Wer beherrscht die Unternehmen – Aktionäre, Management oder Arbeitnehmer?

Studie des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung belegt: Shareholder Value und Mitbestimmung sind nicht immer unvereinbar

Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung zeigt, wie deutsche Unternehmen sich in den neunziger Jahren immer stärker an den Interessen der Aktionäre ausrichteten und welche Auswirkungen das auf das deutsche System der Arbeitsbeziehungen hatte. Dabei wird deutlich, dass die Interessen von Aktionären und Arbeitnehmervertretungen nicht immer gegensätzlich sind.

Die neunziger Jahre haben die Unternehmenslandschaft in Deutschland verändert. Große deutsche Unternehmen entdeckten zunehmend die Aktionärsinteressen als Referenzpunkt der Unternehmenspolitik. Doch wie kam es zu diesem Wandel? Ist Shareholder Value vereinbar mit dem deutschen System der Arbeitsbeziehungen, das durch ein hohes Maß an Regulierung, zentrale Lohnfindung und Mitbestimmung gekennzeichnet ist? Anhand eines Vergleichs der vierzig größten deutschen Aktiengesellschaften aus Industrie und Handel hat Martin Höpner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Ursachen und Konsequenzen des Trends zu aktionärsorientierter Unternehmensführung analysiert.

„Die momentane Debatte über die aus Aktionärssicht schädlichen Wirkungen der Mitbestimmung geht an der Realität vorbei“, meint Höpner. „In Wahrheit haben Aktionäre und Arbeitnehmervertreter in zahlreichen Konflikten Koalitionen gegen die Manager gebildet.“ Als Beispiel nennt Höpner die zunehmende Unternehmenstransparenz, die von Gewerkschaftern und institutionellen Anlegern gleichermaßen gefordert wird. „Arbeitnehmervertreter und Aktionäre teilen auch eine Aversion gegen die Bildung stiller Reserven, mit denen Gewinne vor den Augen der Anteilseigner und der Beschäftigten versteckt werden“. Und überhöhte Managervergütungen werden von Gewerkschaftern und Aktionären gleichermaßen ungern gesehen.

„Internationalisierte Unternehmen aus dem Exportsektor richten sich besonders häufig am Nutzen der Aktionäre aus“, stellt Martin Höpner fest. In seiner Studie hat er eine Rangfolge der am stärksten aktionärsorientierten Unternehmen erstellt; Bayer, E.ON (früher VEBA und VIAG) und SAP nehmen dabei die ersten Plätze ein (Abb. 1). Drei unternehmensexterne Mechanismen begünstigen bzw. fördern eine aktionärsorientierte Unternehmenspolitik:

  • der Grad an Wettbewerb auf den internationalen Produktmärkten,
  • die Präsenz institutioneller Anleger und
  • die Gefahr feindlicher Übernahmen

Gewerkschaften und Betriebsräte bestimmen die Unternehmenspolitik über ihre Beteiligung an den Aufsichtsräten mit. In den Arbeitsbeziehungen erweisen sich Shareholder-Value-Unternehmen nicht als besonders konfliktorientiert, sondern im Gegenteil als überdurchschnittlich konfliktscheu. Sie können mit den Flächentarifverträgen gut leben und akzeptieren den Bestand der Mitbestimmung.

Die Haltung der Betriebsräte und Gewerkschaften zu aktionärsorientierter Unternehmensführung ist zwiespältig. Während sie die zunehmende Transparenz und den Schutz der Kleinanleger begrüßen, werden Strategien der Konzentration auf Kerngeschäfte kritisch begleitet. Bei Umstrukturierungen zeigen sich unterschiedliche Konfliktlinien zwischen Aktionären, Managern und Betriebsräten. Shareholder-Value-Unternehmen stoppen das Unternehmenswachstum, um die Rentabilität zu steigern. Da dies in vielen Fällen die Arbeitsplatzsicherheit der Kernbelegschaften erhöht, können kapitalmarktorientierte Umbaumaßnahmen in der Regel im Konsens mit den Belegschaften durchgeführt werden.

Auch hinsichtlich der Karrierewege der Topmanager erwiesen sich die neunziger Jahre als ein Jahrzehnt des Wandels. „Das Bild der technisch ausgebildeten deutschen Führungskraft, die sich für Finanzfragen nicht interessiert, findet in der Wirklichkeit keine Entsprechung mehr“, sagt Höpner (Abb. 2). Immer mehr Führungskräfte werden außerhalb des Unternehmens rekrutiert und haben Erfahrungen in der einzelwirtschaftlichen Finanzrechnung. Die durchschnittliche Verweildauer von Vorstandsvorsitzenden in ihren Ämtern, die in den siebziger Jahren noch dreizehn Jahre betrug, ist auf etwa sechs Jahre gesunken. „Hier nimmt der Druck der Märkte zu“, sagt Höpner. „Die Bereitschaft der Anteilseigner, Führungskräfte vor dem Hintergrund schlechter finanzwirtschaftlicher Ergebnisse auszuwechseln, ist deutlich gewachsen.“

Media Contact

Christel Schommertz Max-Planck-Gesellschaft

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