Stirnlappen kontrolliert den Egoismus

Zivilisiertes menschliches Zusammenleben setzt die Einhaltung elementarer sozialer Normen wie Fairness, Kooperation, Höflichkeit oder Ehrlichkeit voraus. Die Einhaltung solcher Normen wird unter anderem durch die Zivilcourage unserer Mitmenschen sichergestellt, die bereit sind, Normverletzern entgegenzutreten und sie gegebenenfalls auch zu bestrafen. Die Einzigartigkeit menschlicher Gesellschaften beruht darauf, dass viele Menschen die Bereitschaft zu reziproker Fairness haben, d.h. bereit sind, auf die Verletzung von Fairnessnormen mit Sanktionen zu reagieren.

Allerdings ist die Bestrafung unfairen und unkooperativen Verhaltens in aller Regel auch für den Bestrafenden nicht kostenlos. So kann die Kritik unfairer Praktiken eines Geschäftspartners den Verlust profitabler Geschäfte mit sich bringen. Die offene Kritik unethischer Praktiken von Arbeitskollegen kann zum Verlust des Arbeitsplatzes führen. Zivilcourage und faires Verhalten stehen deshalb häufig im Widerspruch zum ökonomischen Eigennutz und verlangen die Kontrolle und Unterdrückung egoistischer Impulse.

Wie kontrolliert das Gehirn den Eigennutz?

Wie reguliert nun das menschliche Gehirn die Kontrolle eigennütziger Impulse? Wie schaffen es die Menschen, durch Selbstkontrolle die ungehemmte Auslebung des Eigennutzes zu verhindern? Welche neuronalen Prozesse liegen der Selbstkontrolle zugrunde? Einem Forschungsteam der Universität Zürich um den Wirtschaftswissenschaftler Prof. Ernst Fehr und die Hirnforscherin Daria Knoch in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Kollegen Alvaro Pascual-Leone (Harvard University) ist es jetzt gelungen, diese Fragen zu beantworten.

Bis dahin liessen Studien mit bildgebenden Verfahren vermuten, dass der vordere Stirnlappen – der evolutions- und individualgeschichtlich am spätesten ausreift – an der Ausübung von Selbstkontrolle beteiligt ist. Aber noch niemand konnte zeigen, dass diese Aktivierung mit der Ausübung von Selbstkontrolle in einem ursächlichen Zusammenhang steht.

Aus diesem Grund bedienten sich die Zürcher Wissenschaftler der Methode der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS). Diese Methode erlaubt eine schmerzfreie, nicht-invasive, und kurzzeitige Minderung der Erregbarkeit des stimulierten Gehirnrindenareals. Dabei kann das Verhalten von freiwilligen Versuchspersonen untersucht werden, wenn diese vor der Entscheidung stehen, das unfaire Verhalten eines Partners in einem Verhandlungsexperiment auf eigene Kosten zu bestrafen. Da die Bestrafung mit Kosten verbunden ist, muss die Versuchsperson, wenn sie bestrafen will, den materiellen Eigennutz überwinden bzw. unter Kontrolle halten.

Reduzierte Kontrolle

Es zeigte sich, dass Probanden, bei denen die Erregbarkeit des vorderen Stirnlappens vermindert wurde, ihren Eigennutz weit weniger kontrollieren konnten als Probanden, bei denen die Erregbarkeit des vorderen Stirnlappens nicht verändert wurde. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass alle Probanden – unabhängig davon ob ihr vorderer Stirnlappen stimuliert wurde oder nicht – das Verhalten des Verhandlungspartners als sehr unfair beurteilten. Die verminderte Erregbarkeit des vorderen Stirnlappens hat demnach nicht die Fairnessurteile verändert, sondern die Fähigkeit reduziert, den materiellen Eigennutz im Dienste der Fairness zu unterdrücken.

Ernst Fehr, Direktor des universitären Forschungsschwerpunktes zur Erforschung der Grundlagen des menschlichen Sozialverhaltens an der Universität Zürich, stellt daher mit Befriedigung fest: „Mit dieser Studie ist es erstmalig gelungen, die kausale Rolle des vorderen Stirnlappens bei der Implementierung von Fairnessnormen nachzuweisen und die Kontrolle eigennütziger Impulse, die für unser Sozialverhalten eine Schlüsselrolle spielt, durch Magnetstimulation zu modulieren.“

Erklärung für jugendliche Eigennützigkeit

Befürchtungen über eine missbräuchliche Anwendung von rTMS müssen laut der Neurowissenschaftlerin Daria Knoch aber nicht bestehen, da der rTMS-Effekt nur von sehr kurzer Dauer ist und ein Einverständnis der zu stimulierenden Person voraussetzt. Die Resultate sind laut Knoch auch im Lichte der Gehirnentwicklung Heranwachsender interessant. So hat der vordere Stirnlappen bei Teenagern und Jugendlichen seinen vollen Funktionsumfang noch nicht erreicht, was deren oft durch Impulse und unmittelbaren Eigennutz gekennzeichnetes Verhalten erklären könnte.

Kontakte:

Prof. Ernst Fehr, Direktor des Universitären Forschungsschwerpunktes „Grundlagen des menschlichen Sozialverhaltens“, Universität Zürich
Tel. 0041 44 634 37 09
E-Mail: efehr@iew.unizh.ch
Daria Knoch, Universitärer Forschungsschwerpunkt „Grundlagen des menschlichen Sozialverhaltens“, Universität Zürich
Tel. 0041 44 634 48 09
E-Mail: dknoch@iew.unizh.ch

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Beat Müller idw

Weitere Informationen:

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