Mercer-Analyse untersucht Preise im deutschen Einzelhandel

Es gibt eine „Aldinative“: Vollsortimenter bieten Discountartikel zu Discountpreisen

  • Fast alle Vollsortimenter führen zahlreiche Artikel des täglichen Bedarfs zum Discountpreis
  • Einkäufe in diesen Preiseinstiegssortimenten zeigen keinen klaren Preisvorteil bei Aldi
  • Das Preisimage der Vollsortimenter muss verbessert werden
  • Effektivität und Effizienz der Preiseinstiegssortimente sind nachhaltig zu steigern

Viele Vollsortimenter haben inzwischen breite Sortimente mit einfachen Artikeln des täglichen Bedarfs aufgebaut. In einer aktuellen Analyse hat Mercer Management Consulting die Preise der so genannten Preiseinstiegssortimente untersucht und mit denen des führenden Discounters Aldi verglichen. Das Ergebnis: Die Preiseinstiegsartikel der meisten Vollsortimenter sind preisgleich mit denen von Aldi. Trotzdem haben die Supermärkte ein schlechteres Preisimage als der Topdiscounter. Ursache dafür ist der vorwiegend imitierende Ansatz der Vollsortimenter. Die „Aldinativen“ werden eingelistet und reißen große Preislücken zu den etablierten Marken auf. Die Artikelzusammenstellung und die Preishierarchie in den Warengruppen bleiben weitgehend unverändert. Wollen sich die Vollsortimenter im Verdrängungswettbewerb behaupten, müssen sie den Nutzen der Preiseinstiegssortimente signifikant steigern. Die Mercer-Analyse „Preiseinstiegssortimente der Supermärkte“ zeigt Lösungsansätze auf, die zu höherer Effektivität und Effizienz der „aldinativen“ Sortimente führen.

Der Anteil der Eigenmarken am Gesamtumsatz des deutschen Lebensmitteleinzelhandels (LEH) wächst seit Jahren überdurchschnittlich. Während der Handelsmarkenanteil in Westeuropa in den letzten zehn Jahren lediglich um 2,3 Prozent pro Jahr zulegen konnte, liegt die Wachstumsrate in Deutschland bei 7,2 Prozent. 2004 wurden erstmals mehr als 30 Prozent der Lebensmittelumsätze mit Handelsmarken erzielt. Hinter dieser Entwicklung steht in erster Linie das Wachstum der Discounter – allen voran Aldi, der bislang fast ausschließlich Eigenmarken führte. Doch auch bei den Vollsortimentern sind die Eigenmarken auf dem Vormarsch und erreichen zweistellige Umsatzanteile. Allerdings beschränkt sich dieses Wachstum weitgehend auf die Preiseinstiegsmarken, die so genannten „Aldinativen“. Dies sind einfache Artikel des täglichen Bedarfs, die hinsichtlich Aufmachung und Preis mit Aldi-Artikeln vergleichbar sind. Aus Sicht der Vollsortimenter handelt es sich dabei um Preiseinstiegssortimente, also Artikel, die die unterste Preislage pro Warengruppe darstellen.

Mit den Preiseinstiegssortimenten verfolgen die Vollsortimenter das Ziel, eine weitere Abwanderung der Kunden hin zu den Discountern zu verhindern. Dies hat weit reichende Konsequenzen. Trotz niedriger Preise kann ein Vollsortimenter mit seinen „Aldinativen“ nicht die Abverkaufsmengen der Discounter erreichen, da sich Transaktionen nicht nur auf diese Artikel konzentrieren, sondern auf die gesamte Warengruppe verteilen. „Ein Vollsortimenter wird immer höhere Kosten und niedrigere Margen bei Billigartikeln erzielen“, betont Sirko Siemssen, Principal und Handelsexperte von Mercer. „Die ’Aldinativen’ kannibalisieren höherpreisige und ertragsstärkere Marken sowie andere Eigenmarken und erhöhen den Ertrags- und Umsatzdruck. Trotzdem müssen die Vollsortimenter dieses Segment strategisch abdecken, um nicht noch mehr Marktanteile zu verlieren.“

Große Auswahl im Preiseinstiegssortiment

Im Oktober 2005 hat Mercer die Preise ausgewählter Artikel der Preiseinstiegssortimente großer Vollsortimenter mit denen des führenden Discounters Aldi verglichen. Insgesamt wurden stichprobenartig 19 Artikel des täglichen Bedarfs – etwa Speisequark, Orangennektar, Butter, Käseaufschnitt, Küchenrollen, Allzweckreiniger und Mehl – bei Aldi Süd, Kaufland, Wal-Mart, Minimal/HL, Real, Edeka und Tengelmann im Raum München eingekauft. Bei fast allen Einkäufen waren die Warenkörbe gleich teuer. James Bacos, Director und Handelsexperte von Mercer, fasst zusammen: „Es gibt keinen Preisvorteil bei Aldi. Die Preiseinstiegssortimente der meisten Vollsortimenter sind preisgleich mit dem Angebot des Discounters.“

Die Mercer-Analyse bringt gute Noten für die „Aldinativen“ zutage, verdeutlicht aber auch Verbesserungspotenzial. Die Preiseinstiegssortimente der Vollsortimenter werden häufig unter einer einheitlichen Marke positioniert. Kaufland beispielsweise nennt sein Preiseinstiegssortiment „K-Classic“, Extra und Real nutzen die Marke „Tip“, die Rewe-Gesellschaften die Marke „Ja!“. Dank des einheitlichen Erscheinungsbildes ist das Preiseinstiegssortiment innerhalb des Gesamtangebots für den Kunden gut erkennbar. Das gesamte Sortiment einer Aldi-Filiale umfasst 700 bis 1.500 Artikel. Die Sortimente der Vollsortimenter sind nicht immer zu 100 Prozent identisch. Zum Teil ist der Umfang ihrer Preiseinstiegssortimente etwas geringer. Doch vor allem die Großflächenbetreiber bieten mittlerweile ein ähnlich umfassendes und preisgleiches Sortiment wie Aldi an. In Teilbereichen ist die Auswahl sogar größer. Je nach Anbieter reichen die Preiseinstiegssortimente derzeit von rund 300 bis über 1.500 Artikel.

Vollsortimenter beim Preisimage im Hintertreffen

Die Billigartikel der Vollsortimenter sind nahezu preisidentisch mit den äquivalenten Aldi-Artikeln und bleiben dauerhaft auf diesem Niveau. So kosten 250 Gramm Speisequark mit 40 Prozent Fett bei Aldi Süd 0,35 Euro. Für den gleichen Preis ist ein äquivalentes Produkt bei Minimal/HL, Real, Kaufland, Wal-Mart (Marke „Smart Price“) oder Tengelmann (Marke „A&P“) erhältlich. Alle diese Artikel erfüllen das gleiche Grundbedürfnis. Aber trotz Preisgleichheit der „Aldinativen“ kommen die Vollsortimenter nicht an das gute Preisimage von Aldi heran. Die Preiszufriedenheit der Konsumenten mit den Discountern ist weitgehend unerreicht. Damit dürfen sich die Vollsortimenter nicht zufrieden geben.

Das schlechtere Preisimage der Vollsortimenter liegt unter anderem im Preismanagement des Markensortiments begründet. „Vor allem die enormen Preislücken zwischen den Preiseinstiegsartikeln und vergleichbaren Markenartikeln derselben Warengruppe verursachen große Wahrnehmungsnachteile“, konstatiert Siemssen. „Die Markenpreise liegen häufig mehr als 100 Prozent über den Preisen der ’Aldinativen’ und überlagern damit das attraktive Preiseinstiegssortiment. Der Kunde gewinnt dadurch den Eindruck, dass der Markt teuer ist. Wenn sich der Einkauf jedoch auf die Preiseinstiegsartikel beschränkt, gibt man nicht mehr Geld aus als bei Aldi.“

Effektivität und Effizienz des Preiseinstiegssortiments signifikant erhöhen

Der Nutzen der „aldinativen“ Angebote muss nachhaltig gesteigert werden, damit sich die hohen Investitionen rechnen und Vollsortimenter im Verdrängungswettbewerb bestehen können. „Die Frage ist nicht, ob ein Preiseinstiegssortiment sinnvoll ist, sondern wie es gestaltet, gesteuert und kommuniziert wird“, betont Bacos. „Alle Vollsortimenter sind gefordert, Preisimage und Marktanteilsgewinne sowie Kosten und Spanneneinsatz zu optimieren.“ Und er fügt hinzu: „Für bloßes Kopieren eines Wettbewerbersortiments ist noch kein Händler vom Konsumenten belohnt worden.“ Laut Mercer-Analyse lassen sich mit vier Lösungsansätzen, die konsequent Warengruppe für Warengruppe und Artikel für Artikel überprüfen, Effektivität und Effizienz der Preiseinstiegssortimente deutlich verbessern.

– Breite und Tiefe des Preiseinstiegssortiments: In manchen Warengruppen sind Preiseinstiegsartikel notwendiger als in anderen. Wo Kunden großen Wert auf Preiseinstiegsartikel legen, sollte das Angebot gestärkt, in anderen Warengruppen entsprechend reduziert werden. Hierfür lassen sich Kennzahlen bestimmen. Aufgrund der Kannibalisierungsproblematik sollte zudem der Grundsatz befolgt werden: Weniger ist mehr.

– Ausgestaltung pro Artikel: Alternative Packungsgrößen und andere Abwandlungen können dazu beitragen, das Restsortiment weniger zu kannibalisieren und die Differenzierung zu stärken. Hierzu ist es erforderlich, zunächst die Kannibalisierungseffekte und die Richtung von Mixverschiebungen zu verstehen.

– Warengruppenarchitektur (Preis und Sortiment): Häufig lassen sich große Preislücken zwischen Marken und Preiseinstieg oder der zu hohe Durchschnittspreis einer Warengruppe durch eine Anpassung des Sortiments reduzieren. Zum Teil sind sorgfältig kreierte Eigenmarkenartikel die einzige Möglichkeit, um eine „schiefe“ Preisarchitektur zu korrigieren. Im Ergebnis muss die Warengruppenarchitektur „gut, besser, am besten“ für den Kunden klar erkennbar sein. Entsprechend sorgfältig sind Sortiment und Preislagen aufeinander abzustimmen. Dafür müssen ebenfalls zunächst die Kannibalisierungseffekte und die Richtung von Mixverschiebungen verstanden werden.

– Preiskommunikation: Die Vollsortimenter müssen sich mit der Botschaft „Wir bieten alles aus einer Hand inklusive der ’Aldinativen’“ vom Discounthandel abgrenzen, ohne die Kannibalisierung der eigenen Sortimente zu beschleunigen. Entscheidend sind die Maßnahmen am Point of Sale. Auch hier muss die Struktur „gut, besser, am besten“ für den Kunden deutlich zu erkennen sein.

Bei einem Marktanteil der Discounter von fast 40 Prozent müssen große Vollsortimenter ein Preiseinstiegssortiment führen. Dies allein wird jedoch nicht ausreichen, um den Discountern die Preisimagevorteile streitig machen zu können. Die höheren Preise des Restsortiments und Faktoren wie Frische, hochwertige Produktverpackung und Marktambiente haben einen zu großen Einfluss auf die Kundenwahrnehmung. „Aus diesem Grund ist es wichtig“, so Siemssen, „dass die Vollsortimenter ihren ’Alles aus einer Hand’-Vorteil unterstreichen, den Preiseinstieg transparenter machen und die Auswahl an höherwertigen Sortimenten hervorheben.“

Erfolgsfaktoren für Vollsortimenter

1. Nahezu alle Vollsortimenter führen umfangreiche Preiseinstiegssortimente. Diese sind strategisch notwendig, um die Abwanderung zu den Discountern zu stoppen. Damit sich die hohen Investitionen für Vollsortimenter lohnen, müssen Effektivität und Effizienz der Preiseinstiegssortimente deutlich verbessert werden.

2. Breite und Tiefe des Preiseinstiegssortiments müssen systematisch geprüft und angepasst werden. In manchen Warengruppen sind Preiseinstiegsartikel notwendiger als in anderen – weniger ist oft mehr.

3. Preiseinstiegsartikel müssen sehr sorgfältig entwickelt und gestaltet werden, um die Kannibalisierung des Restsortiments zu reduzieren und die Differenzierung zu stärken. Einfache Kopien sind teuer und ineffektiv.

4. Sortimente und Preislagen sind sorgfältiger aufeinander abzustimmen. Für den Kunden muss die Warengruppenarchitektur „gut, besser, am besten“ transparent sein. Bei teureren Artikeln muss der Zusatznutzen klar erkennbar sein.

5. Bei der Preiskommunikation müssen sich die Vollsortimenter deutlicher vom Discounthandel abgrenzen („Wir bieten alles aus einer Hand inklusive der ’Aldinativen’“), ohne die Kannibalisierung der eigenen Sortimente zu beschleunigen.

Mercer Management Consulting ist Teil von Mercer Inc., New York, einer der führenden internationalen Unternehmensberatungen mit 160 Büros in 40 Ländern. Weltweit erwirtschaften 15.000 Mitarbeiter einen Umsatz von 3,1 Milliarden US-Dollar. Die Büros in München, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg, Hannover und Zürich tragen mit 520 Mitarbeitern zu diesem Erfolg bei.

Media Contact

Andrea Steverding presseportal

Weitere Informationen:

http://www.mercermc.de

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