"Mythen der Kontraktlogistik": In der vermeintlichen Boombranche sind nur wenige Unternehmen erfolgreich

Komplexe Logistikleistungen wachsen nicht wie prognostiziert – Kunden fragen vor allem Leistungen mit geringer Wertschöpfung nach – Hohe Akquisitionskosten und kurze Vertragslaufzeiten drücken den Gewinn – Kombination von Kontraktlogistik auf Basis eigener Produktionssysteme ist die Erfolgsformel

Kontraktlogistik ist kein dynamischer Wachstumsmarkt. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie „Mythen der Kontraktlogistik“ von Mercer Management Consulting. Sie räumt auf mit einer Reihe von Mythen, die die Entwicklung des Markts seit Jahren maßgeblich mitbestimmt haben: dass es einen starken Trend zum Logistik-Outsourcing gäbe, dass Logistik ein hochprofitabler High-End-Markt wäre, dass profitable Logistiker nur wenig Anlagevermögen haben sollten – und dass zufriedene Kunden langfristig treu blieben. Die Mercer-Studie hat über 30 weltweit führende Logistikunternehmen mit einem Gesamtumsatz von 228 Milliarden Euro untersucht und gibt Empfehlungen für erfolgreiche Geschäftsmodelle in der Kontraktlogistik.

Allein für Deutschland wird das Gesamtvolumen des Logistikmarkts auf 150 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Der größte Teil davon, 83 Milliarden Euro, wird allerdings nicht von Dienstleistern erbracht, sondern unternehmensintern über eigene Fuhrparks und Lager abgewickelt. Externe Logistikdienstleister, wie etwa Speditionen und Paketdienste, aber auch Eisenbahnen, Reedereien, Airlines sowie Hafen- und Lagerhaus-Betreiber, erwirtschaften mit 67 Milliarden Euro nur weniger als die Hälfte dieses Markts.

Komplette Logistik wird nur selten ausgelagert

Unterrepräsentiert sind die externen Dienstleister vor allem im Sektor der komplexen Logistikdienstleistungen, die unter dem Stichwort Kontraktlogistik zusammengefasst werden: Von den rund 60 Milliarden Euro dieses Marktsegments in Deutschland haben externe Logistikdienstleister bisher nur 11 Milliarden an sich ziehen können, in Europa lediglich 57 Milliarden Euro. Weil hier noch viel Wachstumspotenzial gesehen wird, galt die Kontraktlogistik lange Zeit als der Wachstumsmotor der Logistikbranche: Durch Outsourcing an Dienstleister wie die Deutsche Post/DHL, Kühne & Nagel oder Thiel Logistik könnten Industrie und Handel bis zu 20 Prozent ihrer heutigen Logistikkosten einsparen, sagen Experten. Die Logistikunternehmen könnten höherwertige Leistungen übernehmen, die ihnen bessere Margen ermöglichen, wie zum Beispiel Auftragsabwicklung, Verpackung, Auslieferung, Kundenservice und Warenrücknahme.

„Obwohl die Einsparrechnung für Industrie und Handel im Prinzip stimmt, zögern die Unternehmen, ihre Logistikkompetenz auszulagern“, sagt Dieter Schneiderbauer, Leiter der Transport- und Touristik-Practice bei Mercer Management Consulting. „Im Vordergrund steht dabei die Befürchtung, dass der Preisvorteil nach Ende der ersten Vertragslaufzeit aufgebraucht ist.“ Denn Kontraktlogistik bedeutet auch eine dauerhafte und umfassende Bindung an ein Logistikunternehmen – mit hohen potenziellen Risiken für das laufende Geschäft.

Kunden wollen Leistungen austauschbar halten

Kundenbefragungen zeigen, dass zwischen 80 und 90 Prozent der Unternehmen nach wie vor hauptsächlich einfache Standardleistungen wie Lagerhaltung und Transport beziehen. Komplexere Leistungen, die eine engere Verzahnung der Geschäftsprozesse erfordern, wie zum Beispiel Kundenservice und Auftragsabwicklung, werden nur von jedem zehnten Unternehmen nachgefragt. „Natürlich kann jeder Kontraktlogistiker von innovativen Lösungen für komplexe Logistikprobleme seiner Kunden berichten“, sagt Schneiderbauer. „Es handelt sich dabei aber eher um die Ausnahme und nicht um den Regelfall.“

Dabei hatten die Visionäre und Berater der Logistikbranche große Zeiten vorausgesagt: Von den traditionell unternehmensintern abgewickelten Logistikprozessen („First Party Logistics“) sollte sich die Branche weiterentwickeln zu immer komplexeren und höherwertigeren Leistungen. Während klassische Speditionsunternehmen („Second Party Logistics“) ausgewählte Teilleistungen wie Transport und Lagerhaltung übernehmen, sollten so genannte 3PL-Unternehmen („Third Party Logistics“) als „Systemlieferanten“ die Verantwortung für die komplette Logistik- beziehungsweise Lieferkette (Supply Chain) übernehmen. Teilleistungen wie Transport, Lagerumschlag, Konfektionierung oder Montage sollten von Dritten zugekauft werden. 4PL- und 5PL-Unternehmen schließlich sollten nur noch planend und beratend tätig werden, etwa bei der logistischen Vernetzung mit Lieferanten und Kunden, der Software-Entwicklung oder der Gestaltung der Supply-Chain-Architektur.

Für die Kunden gibt es vor allem zwei Gründe, einfache Leistungen zu bevorzugen: Einerseits wird Logistik-Know-how im Haus gehalten. Risiken bleiben besser kontrollierbar und es entstehen keine neuen Abhängigkeiten gegenüber dem Kontraktlogistiker. Andererseits können sie durch bewusst leicht austauschbar gehaltene Ausschreibungen für Einzelleistungen wie Lagerhaltung und Transport die Konkurrenzsituation unter den Logistik- und Transportunternehmen optimal nutzen und niedrigere Preise erzielen.

Die Vertragslaufzeit in der Kontraktlogistik beträgt durchschnittlich vier Jahre. Jährlich muss ein Viertel aller Verträge neu verhandelt werden. Der Bieterwettbewerb ist groß und Kundenloyalität ist beinahe ein Fremdwort in der Kontraktlogistik. Mit sechs bis 18 Monaten dauert die Angebotsphase sehr lange und erfordert hohe Aufwendungen. Oft werden in dieser Zeit Ideen generiert oder Konzepte entwickelt, die der Kunde dann als Basis für eine Ausschreibung nutzt, um den ursprünglichen Anbieter einer Einzellösung in den Wettbewerb zu stellen. Beim Outsourcing komplexer Aufgaben schreckt der Kunde nach der ersten Konzeptphase vor den notwendigen internen Veränderungen zurück – und fragt am Ende meist wieder einfache Einzelleistungen wie Lagerhaltung oder Transport nach.

Das Ergebnis: Die prognostizierten Steigerungsraten von deutlich mehr als zehn Prozent allein durch Outsourcing wurden nicht erreicht. Zwar lag das Kontraktlogistikwachstum mit jährlich etwa acht Prozent deutlich über dem des Bruttoinlandsprodukts, aber es wurde zu zwei Dritteln von der Volumensteigerung bestehender Verträge getragen. Outsourcing steuerte nur weniger als drei Prozent zum jährlichen Wachstum dieses Logistikmarkts bei und blieb damit weit hinter den Erwartungen zurück.

Erfolgsmodelle in der Kontraktlogistik

Die Gewinner im Kontraktlogistikmarkt sind bisher diejenigen Unternehmen, die komplexe Logistikangebote als Zusatzgeschäft zu ihren Basisleistungen betreiben. Am erfolgreichsten sind dabei Kurier- und Paketdienste (KEP) wie Deutsche Post/DHL, UPS oder Federal Express mit ihren eigenen großen Netzwerken. Ebenfalls erfolgreich sind Speditions- und Logistikunternehmen, die sich auf Branchenlösungen spezialisiert haben und dabei ihre Distributionszentren und Transportnetze nutzen. Hierzu gehören Dachser, Fiege, Kühne & Nagel oder Schenker. Unternehmen, die ausschließlich auf Kontraktlogistik gesetzt haben, konnten sich nicht behaupten. „Wir konnten kein überzeugendes Geschäftsmodell eines Kontraktlogistikunternehmens ohne eigene Logistikzentren finden“, so Schneiderbauer. „Insbesondere der Versuch, nur über Managementleistung Synergien bieten zu wollen, kann als gescheitert angesehen werden.“

Vorhandene Netze und Logistikzentren erwiesen sich in der Mercer-Studie als Basis des Logistikgeschäfts und ihre optimale Auslastung als maßgeblich für den Erfolg eines Logistikunternehmens. Gerade Kontraktlogistikspezialisten haben diesen Aspekt in der Vergangenheit oft vernachlässigt. In ihrer Konzentration auf das bestmögliche Logistikkonzept für jedes Projekt haben sie die Investitionen in und die Optimierung der eigenen Produktionssysteme vernachlässigt. Das Ergebnis war ein Projektportfolio mit sehr wenigen Abwicklungssynergien – in einigen Fällen sogar Beiladungsverzicht.

Die Stärke der KEP- und der spezialisierten Logistikunternehmen ist, dass Kontraktlogistik für sie nur eine Weiterentwicklung ihres bisherigen Angebots ist – und eine Möglichkeit, ihre weltweiten Produktionssysteme noch effektiver zu nutzen. „Ein erfolgreiches Geschäftsmodell in der Kontraktlogistik basiert auf der Nutzung eines Produktionssystems, das kunden- und projektübergreifend für die Leistungserstellung genutzt wird“, sagt Mercer-Logistikexperte und Mitautor der Studie Alexander Neuhaus. „Dieses kann beispielsweise auf Frachtzentren an Flug- oder Seehäfen, Distributionszentren sowie Stückgut- oder Paket-/Express-Netzen aufbauen.“

Erfolgreiche Geschäftsmodelle verbinden die Kundenbedürfnisse mit den eigenen Möglichkeiten. KEP-Unternehmen wie Federal Express oder UPS nutzen ihre dichten Netzwerke aus dem Paket- und Expressgeschäft, um ihren Kontraktlogistikkunden ein weltweites Angebot zu machen. Eine Spezialisierung auf Branchen ist bei diesem Geschäftsmodell nur selten zu finden. Speditionsunternehmen bauen ihre Kontraktlogistikangebote vor allem aus ihrer Branchenspezialisierung heraus auf. Oft haben sie spezialisierte Anlagen und Know-how, die ihnen erlauben, „maßgeschneiderte“ Angebote zu machen. Rein „virtuelle“ Anbieter, die nur planende und koordinierende Funktion haben und die komplette Abwicklung zukaufen, erbringen den Einkäufern aus Industrie und Handel bislang nicht genügend Zusatznutzen, um ihnen als „Makler“ oder „Architekt“ eine Extramarge zu bezahlen. Schneiderbauer: „Letztlich geht es bei Logistik eben um Effizienz. Erfolg kann nur ein Angebot haben, das die Bedürfnisse mehrerer Kundenunternehmen auf einer Produktionsplattform konzentriert und damit einen klaren Mehrwert schafft. Maximale Synergien und optimale Auslastung sind die Basis attraktiver und profitabler Kontraktlogistik. Ein Geschäftsmodell, das versucht, alle Leistungen für alle Kunden zu erbringen, kann nicht lange bestehen.“

Die vier Mythen über das Geschäft mit der Kontraktlogistik

1. Kontraktlogistik wächst zweistellig und profitiert vom Outsourcing-Trend.

Wirklichkeit: Der Gesamtmarkt für Logistik wuchs in den letzten Jahren mit insgesamt etwa acht Prozent jährlich. Outsourcing steuerte dazu weniger als drei Prozent jährlich bei.

2. Kontraktlogistik bedeutet High-End-Logistiklösungen mit hoher Wertschöpfung.

Wirklichkeit: 80 Prozent des Geschäfts bestehen aus den wettbewerbsintensiven Basisleistungen Lager und Transport.

3. Wenig kapitalintensive Unternehmen haben die Nase vorn.

Wirklichkeit: Profitabilität ist unabhängig von der Kapitalintensität. Entscheidend ist die Kontrolle über Produktionssysteme und deren optimale Auslastung.

4. Kontraktlogistikkunden sind loyale Kunden.

Wirklichkeit: Kontraktlogistikkunden wollen Abhängigkeiten vermeiden und bevorzugen kurze Vertragslaufzeiten sowie austauschbare Basisleistungen.

Mercer Management Consulting

Mercer Management Consulting ist Teil von Mercer Inc., New York, einer der führenden internationalen Unternehmensberatungen mit 160 Büros in 40 Ländern. Weltweit erwirtschaften 16.000 Mitarbeiter einen Umsatz von 2,7 Milliarden US-Dollar. Die Büros in München, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg tragen mit 470 Mitarbeitern zu diesem Erfolg bei.

Die Beratungsleistungen von Mercer Management Consulting fokussieren auf Strategien zur Wertsteigerung. Dabei bildet Value Growth – die nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes – den Schwerpunkt. Mercer steht dafür, Wachstumspotenziale aufzuzeigen und konsequent zu nutzen, Wachstumsbarrieren zu erkennen und zu überwinden sowie Strategie, Führung, Organisation, Geschäfts- und Managementprozesse gemeinsam mit den Kunden nachhaltig auf Wertwachstum auszurichten.

Unseren Kunden steht mit den Bereichen – Automotive – Communications, Information & Entertainment – Industries – Travel & Transportation – Retail, Consumer & Healthcare – Energy & Life Sciences – eine breite Palette von Beratungsdienstleistungen zur Verfügung. Zudem bietet Mercer seinen Kunden ein breites Produktangebot im Bereich Private Equity und M&A an. Der gesamte Bereich Financial Services wird von der weltweit führenden Strategie- und Risikomanagementberatung Mercer Oliver Wyman verantwortet.

Durch die Einbindung in das weltweite Netz der Muttergesellschaft Marsh & McLennan Companies (Umsatz über 11 Milliarden US-Dollar; 60.000 Mitarbeiter) steht den Kunden von Mercer die gesamte Palette professioneller Dienstleistungen für Risiko- und Versicherungsmanagement, Vermögensverwaltung und Unternehmensberatung zur Verfügung. Zusammen mit den Schwesterunternehmen Marsh und Putnam Investments verfügt Mercer somit über ein umfassendes Analyse-, Beratungs- und Produktangebot.

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Pierre Deraëd Mercer Management Consulting

Weitere Informationen:

http://www.mercermc.de

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