Fortschritt in der Schizophrenie-Forschung

Schizophrenie ist eine der schwerwiegendsten psychischen Erkrankungen mit Symptomen wie Wahnideen und einer Verflachung des Gefühlslebens. Umweltbedingte, aber auch angeborene Faktoren spielen in einem komplexen Zusammenspiel bei der Entstehung der Erkrankung eine Rolle.

Zwei Veröffentlichungen in den Internetausgaben der Fachzeitschriften „Nature“ und „Nature Genetics“ liefern jetzt einen bahnbrechenden Vorstoß bei der aufwändigen und außerordentlich schwierigen Suche nach relevanten genetischen Komponenten. Durchgeführt wurden die europaweiten Studien von großen Forscherteams, denen auch LMU-Wissenschaftler angehörten.

Dr. Dan Rujescu war als einer der Erstautoren der „Nature“-Studie neben dem isländischen Kollegen Dr. Hreinn Stefansson und Dr. Sven Cichon von der Universität Bonn sogar maßgeblich beteiligt. In beiden Fällen analysierten und verglichen die Forscher die genetischen Daten nicht Betroffener und an Schizophrenie leidender Menschen auf der Suche nach genetischen Variationen, die zur Entstehung der Erkrankung beitragen.

„Wir konnten drei sogenannte Mikrodeletionen identifizieren“, berichtet Rujescu. „Treten diese seltenen genetischen Variationen bei einem Menschen auf, führt dies zu einem moderat bis stark erhöhten Erkrankungsrisiko. Zudem haben wir noch andere, relativ häufige Variationen gefunden, die das Risiko leicht erhöhen. Zur weiteren Erforschung der Ursachen der Schizophrenie wie auch zur Entwicklung eines diagnostischen Tests – und möglicherweise einer Therapie – könnten unsere Ergebnisse einen wichtigen Beitrag leisten.“

Eine gespaltene Persönlichkeit gehört – anders als gemeinhin angenommen – nicht zu den möglichen Symptomen einer Schizophrenie. „Bei den Betroffenen verändern sich aber das Denken und Handeln sehr stark“, sagt Privatdozent Dr. Rujescu, Leiter der Sektion Molekulare und Klinische Neurobiologie an der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Universität München.

„Dabei sind Halluzinationen oder auch Wahnideen nur einige der möglichen Symptome dieser schweren psychiatrischen Erkrankung.“ Ebenfalls beobachtet werden unter anderem eine Verflachung des Gefühlslebens und eine Reduktion des Ausdrucks in Mimik und Gestik sowie Depressionen. Je nach Ausprägung wird die Schizophrenie in verschiedene Subtypen eingeteilt. Insgesamt gehört das Leiden zu den schwerwiegendsten psychischen Erkrankungen. Nach Schätzungen durchlebt etwa jeder Hundertste mindestens einmal in seinem Leben eine schizophrene Episode. In Deutschland alleine sind damit etwa 800.000 Menschen betroffen. Eine Schizophrenie kann bislang nicht geheilt, sondern nur partiell therapiert werden – was den Patienten im günstigsten Fall ein gutes Funktionieren trotz Erkrankung ermöglicht.

Noch ist unbekannt, wie eine Schizophrenie entsteht. Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien haben jedoch gezeigt, dass neben umweltbedingten Faktoren auch genetische Komponenten eine wichtige Rolle spielen – ihr Einfluss wird auf etwa 80 Prozent geschätzt. So tragen nahe Verwandte eines schizophrenen Patienten ein deutlich erhöhtes Risiko, ebenfalls zu erkranken.

Das Vererbungsmuster der zugrunde liegenden genetischen Faktoren erwies sich aber als außerordentlich komplex und daher nur schwer zu entschlüsseln. „Vermutlich wirken mehrere genetische Faktoren zusammen, von denen jeder für sich genommen nur einen geringen Einfluss auf die Erkrankung hat, oder aber selten vorkommt und einen moderaten bis starken Effekt hat“, so Rujescu.

„Deshalb sollen in der Schizophrenie-Genetik derzeit vor allem sogenannte Risikogene identifiziert werden. Und auf der Suche nach relevanten genetischen Faktoren sind wir jetzt ja einen wichtigen Schritt vorangekommen. Es gibt aber nicht das eine oder einige wenige 'Schizophrenie-Gene' sondern nur genetische Variationen, die mehr oder weniger zur Entstehung der Erkrankung beitragen.“

So verglich das Team, dem Forscher aus einer Vielzahl europäischer Länder angehörten, in der „Nature“-Studie die genetischen Anlagen, also das Genom, von Tausenden nicht betroffenen Menschen mit denen von an Schizophrenie erkrankten Patienten auf der Suche nach sogenannten „Copy Number Variations“, auch CNVs genannt. Das sind DNA-Abschnitte mit einer Länge von mindestens 100.000 Bausteinen, die zwischen verschiedenen Menschen variieren – vor allem in Hinsicht auf die Kopienanzahl, in der sie auftreten.

Drei besonders interessante CNVs konnten die Wissenschaftler dabei identifizieren, eines davon auf Chromosom 1 und die beiden anderen auf Chromosom 15. Diese CNVs erwiesen sich als relevant für die Entstehung von Schizophrenie und anderen verwandten Psychosen. In der zweiten Studie ging es dann um sogenannte „Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs)“, das sind die kleinstmöglichen individuellen Genomvariationen, die einzelne Bausteine innerhalb des gesamten Erbguts betreffen. An drei Bereichen der DNA konnten die Forscher SNP-Varianten identifizieren, die das Risiko erhöhen, an einer Psychose wie der Schizophrenie zu erkranken.

Es waren auch im Vorfeld bereits einige SNPs und CNVs bekannt, die mit Schizophrenie assoziiert sind. Diesen Studien lagen aber nur die genetischen Daten einer relativ geringen Anzahl von Personen zugrunde. Bei den nun vorliegenden Untersuchungen wurden dagegen die Daten Tausender von Menschen genutzt. „Es haben insgesamt viele Zentren an beiden Studien teilgenommen“, berichtet Rujescu. „Denn auf anderem Weg hätten wir diese enorme Stichprobengröße niemals bekommen.

So aber haben wir eine Assoziation der gefunden genetischen Variationen mit der Erkrankung finden können – und zwar ohne regionale oder nationale Unterschiede. Besonders interessant ist dabei auch, dass offensichtlich unterschiedliche Mechanismen zum Tragen kommen: Wir haben nämlich seltene genetische Variationen gefunden, die einen großen Effekt ausüben, aber auch häufige genetische Varianten, die nur geringfügig zum Erkrankungsrisiko beitragen.“

Publikation:
„Large recurrent microdeletions associated with schizophrenia“,
Hreinn Stefansson, Dan Rujescu, Sven Cichon et. al.
Nature, online am 30. Juli 2008
„Identification of loci associated with schizophrenia by genome-wide association and follow-up“,
Michael C O´Donovan et. al.
Nature Genetics, online am 30. Juli 2008
Ansprechpartner:
Privatdozent Dr. Dan Rujescu
Abteilung Molekulare und klinische Neurobiologie der LMU
Tel.: 089 / 5160 – 5756, Fax: 089 / 5160 – 5779
E-Mail: dan.rujescu@med.uni-muenchen.de

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