommen müssen, wo sie ankommen sollen, nämlich beim Ausbau der Krippenplätze. Der Bund sollte sich nur dann finanziell beteiligen, wenn auch wirklich ausgebaut wird“, fordert der Bildungsökonom.

Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS)
Das FiBS ist eine unabhängige Forschungs- und Beratungseinrichtung für Ministerien auf Bundes- und Länderebene, Bildungs- und Sozialeinrichtungen, Unternehmen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Stiftungen, Fachverbände und internationale Organisationen. Die Analysen, übergreifenden Studien, konkreten Modelle und Strategiekonzepte behandeln alle ökonomischen Aspekte von Bildung, sozialen Fragen, Arbeitsmarkt und Innovation. Frühkindliche Bildung und Lebenslanges Lernen spielen dabei eine zentrale Rolle.

Kontakt: Birgitt A. Cleuvers (FiBS), Tel. 0 30 – 84 71 22 3-20

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