Starke Impulse für den Arbeitsmarkt

Reduzierung der Mehrwertsteuer auf arbeitsintensive und konsumnahe Dienstleistungen birgt laut Institut für Mittelstandsforschung (ifm) an der Universität Mannheim Potenzial für 250.000 neue Arbeitsplätze

Wie die jetzt vorgestellte aktuelle Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim (ifm) ergab, könnte eine Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes auf arbeitsintensive und konsumnahe Dienstleistungen von jetzt 16 % auf 7 % in Deutschland zu mehr als 250.000 neuen Arbeitsplätzen führen. Etwa 60 % der neuen Stellen (ca. 150.000) entstünden dabei im Handwerk, insbesondere im Bau- und Ausbaugewerbe (ca. 100.000) und im Friseurgewerbe (etwa 20.000). Im Gastgewerbe könnten 70.000 neue Arbeitsplätze entstehen, im handwerksähnlichen Gewerbe etwa 10.000 und im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen etwa 20.000.

Mit der für das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg durchgeführten Wirkungsanalyse sollte der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkungen auf das Steueraufkommen sowie auf Güter- und Faktormärkte zu erwarten sind, wenn bei arbeitsintensiven und konsumnahen Dienstleistungen der aktuell geltende Mehrwertsteuersatz von 16 % auf 7 % abgesenkt würde. Die möglichen Steuerausfälle und die durch zu erwartende Preissenkungen bewirkten Nachfrageeffekte waren dabei gleichermassen von Interesse.

Im Unterschied zum enumerativen EU-Modellversuch wurde ein systematischer Ansatz zugrundegelegt. Als konsumnah wurde ein Unternehmen dann definiert, wenn dessen Anteil des Umsatzes mit privaten Haushalten mindestens 40 % beträgt. Als arbeitsintensiv wurde ein Unternehmen definiert, wenn dort das Verhältnis zwischen Lohnkosten (Löhne, Gehälter, Personalnebenkosten) und Umsatz eine Höhe von mindestens 35 % erreicht. Etwa 38 % der Handwerksgewerbe erfüllen diese Kriterien. Besonders arbeitsintensive Handwerksbereiche sind etwa das Friseurhandwerk (Arbeitsintensität 67,7 %), das Gebäudereinigerhandwerk (69,8 %) oder das Maler- und Lackiererhandwerk (54,9 %). Die arbeitsintensiven und konsumnahen Branchen sind besonders von Schwarzarbeit betroffen. Untersucht wurden die Wirtschaftsbereiche Handwerk, handwerksähnliche Gewerbe, haushaltsnahe Dienstleistungen und Gastgewerbe.

Um ein möglichst realitätsnahes Bild zeichnen zu können, wurden sowohl methodisch verschiedene Fallkonstellationen untersucht und unterschiedliche Preiselastizitäten für die Nachfrageeffekte zugrundegelegt, als auch zwei Fallmodellierungen mit voller und nur teilweiser Weitergabe der Preisreduzierungen an den Endverbraucher vorgenommen. Um die fiskalischen Effekte bewerten zu können, wurden der Belastung des Staatshaushaltes durch Mehrwertsteuerausfälle die zusätzlichen Einnahmen gegenübergestellt: insbesondere Steuern und Sozialabgaben aus Neubeschäftigungen, Einsparungen von Transferleistungen wie etwa Arbeitslosengeld sowie zusätzliche Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben aus Unternehmereinkommen.

Für die einbezogenen Handwerksbereiche ergab die ifm-Studie, dass im besten Fall eine Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes nahezu haushaltsneutral durchgeführt werden könnte. Im besten Modellfall stünden Mehrwertsteuer-Ausfällen in Höhe von 5,3 Mrd. Euro zusätzliche Einnahmen von 4,6 Mrd. Euro gegenüber (bei voller Weitergabe der zu erwartenden Preissenkungen, einer Preiselastizität von 2,8 und der Annahme, dass 50 % der neu entstehenden Arbeitsplätze von bisherigen Arbeitslosen besetzt würden).
Im Friseurhandwerk, das wegen der besonderen Gefahr der Substituierung durch Schwarzarbeit ausgeprägt preiselastisch reagiert, würden in der best-case-Variante die Zusatzeinnahmen des Staates (in Form von Steuern und Sozialabgaben) die Mehrwertsteuer-Ausfälle sogar übersteigen. Als wahrscheinlichster Fall ergab sich hier aber zumindest eine nahezu volle Haushaltsneutralität bei einer Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes.

Beim Gastgewerbe würden im wahrscheinlichsten Fall einer mittleren Preiselastizität die Mehrwertsteuer-Ausfälle mögliche Zusatzeinnahmen deutlich übersteigen. Allerdings ist der geltende Mehrwertsteuersatz im Gastgewerbe in Deutschland ein gravierender Standort- und Wettbewerbsnachteil, da 12 von 15 Mitgliedsstaaten der EU bereits reduzierte Sätze auf Beherbergungsleistungen eingeführt haben.

„Massnahmen zur Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes sind zwar steuersystematisch nur eine second-best-Lösung aber als beschäftigungspolitische Chance in jedem Fall einer Überlegung wert, da sie den Faktor Arbeit entlasten“, so die Geschäftsführerin des Instituts für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim (ifm), Dr. Birgit Buschmann.

Dies zeigen auch die Erfahrungen aus dem EU-Modellversuch, der seit dem 1. Januar 2000 in neun europäischen Ländern läuft. So hat das niederländische Finanzministerium ermittelt, dass die Zahl der Beschäftigten im Jahr 2000 im niederländischen Friseurhandwerk im Vergleich zu 1999 um 12,7 % zugenommen hat. Und auch der Erfahrungsbericht der französischen Regierung zieht positive Bilanz. Hier schätzt man, dass rund ein Drittel der durch die Mehrwertsteuerreduzierung ausgelösten Umsatzsteigerungen im Bausektor von rund 1,4 Mrd. Euro zwischen 1999 und 2001 auf eine Verschiebung der Dienstleitungen aus dem Bereich der Schwarzarbeit in den legalen Bereich zurückzuführen ist. Ähnlich günstige Beurteilungen liegen aus Luxemburg und Griechenland vor.

Insbesondere etwa im durch Schwarzarbeit besonders gefährdeten handwerklichen Bau- und Ausbaugewerbe kann daher erwartet werden, dass bis zu 70 % der Arbeitsplätze, die in Folge einer Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes entstehen könnten, von bisherigen Arbeitslosen besetzt würden.

„Um arbeitsintensive und konsumnahe Dienstleistungen auf dem regulären Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu machen und die Schattenwirtschaft einzudämmen, ist ein Massnahmenmix aus Reduzierung der Lohnnebenkosten und steuerlicher Entlastung erforderlich“, so Mittelstandsforscherin Buschmann.

Ansprechpartner für fachliche Fragen zur Studie:

Dr. Birgit Buschmann
Geschäftsführerin des Instituts
für Mittelstandsforschung
Telefon: 0621-181-2890

Media Contact

Ralf Bürkle idw

Weitere Informationen:

http://www.ifm.uni-mannheim.de

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