EDEN-Studie: Wie fruchtbar sind die deutschen Männer?

Wissenschaftler des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) untersuchen im Rahmen einer europäischen Studie, ob die Fruchtbarkeit deutscher Männer nachlässt. Dazu werden in den nächsten zwei Jahren etwa 1000 junge Männer in Hamburg und Leipzig befragt und untersucht.

„Wann ist der Mann ein Mann?“ Auf diese seit den 80ern von Herbert Grönemeyer millionenfach gestellte Frage gibt es bis heute keine erschöpfende Antwort. Für die meisten männlichen Zeitgenossen gehört zum Mann-Sein automatisch die Zeugungsfähigkeit. Doch mit der Fruchtbarkeit der jungen Adonisse ist es nicht mehr zum Besten bestellt: Die Konzentration ihrer Spermien nimmt rapide ab, die Fertilität europäischer Männer nähert sich inzwischen einem Bereich, der von der Weltgesundheitsorganisation WHO als kritisch eingestuft wird.

Ob es wirklich so schlecht um den Mann steht, wollen zahlreiche Wissenschaftler im Rahmen des internationalen Forschungsprojektes EDEN („Endocrine Disrupters“) herausfinden. Das UKE nimmt innerhalb der EDEN-Studie die „Fruchtbarkeit deutscher Männer unter Berücksichtigung umweltbedingter Schadstoffeinflüsse von der Embryonalzeit bis zur Adoleszenz“ unter die Lupe. Etwa 1000 junge Männer zwischen 17 und 23 Jahren werden dazu in den nächsten Monaten in Hamburg und Leipzig befragt und untersucht. Das bundesweit einmalige Forschungsprojekt wird in der von Professor Dr. Wolfgang Schulze geleiteten Abteilung für Andrologie der Hamburger Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie durchgeführt. Dr. Andrea Salzbrunn betreut diese Studie, die von der Europäischen Union und dem Umweltbundesamt mit 418 000 Euro gefördert wird.

Das neue Projekt ergänzt Daten von 36283 männlichen Patienten mit Kinderwunsch, die im Zeitraum von 1956 bis 1995 in der Hamburger Universitätsklinik im Hinblick auf ihre Fruchtbarkeit untersucht wurden.

Etwa jedes sechste Paar in Deutschland hat Schwierigkeiten mit dem Kinderkriegen. Doch der unerfüllte Kinderwunsch ist schon lange nicht mehr nur Frauensache: Experten schätzen, dass die Ursachen zu jeweils 40 Prozent bei Mann oder Frau liegen und in 20 Prozent der Fälle bei beiden Partnern zu finden sind. Doch während Frauen „ganz offen beim Kaffeeklatsch über die weibliche Fruchtbarkeit sprechen, ist das bei Männern nach wie vor tabubeladen“, hat Dr. Salzbrunn festgestellt.

Analysen von mehreren tausend Männern, die als Patienten in Kinderwunschsprechstunden in Magdeburg, Berlin, Leipzig und Hamburg waren, haben ergeben, dass sich die Spermiendichte pro Jahr um etwa zwei Prozent vermindert und damit einem Bereich nähert, den die WHO als kritisch für die Fertilität einstuft. Als Maßeinheit gilt die Menge der Spermien pro Milliliter Samenflüssigkeit; der WHO-Referenzwert beträgt 20 Millionen Spermien pro Milliliter (Mio./ml). In Hamburg haben die Männer des Geburtsjahrgangs 1980 diesen Grenzwert bereits erreicht.

„Die Angaben beziehen sich jedoch nur auf diejenigen, die wegen eines unerfüllten Kinderwunsches in die andrologische Sprechstunde gekommen sind“, schränkt der Hamburger Androloge Professor Schulze ein. „Bisher gibt es keinerlei aussagekräftigen Daten aus der Allgemeinbevölkerung. Wichtigstes Ziel unserer Untersuchung ist es daher, die Fertilität bei einem repräsentativen Querschnitt der männlichen Bevölkerung zu untersuchen.“

Die beste Möglichkeit, einen solchen Querschnitt zu erreichen, bietet die Musterung in den Kreiswehrersatzämtern, der sich alle jungen Männer unterziehen müssen. Nachdem das Bundesverteidigungsministerium grünes Licht gegeben hat, werden in Hamburg seit dem 1. Februar Freiwillige unter den Gemusterten rekrutiert, die an der Studie teilnehmen wollen. UKE-Ärzte vereinbaren mit ihnen ein Termin für eine etwa einstündige körperliche Untersuchung inclusive Blut- und Samenprobe.

Außerdem erhalten sie einen umfangreichen Fragebogen, der Aufschluss geben kann über mögliche Gründe, die zu Beeinträchtigungen der Fertilität führen. Alle Angaben werden vertraulich behandelt. Auch die Auswertung der Fragebögen erfolgt anonymisiert, so dass keine Rückschlüsse auf die Person möglich sind. Für die Teilnahme an der Studie erhalten die jungen Männer eine Aufwandsentschädigung von 50 Euro.

Anfang Mai beginnen identische Untersuchungen in Leipzig. Auf diese Weise sollen eventuell vorhandene regionale Unterschiede ermittelt werden. Insgesamt werden etwa 1000 Männer befragt und untersucht. Die Ergebnisse, die Mitte 2005 vorliegen sollen, tragen zum Aufbau einer europaweiten Datenbank über die Entwicklung der männlichen Fertilität bei, die regelmäßig aktualisiert werden soll. Diese Datenbank hat Professor Niels Erik Skakkebaek aus Kopenhagen ins Leben gerufen, der die diesbezüglichen Untersuchungen europaweit koordiniert und auch das UKE in das Projekt einbezogen hat.

Die Forschung hat sich bisher kaum mit dem Thema beschäftigt: Während Erkenntnisse über die Reproduktionsfähigkeit der Frau ganze Bücherregale füllen, ist zur männlichen Fertilität nur wenig bekannt. So sind denn auch die Gründe der eingeschränkten Fruchtbarkeit bis heute nicht vollständig erschlossen. Vermutet werden unterschiedliche Lifestyle-Faktoren in den europäischen Ländern. Zwar schaden vermehrter Nikotin- oder Alkoholkonsum ganz allgemein der Gesundheit – ob dieses Verhalten allerdings die Fortpflanzungsfähigkeit des Mannes beeinträchtigt, ist bislang nicht belegt.

Ebenfalls noch nicht endgültig geklärt sind die Auswirkungen von beruflichem oder privatem Stress. Und auch die Tatsache, dass immer mehr Paare die Reproduktionsmedizin in Anspruch nehmen und der Mann seine eingeschränkte Zeugungsfähigkeit damit eventuell vererbt, muss noch genauer untersucht werden. Als gesichert gilt dagegen, dass schwere Allgemeinerkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes und die Medikamente, die dagegen eingenommen werden, die Zeugungsfähigkeit des Mannes beeinträchtigen.

Eine bedeutsame These zielt auf einen Lebensabschnitt des Mannes, für den dieser noch keine Verantwortung übernehmen kann: Umweltbelastungen, denen die Mutter während der Schwangerschaft ausgesetzt war, können die Gonadenanlagen männlicher Embryonen so stark beeinflussen, dass die Zeugungsfähigkeit im Erwachsenenalter ganz oder teilweise verloren geht. Dr. Salzbrunn: „Wir wissen von vielen Stoffen, dass sie hormonaktiv sind und besonders auf den männlichen Fötus einwirken. Hierzu gehören Pflanzenschutzmittel wie Pestizide oder Fungizide genauso wie Zusatzstoffe in Waschmitteln oder Kosmetika.“ Besonders belastend könnten Renovierungsarbeiten während der Schwangerschaft sein, wenn die werdende Mutter Dämpfe von Farben, Lacken oder Lösungsmitteln einatme.

In diesem Zusammenhang dürfe die Spermienkonzentration jedoch nicht isoliert betrachtet werden, erklärt die Andrologin. Oftmals sei sie ein Symptom unter anderen, die Professor Skakkebaek unter der Bezeichnung „Entwicklungsstörungen der männlichen Reproduktionsorgane“ (Testicular Dysgenesis Syndrom, kurz: TDS) zusammengefasst habe. Hierzu, so Salzbrunn, zählen etwa die zunehmende Häufigkeit von Hodenhochstand und Hodenkrebs. Auch werden vermehrt Fehlbildungen im Genitalbereich bei jungen Männern festgestellt. „TDS kann auf umweltbedingte Störungen während der fötalen und frühkindlichen Entwicklung zurückzuführen sein und muss bei den Untersuchungen berücksichtigt werden.“

Weniger dramatisch scheinen sich Umweltbelastungen im Erwachsenenalter auszuwirken. „Der Kontakt mit Giften oder Schwermetallen hat sicher negative Auswirkungen auf den Organismus, doch sind diese in Bezug auf die Fortpflanzung in den meisten Fällen reversibel. Die Regenerationsfähigkeit des samenbildenden Gewebes ist groß: Schadstoffeinflüsse, denen Männer nach der Pubertät ausgesetzt sind, können ohne dauerhafte Beeinträchtigungen auf die Zeugungsfähigkeit bleiben“, erläutert Dr. Salzbrunn. Sogar nach intensiven Chemo- oder Strahlenbehandlungen in Folge einer Krebserkrankung kann etwa ein bis zwei Jahre später die Spermienproduktion wieder einsetzen.

Die nachlassende Fruchtbarkeit junger Menschen in einer Gesellschaft, die immer älter wird, ist ein wichtiges Zukunftsthema. „Wenn sich dieser Trend bestätigen sollte,“ so Professor Schulze, „dann haben wir ein ernsthaftes Problem, dessen Dimensionen noch nicht absehbar sind. Es wäre wünschenswert, dass die Forschung zur männlichen Fertilität in den nächsten Jahren intensiviert wird. Dazu gehören aber sowohl ein gesteigertes öffentliches Bewusstsein für die Problematik als auch eine weitere finanzielle Förderung.“ Nur so werde es möglich sein, detaillierte Kenntnisse über Art und Verbreitung männlicher Fruchtbarkeitsstörungen zu erarbeiten, vorbeugende Maßnahmen zum Schutz der Fertilität sowie weitere Behandlungen für die betroffenen Männer zu entwickeln.

Vielleicht nähern sich die Forscher ja auf diesem Weg Grönemeyers Frage aller Fragen: „Wann ist der Mann ein Mann?“ Eine Antwort von Dr. Salzbrunn zielt jedenfalls exakt in diese Richtung: „Wenn er sich frühzeitig, bewusst und gemeinsam mit dem Andrologen um die Gesundheit seiner Fortpflanzungsorgane bemüht. Die ist nämlich keinesfalls selbstverständlich.“

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Dr. Marion Schafft idw

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