Kopf frei für das Wesentliche

Mathematiker sind weltfremd, Biologen tierlieb, Frauen sensibel und Männer durchsetzungsstark: Klischees bestimmen unsere Vorstellung, oft sogar mehr, als uns lieb ist. Was aber, wenn es ein junges Mädchen ist, das den Banküberfall verübt, oder ein gefährlich aussehender Punk, der der alten Dame über die Straße hilft? Solche „unerwarteten“ Informationen merken wir uns besonders gut, hat Katja Ehrenberg, Psychologin an der Universität Bonn, in einer jetzt abgeschlossenen Studie festgestellt. Unser Gehirn ist so vermutlich in der Lage, neue Informationen effizienter zu verarbeiten.

Robert ist Skinhead, Stefan Sozialpädagoge, und beide haben etwas gemeinsam: Sie existieren nur in den kryptischen Zeichenfolgen eines Computerprogramms, mit dem Katja Ehrenberg vom Institut für Psychologie an der Universität Bonn den Sinn sogenannter „Stereotypen“ untersucht.

Am Bildschirm hat die Doktorandin zum Klischee passende Portraitfotos gebastelt – Robert kahlgeschoren, bullig, mit kalten Augen, Stefan mit gescheitelter Mähne und einem offenen Lächeln auf dem Gesicht. Außerdem hat sich Ehrenberg zu ihren beiden Protagonisten eine Reihe von Aussagen einfallen lassen, positive und negative: zum Beispiel, dass Skin Robert seinen Freunden hilft, wo er kann, seinen Müll trennt und keine Ausländer mag. Oder dass Stefan für Bettler nie eine Mark übrig hat, grundsätzlich nicht sein Auto verleiht, aber ein guter Zuhörer ist und gut mit Kindern umgehen kann.

Insgesamt 460 Versuchspersonen haben Robert und Stefan inzwischen kennengelernt, mitsamt ihren positiven und negativen Eigenschaften. Sollten sie nach dem Experiment die einzelnen Aussagen wieder der richtigen Person zuordnen, so gelang ihnen das wesentlich häufiger, wenn die entsprechende Eigenschaft im Widerspruch zur Erwartungshaltung gestanden hatte:

Daran, dass Stefan Bettlern kein Geld gibt, erinnerten sich mehr Versuchspersonen als daran, dass er gut zuhören kann. Dieser Effekt verstärkte sich, wenn die Probanden während des Experiments abgelenkt waren – nebenbei „mit einem Ohr“ aufgeschnappte Informationen prägt man sich vor allem dann ein, wenn sie überraschend sind.

„Dass wir uns vor allem Abweichungen von der erlernten Norm merken, ist durchaus sinnvoll“, ist die Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Sozial- und Persönlichkeitspsychologie von Prof. Dr. Karl Christoph Klauer überzeugt. „In der Regel fahren wir damit nicht schlecht: Alles, was nicht zu unseren Erfahrungen passt, merken wir uns, und ansonsten orientieren wir uns an den Stereotypen. Ohne diese Strategie wären wir angesichts der Informationsfülle, die täglich auf uns hereinprasselt, völlig überfordert.“ Die Klischeebilder dienen uns sozusagen als Schablone, zu der wir nur noch die Abweichungen registrieren. So kann unser Gehirn die zu verarbeitende Datenmenge auf ein erträgliches Maß reduzieren, indem es alles, was uns nicht überrascht, vergisst und bei Bedarf aus dem Klischeebild rekonstruiert.

Nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren übrigens auch DVD-Filme: Da die unkomprimierte Filmversion zu groß ist für die silberne Scheibe, merken sich DVDs – vereinfacht gesprochen – nur den Unterschied zwischen den aufeinanderfolgenden Videobildern, und das fast ohne sichtbare Qualitätseinbußen. Ohne diesen Trick würde auf die DVD nur ein Kurzfilm passen.

Ansprechpartnerin für die Medien: Katja Ehrenberg, Psychologisches Institut der Universität Bonn, Tel.: 0228/73-4583, Fax: 0228/73-4229, E-Mail: katja.ehrenberg@uni-bonn.de

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Frank Luerweg idw

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