Europäische Flughäfen stehen vor radikalem Wandel

Mehr als die Hälfte aller europäischen Flughäfen wird langfristig Marktanteile verlieren / Verbesserung der Servicequalität und Effizienzsteigerungen als Gegenmittel / Billigflieger als Chance und Bedrohung für kleine und mittlere Airports

Von der erwarteten Erholung der Luftfahrtindustrie wird nur die Hälfte der derzeit rund 140 größeren europäischen Flughäfen nachhaltig profitieren können. Die andere Hälfte läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren und damit langfristig Marktanteile im Luftverkehr abzugeben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der internationalen Management- und Technologieberatung Booz Allen Hamilton. „Das Flughafengeschäft wird weiterhin sehr volatil bleiben, trotz eines mittelfristigen Wachstums von 4 bis 6 Prozent pro Jahr. Vielen Flughäfen werden zunehmend traditionelle und ehemals verlässliche Einnahmequellen wegbrechen“, so Jürgen Ringbeck, Luftfahrt-Experte von Booz Allen Hamilton. Der zunehmend aggressive Verdrängungswettbewerb zwingt Flughäfen, bisherige Geschäftsmodelle grundlegend zu überarbeiten. Neben der strategischen Ausrichtung werden zwei Faktoren entscheiden, welcher Flughafen im Wettbewerb besteht:

  • Die Verbesserung der Servicequalität für Passagiere in Bereichen wie Verbindungszeiten, Wartezeiten, allgemeiner Komfort – aber auch Mehrwert durch Zusatz-Dienstleistungen.
  • Weitere Effizienzsteigerungen und damit verbundene messbare Kostensenkungen, von denen die Airlines und Passagiere gleichermaßen profitieren. Die Erschließung zusätzlicher neuer Ertragsquellen am Boden wird eher Rand- als Kerngeschäft bleiben.

Kostendruck auf große internationale Hubs

Speziell die großen interkontinentalen Verkehrsdrehkreuze sind gefordert, das Umsteigen für die Passagiere trotz Kostendruck noch unkomplizierter und bequemer zu gestalten. Nur durch überlegene Prozesse können die Airports selbst dazu beitragen, ihre Attraktivität für Passagiere und Airlines zu steigern und im Wettbewerb der Hubs zu bestehen. Netzcarrier und Flughäfen müssen sich den neuen Rahmenbedingungen gemeinsam stellen: Sowohl gegenüber alternativen Hubsystemen als auch gegenüber der wachsenden Anzahl an Direktverbindungen zu kleineren Flughäfen. Gerade die so genannten Billigflieger sorgen hier für nachhaltigen Druck. „Die Flughäfen sehen sich nicht nur hohem Margen- und Preisdruck, sondern auch einem neuem Kaufverhalten der Kunden am Boden ausgesetzt. Das macht eine grundsätzliche Überprüfung des klassischen Geschäftsmodells erforderlich“, so Ringbeck.

Wachstum mit Billigfliegern birgt Chancen und Risiken

Flughäfen, die einen Low Cost-Anteil von einem Drittel und mehr verzeichnen, haben in Europa auch während der Krise der letzten Jahre Wachstumsraten von bis zu 20 Prozent erzielt. Im gleichen Zeitraum stagnierten Hub-Airports mit einem Low Cost-Anteil von weniger als 10 Prozent. Dedizierte Low Cost-Airports (mit LCC-Anteil über 80 Prozent) konnten hingegen sogar ein Wachstum bis zu 80 Prozent aufweisen. Mit überproportionalem Passagieraufkommen versuchen diese Airports eine starke Wettbewerbsposition auf regionaler Ebene im Billigflieger-Segment aufzubauen. Die Fokussierung auf den Low Cost-Verkehr hat aber auch Schattenseiten, etwa geringe Umsätze auf Luftseite durch eine rigide Kostenpolitik der Billigflieger. Sie liegen pro Passagier bei Airports mit nennenswertem LCC-Anteil (über 20 Prozent) durchschnittlich um 50 Prozent niedriger als bei Flughäfen mit Dominanz klassischer Netz-Airlines. Die Abhängigkeit von ein bis zwei Low Cost-Carriern beinhaltet ein hohes Risiko der Abwanderung und damit den Verlust der Geschäftsgrundlage. Auf das Low Cost-Geschäft fokussierte Airports wie Hahn und Stansted (STN) weisen starke Wachstumsraten auf. Hier dürfte in Zukunft ein Sättigungseffekt auftreten, in Abhängigkeit von der Größe des Einzugsgebietes. Bei einem anzunehmendem Wegfall staatlicher Subventionen können langfristig nur Low Cost-Flughäfen überleben, die die niedrigen Flughafengebühren durch auf Passagiere bezogenes Geschäft – wie Retail, Restaurants, Parken und Hotelbetrieb – ausgleichen können.

Mittelgroße Transferflughäfen sind gefährdet

Ein gravierender Strukturwandel trifft vor allem mittelgroße Hubs. Sie sind in der Regel für 40 bis 60 Prozent Transferanteil ausgelegt. Infolge von Umstrukturierungen werden in Europa aber inzwischen für mehr als 70 Prozent aller Flugziele Direktverbindungen angeboten. Die mittelgroßen Hubs und Punkt-zu-Punkt-Flughäfen sind damit zunehmend auf neue Passagieraufkommen angewiesen, das wegfallende Transfergeschäft muss durch Direktverkehr ausgeglichen werden. Wachstumschancen ergeben sich durch Geschäftsinnovationen, da bei diesen Flughäfen noch Kapazitätsreserven vorhanden sind. So können mittelgroße Transfer-Flughäfen ihre Rolle in der Reisekette neu definieren und als Anbieter verschiedener Zusatzservices – bis hin zur Veranstalterrolle – auftreten.

Kostenreduktion steht am Anfang – Outsourcing muss zunehmen

Europäische Airlines haben in den letzten drei Jahren die Stückkosten um bis zu 20 Prozent gesenkt. Die meisten Airports in Europa stehen allerdings erst am Anfang dieses Prozesses. Die Personalkosten als größter Kostentreiber bieten signifikante Verbesserungshebel. Im Vergleich zu anderen Industrien ist die Wertschöpfungstiefe bei vielen Flughäfen immer noch zu hoch. Vor allem in den Hochlohnregionen wird das Herausbilden von spezialisierten Dienstleistern notwendig sein, um die Faktorkostennachteile in den arbeitsintensiven Abfertigungsprozessen wettzumachen. Airports wie Stockholm oder Kopenhagen haben bereits einen Großteil outgesourct und dadurch den eigenen Wertschöpfungsanteil auf 20 bis 25 Prozent reduziert. Die deutschen Hub-Airports Frankfurt und München befinden sich auf einem guten Weg, die Strukturen und Prozesse an diese internationalen Standards anzupassen.

Prozessoptimierung birgt Einsparpotenzial bis zu 30 Prozent

Steigendes Verkehrsaufkommen ist mit einer Reihe von Problemen verbunden: Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit nehmen ab, Wartezeiten erhöhen sich, die Kundenzufriedenheit leidet. Daher müssen die in der Krisenzeit vernachlässigten Prozessoptimierungen wieder konsequent angegangen werden. Auch mit „operational excellence“ lässt sich im härter werdenden Wettbewerb gewinnen. Nach einem Benchmark-Vergleich von Booz Allen Hamilton können beispielsweise durch Depeaking, den Einsatz von RFID-Chips in Kunden- und Boardkarten oder durch biometrische Sicherheitstechnik im Kontrollbereich bis zu 30 Prozent Optimierungspotenzial erzielt werden. Besondere Bedeutung kommt dabei einem integrierten gemeinschaftliches Vorgehen von Flughafen und „Home Carrier“ zu.

Booz Allen Hamilton hat im Rahmen der Airport-Benchmark-Studie global Daten von über 60 Flughäfen ausgewertet und die Ergebnisse in Gesprächen mit rund 20 Führungskräften vertieft. Ziel der Studie war die Identifikation veränderter Rahmenbedingungen, Handlungsmuster, strategischer Optionen sowie operativer „Best Practices“.

Mit rund 16.600 Mitarbeitern und Büros auf sechs Kontinenten zählt Booz Allen Hamilton zu den weltweit führenden Management- und Technologieberatungen. Das Unternehmen befindet sich im Besitz seiner 250 aktiven Partner. Sechs Büros sind im deutschsprachigen Raum: Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, München, Wien und Zürich. Im vergangenen Geschäftsjahr belief sich der Umsatz weltweit auf 3,3 Mrd. US$, im deutschsprachigen Raum auf 190 Mio. Euro.

Media Contact

Sabine Reihle presseportal

Weitere Informationen:

http://www.boozallen.de

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