Campus: die Hochschulform der Zukunft?

Ist die Campusanlage die Hochschulform der Zukunft? Was ist ein Campus? Ist der amerikanische Campus für deutsche Hochschulen eine sinnvolle Form? Im Auftrag der TU Darmstadt haben Judith Elbe vom Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung (ZIT) an der TUD, Julia Goldschmidt und Martin Wilhelm eine Studie zu diesem Thema erstellt, die jetzt als Buch erschienen ist.

Der Campus ist in der Debatte um die Zukunft der deutschen Hochschulen zu einem Projekt avanciert, an das viele Hoffnungen geknüpft sind: Der Begriff klingt nach Weltoffenheit, nach Harvard und Yale, nach Leistung und Elite. Doch taugt das US-amerikanische Modell als Vorbild für (neue) Universitätsanlagen in Deutschland?

Nein, bilanziert die Studie „Campus – zur Zukunft deutscher Hochschulräume im internationalen Vergleich“. Der Begriff Campus muss für Deutschland und Europa eine eigene Definition erhalten. Anhand einer städtebaulichen und architektonischen Analyse sowie qualitativen Interviews mit Studierenden zeigen die Autoren, dass ein US-amerikanischer Campus hierzulande nicht nötig ist und nur unter bestimmten Bedingungen für die Entwicklung der Hochschulen sinnvoll wäre.

Der Grund: Harvard, Yale und andere US-amerikanische Campus-Hochschulen sind autarke Gebilde, dort konzentrieren sich auf einem Quadratkilometer Institute und Theater, Wohnheim und Sportvereine. Hierzulande verteilen sich solche Einrichtungen über die gesamte Stadt, deren über Jahrhunderte gewachsene städtebauliche und gesellschaftliche Struktur sich schwerlich über Nacht ändern lässt.

Dazu kommt, dass die Vorstellung, dass ein Campus die Bedingung für die Produktion einer „Elite“ sei, nach Ansicht der Autoren nicht greift: Zwar hat die effiziente Organisation Vorteile, doch war das nie das Ziel des Campus. Der Campus ist vielmehr Ergebnis von Siedlungsstrukturen. Auch eine Universität in einer europäischen Innenstadt könne Elite produzieren.

Aus Sicht der Betroffenen sei ein Import des Campus-Modells zudem nicht wünschenswert: Forschungseinrichtungen arbeiteten in Deutschland sehr unabhängig von den Hochschulen und schätzten eine gewisse räumliche Distanz, Studierende lehnten das internatsähnliche Leben der Studierenden in den USA ab.

„Vernetzung ja, autarke Einheit nein“ lautet deshalb die Empfehlung der Autoren an Bildungspolitiker und Hochschulverwaltungen, Stadt- und Hochschulplaner sowie Architekten, Soziologen und Pädagogen und definiert neu: Die deutsche Hochschule ist ein Arbeitsort, der US-amerikanische Campus ist ein Lebensort. Der Campus im deutschen Sinne entsteht durch die Zusammenbindung studienrelevanter Einrichtungen mit Studentenquartieren und städtischer Kultur, eher durch vernetzende städtebauliche Maßnahmen als durch Abschottung und Konzentration. So leistet das Buch in der aktuellen Debatte um die Zukunft der deutschen Hochschulen einen wichtigen Beitrag, der weit über den architektonisch-planerischen Diskurs hinaus weist.

Martin Wilhelm, Architekt, kennt die deutsche Universität ebenso wie den US-amerikanischen Campus. Er war Projektleiter im Forschungsverbund Stadt2030-Dietzenbach und Co-Autor im Forschungsprojekt „Uni21“, zu dem auch die Arbeit für das Buch „Der Campus“ gehört. Judith Elbe ist Raumplanerin und Mitarbeiterin des ZIT, wo sie derzeit für ihre Promotion forscht. Julia Goldschmidt ist selbständige Architektin.

Das ZIT führt als zentrale interdisziplinäre Einrichtung der Technischen Universität Darmstadt die ingenieur-, natur-, sozial- und geisteswissenschaftlichen Fachbereiche zusammen. Die ZIT-Mitarbeiter betreiben problemorientierte Forschung und Lehre.

„Der Campus – zur Zukunft deutscher Hochschulräume im internationalen Vergleich“, Judith Elbe, Martin Wilhelm und Julia Goldschmidt, herausgegeben vom Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung (ZIT) der TU Darmstadt, 108 Seiten, Paperback, 127 meist farbige Abbildungen, 19,90 Euro, ISBN 3-936294-05-4

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