Arbeitsmarktreformen in England und Deutschland

Frappierende Ähnlichkeiten und entscheidende Unterschiede – Aktueller IAT-Report zum Hintergrund

Von der Pflicht zur „aktiven Beschäftigungssuche“ über den Begriff „Jobcenter“, verschärfte Zumutbarkeitskriterien bis zur „Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe“: die aktuellen Arbeitsmarkt-Reformen in Deutschland und die – schon Jahre vorher begonnenen – in England weisen frappierende Ähnlichkeiten auf. Die britischen Erfolge lassen hoffen, aus dortigen Fehlern könnte man lernen, neue, hausgemachte Probleme vermeiden. Der neue IAT-Report 2004-04 „Hartz oder Harrods? – Reformen der Arbeitsförderung im Vereinigten Königreich“ schildert die britische Entwicklung, vor deren Hintergrund sich die politische Diskussion um „Hartz IV“ besser verstehen lässt.

Wie Dan Finn, Professor für Sozialpolitik an der Universität Portmouth, und PD Dr. Matthias Knuth, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts Arbeit und Technik / Wissenschaftszentrum NRW (IAT/Gelsenkirchen) darin aufzeigen, erscheint das britische Aktivierungsregime außerordentlich erfolgreich: Die standardisierte Arbeitslosenquote wurde von 1993 bis 2001 von 10% auf 5% halbiert, die Erwerbstätigenquote in Vollzeitäquivalenten stieg von 58,6% (1993) auf 62,2% (2001), der Anteil der Langzeitarbeitslosen an der Erwerbsbevölkerung sank auf weniger als ein Drittel des Rekordwerts von 1993. Ein weniger positives Bild ergibt sich dagegen, wenn man die Gesamtheit der Sozialleistungen betrachtet: Bezogen auf die Bevölkerung im Erwerbsalter beziehen in Großbritannien mehr Menschen Sozialhilfe oder Leistungen wegen Arbeitsunfähigkeit als in Deutschland. „Vieles spricht dafür, dass das striktere britische Aktivierungsregime Erwerbslose in andere Sozialleistungen „verdrängt“ hat, während in Deutschland der Anteil der gesundheitlich Beeinträchtigten unter den registrierten Arbeitslosen sehr hoch ist“, so die Autoren.

Deutschland scheint seit der Ablösung des Arbeitsförderungsgesetzes durch das SGB III im Jahre 1998 wie im Zeitraffer nachzuholen, was im Vereinigten Königreich schon 1986 begann. In der aktuellen Reformphase, der Zusammenführung aller Leistungen für Personen im Erwerbsalter in einer Organisation, „nimmt sich Großbritannien für die Umsetzung von Jobcentre Plus fünf Jahre Zeit, während für die künftigen deutschen Job-Center und die Bildung von Arbeitsgemeinschaften zwischen Arbeitsagenturen und kommunalen Trägern eine Vorbereitungszeit von nur einem Jahr und eine Umsetzungszeit von einer juristischen Sekunde gegeben ist“, stellen die Arbeitsmarktexperten fest.

Die Briten konnten aufgrund der zentralistischen Struktur ihres Sozialsystems die Kommunen außen vor lassen und fusionieren nur zwei nationale Behörden, in denen im Wesentlichen die gleichen rechtlichen Voraussetzungen bestanden. Dienstrechtliche Probleme im deutschen Sinne gibt es ohnehin nicht, da so etwas wie ein Beamtenstatus nur im Geheimdienst und anderen höchsten Regierungsämtern bekannt ist. Hinsichtlich der Organisationskulturen erweist sich auch diese qualitativ bescheidene Fusion schon als schwierig genug.

Das System von Unterstützungsleistungen bei Arbeitslosigkeit, das dem Prinzip der Linderung von Armut und nicht dem des einkommens und beitragsabhängigen Statuserhalts folgt, ist teils in den Grundstrukturen des britischen Sozialstaats angelegt, teils von den Konservativen geschaffen worden. New Labour führte weder Leistungskürzungen noch eine wesentliche Verschärfung der Pflichten von Leistungsbeziehern ein. Man versucht lediglich, diese Pflichten konsequenter durchzusetzen, ihre Wahrnehmung mit besseren Dienstleistungen zu unterstützen und dieses als Chance darzustellen.

Im eher spartanisch ausgestatteten britischen Sozialstaat ist die Grundsicherung für Arbeitsuchende mit umgerechnet 359 Euro etwas höher als künftig in Deutschland; relativ zum niedrigeren britischen Lohnniveau ist der Unterschied noch deutlicher. Gesetzlicher Mindestlohn (ca. 6,70 Euro pro Stunde) und Negativsteuer für Geringverdiener haben aber „Armutsfallen“ nicht vollständig beseitigen können.

Die britische Arbeitsverwaltung realisiert traditionell eine höhere Kontaktdichte mit ihren Kunden als die deutsche. Zwar war die kurzzeitig zu wiederholende Arbeitslosmeldung zeitweilig verkommen zu einer sinnlosen Pflichtübung, sie wird jedoch unter veränderten Rahmenbedingungen eingebaut in ein umfassendes Aktivierungsregime, das es schwierig macht, sich in der Arbeitslosigkeit einzurichten. Der damit zweifellos verbundene Druck wird dadurch akzeptabler, dass die Jobcentres räumlich näher an ihren Kunden sind und architektonisch außen wie innen den Eindruck von bescheidener, aber professioneller Dienstleistung und nicht von hoheitlicher Großbürokratie vermitteln.

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Claudia Braczko idw

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