Motivationsanalyse Potsdamer Psychologen zur Computernutzung in der Freizeit

Wenn wieder einmal ein Computervirus oder Wurm größeren Schaden im weltweiten Computernetz anrichtet, so wird das in der Öffentlichkeit den Hackern zugeschrieben. Damit sind Computerexperten gemeint, die in ihrer Freizeit auf ihre Tastatur einhacken, daher der Name, und sich in der elektronischen Medienwelt souverän, aber unkontrolliert bewegen. Häufig sind sie in Netzwerken oder Clubs zusammengeschlossen. Die Frage ist, was diese Tätigkeit so attraktiv macht, dass dieser Personenkreis auch in der Freizeit vor dem Bildschirm verharrt. Dieser Frage ging der Psychologe Prof. Dr. Falko Rheinberg von der Universität Potsdam nach.

Aus bereits vorliegenden Erhebungen wie auch aus Vorinterviews wurde ein umfangreicher Katalog von Anreizen freizeitlicher Computernutzung gewonnen und in Fragebogenform im Internet präsentiert. Auf diese Seite wurden dann gezielt engagierte Nutzer aufmerksam gemacht, so beispielsweise Fachschaften von Informatik- und Elektronikstudierenden aus zehn deutschen Universitäten und der Chaos Computer Club. Insgesamt 300 intensive Computernutzer hatten auf dieser Internetseite anonym Angaben zur Art ihrer bevorzugten Computernutzung gemacht und dazu, welche Anreize für sie diese Tätigkeit besonders attraktiv machen.

Die durchschnittlich 25 Jahre alten Probanden, von 16 bis 65 Jahre, waren zu 87 Prozent männlich und verbrachten pro Woche durchschnittlich 23 Freizeitstunden am Rechner. Auf der Basis der bevorzugten Nutzungsweisen lassen sich drei Typen von Nutzern bilden. Die größte Gruppe mit 58 Prozent sind zweckorientierte Nutzer. Hier ist der Rechner ein Hilfsmittel für eine breite Palette von Anwendungen. Dieser Nutzertyp macht ungefähr das, was auch andere Freizeitnutzer tun, nur viel intensiver. Zudem bastelt dieser Typus gerne an der Hardware, um den Rechner technisch zu optimieren.

Interessanter sind zwei weitere Typen, die beide angeben, den Rechner in der Freizeit auch dazu zu nutzen, unerlaubt in fremde Systeme einzudringen. Der ersten Gruppe (22 Prozent der Befragten), die sich als Hacker bezeichnen, geht es nicht darum, Schaden anzurichten, sondern lediglich darum, den Systemschutz zu überwinden und eventuell auch geschützte Informationen zu veröffentlichen.

Hierin unterscheiden sie sich klar vom dritten Typus, den die einschlägige Computerszene Cracker (20 Prozent) nennt. Diese Gruppe dringt in geschützte Systeme ein, um dort Schaden zu bewirken, indem sie Informationen verändern oder zerstören. Sie sind ausdrücklich bereit, Viren oder Würmer zu schaffen beziehungsweise haben es bereits gemacht. Viren, Würmer und Trojaner sollte man danach nicht Hackern, sondern Crackern zuschreiben. Bei der Selbstcharakterisierung der bevorzugten Computeraktivität überraschte die Wissenschaftler diese scharfe Trennung der Nutzertypen Hacker und Cracker, die beide viel Engagement zeigen, um in geschützte Systeme einzudringen. Der Unterschied zwischen beiden wird deutlich bei der Betrachtung der Anreize, die zur intensiven Freizeitnutzung von Computern motivieren.

Die Gesamtstichprobe zeigt, dass Dinge, die etwas mit gemeinsamen Aktionen am Rechner und mit Vernetzungen zu tun haben, überraschenderweise den höchsten Anreiz dafür besitzen, die Freizeit so ausgiebig am Rechner zu verbringen (Anreiz: Zugehörigkeit/Gemeinschaft). Die Wissenschaftler erklären sich diesen Befund mit der Rekrutierungsstrategie, mit der sie bevorzugt Mitglieder einschlägiger Netzwerke und Clubs angesprochen hatten. Durchschnittlich fast gleichstark sind die Anreize des Kompetenzerlebens. Dagegen sind die „vernünftigen“ Anreize, nämlich Vielseitigkeit und Nutzen des Rechners für die intensiven Computernutzer, nur mäßig attraktiv. Ähnliches gilt für die Anreize der Vermeidung von Langeweile und die rebellische Illegalitätstendenz/Aufregungssuche/Prestige („die Mächtigen zu beunruhigen“, „unerkannt Verbotenes zu tun“). Gerade bei der letzten Anreizgruppe gibt es die größten Unterschiede zwischen Hackern und Crackern. Für Cracker sind das die stärksten Anreize. Für Hacker ist dagegen das Kompetenzgefühl das wichtigste. Sie wollen erleben, dass sie immer besser werden und schwierigste Anforderungen schaffen.

Obwohl Hacker und Cracker, auch unerlaubt, in geschützte Systeme eindringen, machen sie es mit deutlich anderer Zielsetzung und werden über andere Anreize motiviert. Dabei wertet es Falko Rheinberg als Glücksfall, dass der auf Schaden zielende Cracker über die rebellische Illegalitätstendenz und nicht über die Kompetenzfreude motiviert ist. Wer nämlich Freude an der Kompetenzsteigerung per se hat, der entwickelt meist eine höhere Expertise. Glücklicherweise ergibt sich für Cracker die Anreizstruktur, dass sie sich Kompetenzen aneignen, um etwas anderes genießen zu können, nämlich Systeme zu (zer)stören.

Kompetenzerwerb im Dienst anderer Ziele ist meist weniger freudvoll und effizient. Beiden Nutzertypen ist allerdings gemein, dass sie am Rechner häufig den Zustand des freudigen Aufgehens in der Tätigkeit erleben (Flow). Das unterscheidet beide von der großen Gruppe der zweckorientierten Nutzer, die so etwas bei ihrem „vernünftigen“ Freizeitgebrauch des Rechners zwar auch, aber seltener haben.

Die Untersuchungsergebnisse sind nicht repräsentativ, sondern beziehen sich auf eine gezielt rekrutierte Gruppe intensiver und kompetenter Computernutzer, die in einschlägigen Netzwerken organisiert sind und die in der Lage wären, Schäden in anderen Systemen anzurichten, wenn sie wollten.

Media Contact

Andrea Benthien idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-potsdam.de

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