Neue Studie gibt Auskunft: Wie wählen Neubürger?


Politikwissenschaftler Andreas M. Wüst untersucht politische Einstellungen von Neubürgern – Rund zwei Drittel der eingebürgerten Türken wählen SPD und etwa drei Viertel der Russlanddeutschen CDU/CSU

Zur bevorstehenden Bundestagswahl 2002 sind über 61 Millionen Bürger berechtigt, ihre Stimmzettel abzugeben – darunter 2,75 Millionen so genannte Neubürger. Mit knapp 200 000 Einbürgerungen pro Jahr wächst der Anteil dieser Personengruppe an der wahlberechtigten Bevölkerung seit Mitte der neunziger Jahre kontinuierlich an. Der Politikwissenschaftler Andreas M. Wüst, der seit 1999 als Lehrbeauftragter am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg lehrt, hat sich in seiner soeben publizierten Dissertation eingehend mit politischen Einstellungen von Neubürgern und ihrem Wahlverhalten beschäftigt.

Die Grundlage der Studie bilden Umfragedaten. Zunächst wurden im Januar und Februar 1999 insgesamt 378 Eingebürgerte in Heidelberg interviewt. Von Februar bis Dezember 1999 konnten weitere 660 Eingebürgerte im Rahmen der ZDF-Politbarometer von der Forschungsgruppe Wahlen bundesweit befragt werden. Der Autor ist um größtmögliche Transparenz bemüht, denn sowohl die Fragenprogramme als auch die methodischen Details der Datenerhebung und -aufbereitung werden offengelegt.

Große innere Differenzierungen

Andreas M. Wüst untersuchte zunächst, wie sich die heterogene Gruppe eingebürgerter Personen zusammensetzt. Dabei werden in vielen Merkmalen signifikante Unterschiede bei den wichtigsten Neubürgergruppen deutlich: Die größte Teilgruppe der Neubürger bilden demnach Aussiedler, für die jedoch wiederum, abhängig vom Herkunftsland, eine große innere Differenzierung festzustellen ist. So unterscheiden sich vor allem Rumänien- von Russlanddeutschen. Insbesondere Russlanddeutsche zeigen erhebliche Defizite im Hinblick auf Sprachkompetenz und soziale Integration.

Rumäniendeutsche sind sehr viel besser in Deutschland integriert, doch auch eingebürgerte Türken schneiden bei der Integration gut ab. Diese Integrationsvorteile machen sich vor allem bei der politischen Informiertheit und der politischen Partizipation bemerkbar, mit denen sich der Politikwissenschaftler im Anschluss an die Charakterisierung der Neubürger beschäftigt. Eingebürgerte ehemals türkischer und ehemals rumänischer Staatsangehörigkeit kennen Parteien und Politiker deutlich besser als Russlanddeutsche: Auch das Politikinteresse ist in jenen Gruppen weitaus höher. Die Rückstände der Russlanddeutschen, so urteilt der Autor, sind beträchtlich – doch aufgrund der Daten besteht berechtigte Hoffnung, dass diese mit längerem Aufenthalt in Deutschland, wenn auch nur langsam, abnehmen werden.

Erhebliche Unterschiede im Wahlverhalten

Die Gemeinsamkeiten zwischen Rumäniendeutschen und eingebürgerten Türken enden spätestens bei der Parteipräferenz und beim Wahlverhalten, die Schwerpunkt der Analysen des Autors sind. Der Migrationshintergrund beeinflusst in ganz erheblichem Maße politische Einstellungen. Mögliche intervenierende Faktoren wie Geschlecht, Alter, Berufsgruppenzugehörigkeit, der Integrationsgrad und viele andere können den starken Zusammenhang zwischen ehemaliger Staatsbürgerschaft und parteipolitischer Präferenz nicht auflösen. So bevorzugt die Mehrheit der Arbeiter und Protestanten unter den Neubürgern nicht die SPD, sondern die CDU/CSU, weil diese Neubürger überwiegend Russlanddeutsche sind. Dagegen schneidet die SPD vergleichsweise gut bei den Selbständigen ab, denn in dieser Gruppe befinden sich viele Türkischstämmige.

Die Unterschiede zwischen der Wahlabsicht der Russlanddeutschen, die derzeit noch die größte Gruppe eingebürgerter Personen stellen, und derjenigen eingebürgerter Türken, deren Anteil kontinuierlich wächst, sind letzten Endes immens. Rund zwei Drittel der eingebürgerten Türken wählen SPD und etwa drei Viertel der Russlanddeutschen CDU/CSU.

Alle Differenzierungen erscheinen, so schlussfolgert Andreas M. Wüst, auch im Zeitverlauf äußerst stabil. Noch liegt der Anteil an der wahlberechtigten Bevölkerung bei 4,5 Prozent – da jedes Jahr 150 000 bis 200 000 Personen neu eingebürgert würden, rechnet der Autor mit einer zunehmenden Bedeutung dieser Gruppe für die Wahlergebnisse. Er plädiert für eine stärkere Berücksichtigung des Migrationshintergrundes in Wahlanalysen. Unter dem Titel „Wie wählen Neubürger? Politische Einstellungen und Wahlverhalten eingebürgerter Personen in Deutschland“ ist die Dissertation soeben im Verlag Leske+Budrich (24,90 Euro) erschienen.
Carmen S. Freihaut

Rückfragen bitte an:
Dr. Andreas M. Wüst
Tel. 0621 1812878, Fax 1812880 
andreas.wuest@urz.uni-heidelberg.de

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Dr. Michael Schwarz idw

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