Studie beziffert Anzahl der Tschernobylopfer

Chernobyl Forum geht von 4.000 Todesfällen aus

Die große Strahlungswolke, die 1986 durch den Reaktorunfall in Tschernobyl freigesetzt wurde, wird für den Tod von 4.000 Menschen verantwortlich sein. Zu diesem Ergebnis ist die bisher umfangreichste Studie zu diesem Thema gekommen. Die Strahlung verursachte zusätzlich 4.000 Fälle von Schilddrüsenkrebs bei jungen Menschen und verseuchte rund 200.000 Quadratkilometer von Europa radioaktiv. Der im Umfeld der Ereignisse entstandene Stress führte bei den Bevölkerungen der am stärksten betroffenen Länder zu weit verbreiteten psychischen Problemen. Erstellt wurde die Studie vom Chernobyl Forum, an dem mehr als 100 Wissenschafter, acht UN-Organisationen und die Regierungen von Russland, Weißrussland und der Ukraine beteiligt sind.

Die Gesamtmenge der freigesetzten Radioaktivität erreichte 14 Exabecquerel. Frühere Schätzungen zur Zahl der möglichen Todesopfer bewegten sich zwischen weniger als 50 Mitarbeitern des Reinigungspersonals bis zu Hunderttausenden Todesfällen in ganz Europa.
Die UN-Studie sagt voraus, dass die Anzahl der Menschen, die langfristig an Krebserkrankungen sterben wird, bei rund 3.940 liegen soll. Diese Todesfälle werden unter den 586.000 am meisten verstrahlten Personen zu beklagen sein. Dazu gehören 200.000 Mitarbeiter der Reinigungstrupps, jene 116.000 Personen, die aus dem Umland des Reaktors evakuiert wurden sowie die 270.000 Einwohner der am stärksten radioaktiven Regionen. Rund 50 Menschen sind bereits an akuter radioaktiver Verstrahlung oder ähnlichen Ursachen gestorben. Neun der an Schilddrüsenkrebs erkrankten Kinder sind ebenfalls bereits verstorben. Die Studie kommt jedoch zu dem Schluss, dass die genaue Anzahl der Todesfälle niemals bekannt sein wird. Verantwortlich dafür sei, dass bestimmte Krebserkrankungen im Laufe der Jahrzehnte nur schwer mit einer Verstrahlung in Zusammenhang zu bringen sind.

Neben der Strahlung waren Geisteskrankheiten das größte allgemeine Gesundheitsproblem. Gewaltsam umgesiedelte Familien wurden schwer traumatisiert. Die Bewohner von verstrahlten Regionen haben einen lähmenden Fatalismus entwickelt. Laut dem WHO-Experten Michael Repacholi haben viele der am stärksten Betroffenen unter Stress gelitten.

Fallweise habe das zu einem unbesonnenen Verhalten geführt. Dazu gehörte das Essen von stark verunreinigten Lebensmitteln, der übermäßige Konsum von Alkohol und Nikotin sowie ungeschützter Sexualverkehr mit zahlreichen Partnern. Repacholi betont, dass das Ergebnis der Studie trotzdem beruhigend sei. Er erklärte gegenüber NewScientist, dass 25 Prozent der Betroffenen in jedem Fall an Krebs gestorben wären und dass nur drei Prozent an Krebserkrankungen sterben würden, die auf die radioaktive Verstrahlung zurückzuführen seien. „Die meisten Menschen werden überrascht sein, dass nur so wenige Todesfälle zu beklagen sein werden.“ Repacholis Äußerungen wurden von dem früheren WHO-Strahlungsexperten Keith Baverstock als „ziemlich umpassend“ kritisiert. Das Leben der Menschen in den verstrahlten Regionen sei auf Dauer beeinträchtigt. Er bezweifle, dass sie diesen Umstand als beruhigend empfinden würden. Zusätzlich zeigte sich Baverstock besorgt, dass die Internationale Atomenergieorganisation einen zu großen Einfluss auf die Studie gehabt haben könnte.

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Michaela Monschein pressetext.austria

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