Musiktherapie hilft auch Unfallopfern mit schweren Hirnverletzungen

"Vermehrte soziale Teilnahme" : Simon Gilbertson untersucht die Wirkung von Musiktherapie auf Verletzte mit Schädelhirntraumata, Bild: UWH

Forschungsoffensive“, Teil 10: Studie an der Universität Witten/Herdecke zeigt, wie Musiktherapie auch Unfallopfern mit schweren Hirnverletzungen hilft

Die Folgen schwerer Hirnverletzungen – so genannter Schädelhirntraumata – reichen von Lähmungen, Sprach- und Koordinationsstörungen bis zu einer Abnahme des Konzentrations- und Denkvermögens. Bei der Betreuung und Rehabilitation steht meist eine möglichst weitgehende Wiederherstellung der körperlichen Fähigkeiten im Vordergrund. „Auf die emotionalen und sozialen Bedürfnisse der Patienten wird aber kaum geachtet“, sagt Simon Gilbertson vom Institut für Musiktherapie an der Universität Witten/Herdecke. In einer Studie zeigt Gilbertson, wie Musiktherapie diese Defizite beheben kann.

Der Bedarf an kompetenten Rehabilitationsangeboten für Hirnverletzte steigt kontinuierlich. Nach Prognosen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und anderen Expertengremien wird die Zahl schwerer Verkehrsunfälle weltweit zunehmen. Im Jahr 2020 könnten diese Unfälle sogar die dritthäufigste Todesursache darstellen. Verkehrsunfälle wiederum sind der Hauptauslöser für Schädelhirntraumata. Auch die drei Patienten, deren Genesungsfortschritte der Wittener Musiktherapeut Simon Gilbertson im Rahmen seiner Studie untersucht hat, waren Opfer von Unfällen im Straßenverkehr – als Fahrradfahrer, als Fußgänger und als Motorradfahrer. Gilbertson selbst hatte sie Mitte der 90er Jahre musiktherapeutisch betreut in der Rehabilitationsklinik Holthausen in Hattingen, wo er Leiter der musiktherapeutischen Abteilung war.

Die damals entstandenen umfangreichen Ton- und Bildaufnahmen wertete er jetzt aus für seine von Prof. David Aldridge betreute Dissertation am Lehrstuhl für Qualitative Forschung in der Medizin. „Zu einer Rehabilitation gehört auch das Wiederherstellen einer Beziehung zu sich selbst, zu einer anderen Person und zur Allgemeinheit“, betont der aus England stammende Simon Gilbertson. Die drei männlichen Patienten – damals im Alter von 9, 14 und 21 Jahren – waren nach dem Unfall an den Rollstuhl gebunden. Sie sprachen nicht, wirkten apathisch, und es war kaum zu entscheiden, ob sie ihre Umwelt bewusst wahrnahmen. „Während der musiktherapeutischen Sitzungen war es für mich manchmal schwer zu beurteilen, ob eine Geste oder ein Laut nur zufällig war oder mit der Musik in Verbindung stand“, erinnert sich Gilbertson.

Diese Frage zu klären, war ein zentrales Ziel der Studie. Die Analyse der Bild- und Tondokumente, bei der auch andere Experten zu Rate gezogen wurden, ergab: Die Patienten traten Schritt für Schritt aus ihrer Isolation heraus und kommunizierten über die Musik mit dem Therapeuten. Das scheinbar absichtslose Berühren eines Windspiels oder das interesselos wirkende Drücken einer Klaviertaste erwies sich als „Antwort“ auf die musikalischen Improvisationen ihres Gegenübers. Im Verlauf der Therapie wurden die Teilnehmer mehr und mehr von sich selbst aus musikalisch kreativ.

Als Ergebnis der Musiktherapie in dieser frühen und wichtigen Phase der Rehabilitation konstatiert Simon Gilbertson eine deutliche Verminderung der, durch die emotionale Isolation geprägten, Notlage und eine vermehrte soziale Teilnahme sowohl innerhalb als auch außerhalb der Therapiesitzungen. Weitere nachweisbare Verbesserungen zeigten sich im Koordinationsvermögen und in der Flüssigkeit von Bewegungsabläufen.

Referenz: Simon Keith Gilbertson: Music Therapy in Early Neurorehabilitation with People who have Experienced Traumatic Brain Injury, unveröffentlichte Dissertation, Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Qualitative Forschung in der Medizin, 2004

Weitere Infos: Simon Keith Gilbertson, Tel. 02302/926-769 , Mail: simong@uni-wh.de

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Dr. Olaf Kaltenborn idw

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