Keine Tabus beim Kosten senken im Gesundheitswesen

Das Gesundheitssystem wird deutlich umgebaut, wenn es nach dem Willen von Patienten und Interessengruppen im Gesundheitswesen geht. Sie befürworten durchgehend eine höhere Selbstbeteiligung bei medizinischen Leistungen. So akzeptieren rund 70 Prozent der Deutschen die Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln und bei einzelnen medizinischen Leistungen. Mehr als jeder Dritte ist sogar bereit, bei allen medizinischen Behandlungen einen Eigenanteil zu leisten.

Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Branchenbarometer Krankenversicherungen“ von der Allianz Privaten Krankenversicherung, Mummert Consulting und dem F.A.Z.-Institut. In einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung wurden hierzu Bürger zur Gesundheitsversorgung und zu Reformen im Gesundheitswesen interviewt. In einer zweiten Erhebung beurteilten Entscheider aus Medizin, gesetzlicher und privater Krankenversicherung und Großunternehmen sowie Mittler aus Politik und Verbänden die Herausforderungen und Reformmaßnahmen für das Gesundheitswesen.

Wenn es nach den Krankenversicherungen, Medizinern und Top-Managern aus Großunternehmen geht, werden darüber hinaus weitere Veränderungen realisiert: So sollen Zentren für medizinische Großgeräte entstehen, Fallpauschalen für die ambulante Behandlung eingeführt und die so genannte integrierte Versorgung ausgebaut werden. Bemerkenswert daran ist, dass alle diese Maßnahmen für mehr Effizienz im Gesundheitswesen bei allen Interessengruppen mehrheitliche Zustimmung finden. Die Akteure des deutschen Gesundheitswesens sind somit zu weit mehr Reformen bereit, als die derzeitigen Debatten um die Finanzlage der Krankenkassen vermuten lassen.

Für die Studie hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa Top-Entscheider aus Medizin, Wirtschaft und Politik sowie mehr als 500 Bürgerinnen und Bürger befragt. Im Ergebnis zeichnet sich ab, dass 57 Prozent der Entscheider im Gesundheitssystem und in der Wirtschaft die Umstellung der GKV-Finanzierung vom Umlagesystem auf Kapitaldeckung befürworten. Insgesamt ist nur jeder fünfte befragte Entscheider gegen eine zukunftssichernde Kapiteldeckung.

Hauptgründe des Reformbedarfs sind die hohe Arbeitslosigkeit sowie die Alterung der Gesellschaft. Die breite Mehrheit der befragten Entscheider aus Medizin, Krankenversicherung und Wirtschaft sieht in diesen beiden Punkten die größten Risiken für das deutsche Gesundheitssystem.

Vor diesem Hintergrund herrscht unter den Akteuren des Gesundheitswesens hohe Zustimmung, dass die Lohnnebenkosten nicht weiter steigen dürfen. Im Gesundheitssektor hat sich förmlich eine große Koalition von fast zwei Dritteln der Entscheider gebildet, die den Arbeitgeberanteil an der Krankenversicherung festschreiben würde.

Auch die Ärzte sind zu einschneidenden Reformen bereit. So akzeptieren 40 Prozent der Mediziner, mit den privaten Krankenversicherungen auf Basis fester Verträge abzurechnen, die auch die Honorarhöhe detailliert regeln. Fast die Hälfte der Leistungserbringer hält auch die Bezahlung per Fallpauschalen im ambulanten Bereich für sinnvoll. Die bisher geltende amtliche Gebührenordnung für Ärzte und Zahnärzte gehört also auf den Prüfstand – drei Viertel der befragten Entscheider stimmen dieser Forderung zu.

71 Prozent der Top-Manager und Mediziner sprechen sich dafür aus, obligatorische Selbstbeteiligungen der Patienten bei allen medizinischen Leistungen einzuführen – und mehr als ein Drittel der Versicherten hätte dagegen nichts einzuwenden. Sogar 7 von 10 befragten Bürgern wären einverstanden, zunächst den Hausarzt um Rat zu fragen – und nicht sofort den teureren Facharzt aufzusuchen.

Um den Wettbewerb unter Leistungserbringern – den niedergelassenen Ärzten und Kliniken – und den Kostenträgern zu beleben, sollen nach Meinung der befragten Entscheider Monopole und staatliche Planungsinstrumente wie die Krankenhausplanung beseitigt werden. An ihre Stelle können Einzel- und Direktverträge zwischen den Kostenträgern und den Leistungserbringern treten.

Die Leistungserbringer sind auch bereit, sich dem Wettbewerb in Sachen Qualität zu stellen: 84 Prozent von ihnen würden eine Fortbildungspflicht für Kassenärzte begrüßen. Mehr als die Hälfte hält unabhängige Rankings für sinnvoll, jeder zehnte sogar für sehr sinnvoll.

Basis der Studie ist eine Befragung vom Oktober und November 2003. Darin äußerten sich 100 Top-Entscheider bei Leistungserbringern, Kostenträgern und Großunternehmen. Sie setzten sich aus 30 Ärzten und Klinikmanagern sowie aus Spitzenkräften von 30 Krankenkassen und Krankenversicherungen sowie von 40 Großunternehmen zusammen. Die gleichen Fragen beantworteten elf Mittler aus Parteien und Verbänden der Leistungserbringer, Kostenträger und Patienten. In einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung im Oktober 2003 wurden außerdem 512 Bürger ab 16 Jahren telefonisch zur Gesundheitsversorgung und zu Reformen im Gesundheitswesen interviewt.

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Joerg Forthmann Mummert Consulting

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