Deutsches Tarifsystem muss reformiert werden

Bertelsmann Stiftung fordert mehr Flexibilität und Differenzierung in Tarifverträgen

Nur noch rund 45 Prozent der westdeutschen und 22 Prozent der ostdeutschen Betriebe unterliegen einem Flächentarifvertrag. Besonders kleinere und jün­gere Betriebe zeigen wenig Neigung, sich tariflich zu binden. Das zeigt eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Sie belegt auch, dass die Lohndifferenzierung in Deutschland im internati­onalen Vergleich relativ gering und meist nicht ausreichend ist. Das deutsche Lohnfindungssystem und der Flächentarifvertrag sind demnach dringend reformbedürftig. In der Studie werden jetzt konkrete Reformvorschläge formuliert: Erforderlich seien moderate und diffe­renzierte Tarifabschlüsse, ein Ausbau erfolgs- und leistungsabhängiger Lohnkomponenten sowie mehr Öffnungsklauseln in Tarifverträgen. Generell müsse dem Bedürfnis der Betriebe nach mehr Flexibilität Rechnung getragen und ihr Gestaltungsspielraum ausgeweitet werden.

„Derartige beschäftigungsfördernde Reformen können und sollten von den Tarifparteien selbst durchgeführt werden“, sagt Prof. Dr. Claus Schnabel von der Universität Erlangen-Nürnberg, der Autor der Studie. Ansonsten sei der Gesetzgeber gefordert, den Betrieben le­gale Möglichkeiten für flexible Problemlösungen anzubieten. „Ohne eine moderate und diffe­renzierte Lohnpolitik werden sich die massiven Beschäftigungsprobleme in Deutschland nicht lösen lassen“, sagt Schnabel.

Die Tarifpolitik der letzten Jahrzehnte war den neuen Herausforderungen der Globalisierung nicht gewachsen. Die Abschlüsse waren meist wenig beschäftigungsfördernd und zu undiffe­renziert. Über die Hälfte der westdeutschen und fast fünf Sechstel der ostdeutschen Betriebe gehen bei der Entlohnung nicht mehr über die als zu hoch beklagten tariflichen Mindestlöhne hinaus. Zudem mehren sich Berichte über eine untertarifliche Bezahlung.

In vielen Branchen wurden die Tariflöhne von gering Qualifizierten überdurchschnittlich an­gehoben, obwohl deren Arbeitsplätze bereits durch den technischen Wandel stark gefährdet sind. Die Bertelsmann Stiftung fordert eine Umkehr und eine größere Differenzierung der Löhne nach Qualifikation, Branche und Region. Eine Möglichkeit, die Lohnflexibilität und -differenzierung zu erhöhen, wäre eine stärker erfolgsabhängige Entlohnung. Diese könnte dazu beitragen, die Produktivität zu steigern und Arbeitsplätze zu sichern. Derzeit haben allerdings nicht einmal neun Prozent der Betriebe Systeme der Gewinnbeteiligung.

Über die Bertelsmann Stiftung:
Die Bertelsmann Stiftung versteht sich als Förderin des Wandels für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Sie will Reformen in den Bereichen Bildung, Wirtschaft und Soziales, Gesundheit, Demokratie und Bürgergesellschaft sowie Internationale Verständigung voranbringen. Die 1977 von Reinhard Mohn gegründete, gemeinnützige Einrichtung hält die Mehrheit der Kapitalanteile der Bertelsmann AG. In ihrer Projektarbeit ist die Stiftung unabhängig vom Unternehmen und parteipolitisch neutral.

Rückfragen an: Werner Eichhorst, Telefon: 0 52 41 / 81-81 593
Claus Schnabel, Telefon: 0 911 / 53 02-481

Die Studie „Tarifpolitik unter Reformdruck“ erscheint in Kürze im Verlag Bertelsmann Stiftung.

Media Contact

Julia Schormann idw

Weitere Informationen:

http://www.bertelsmann-stiftung.de

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