Wie gelingt es erfahrenen Radiologen auf den ersten Blick, anhand eines Röntgenbildes einen Befund zu erstellen?

Ein junger Assistenzarzt und sein Chefarzt stehen zusammen vor einem Röntgenbild. Während letzterer auf den ersten Blick eine Diagnose stellen kann, ist dem jungen Mann noch unklar, auf welcher Basis sein Chef diese Entscheidung fällen konnte. Psychologen der TU Dresden arbeiten unter Leitung von Professor Boris Velichkovsky in einem europaweiten Forschungsprojekt, welches genau dieses Phänomen erklären will.

Angenommen, die Gedanken und Empfindungen des Betrachters eines Bildes ließen sich aufzeichnen und so darstellen, dass jeder nachvollziehen könnte, was der Betrachter gesehen hat, und wie es auf ihn gewirkt hat, würde dies völlig neue Anwendungen psychologischer Forschung erlauben. Beispielsweise könnten nichtverbale Grundlagen des diagnostischen Urteilens in der Medizin objektiviert werden oder für ganz neuen Formen der technischen Kommunikation zwischen weit von einander liegenden industriellen Standorten entwickelt werden.

Das internationale Forschungsprojekt PERCEPT, das von der Europäischen Kommission innerhalb der Measuring the Impossible-Ausschreibung gefördert wird, hat sich genau dieses Ziel gesetzt. Während Beobachter Kunstwerke der Gemäldegalerie Alte Meister am Bildschirm betrachten, werden Aufmerksamkeitsverteilung und Emotionen gemessen.

Dies geschieht einerseits mit Hilfe neurophysiologischer Verfahren wie fMRT, EEG und MEG, und andererseits mit Verhaltensanalysen wie Blickbewegungsmessung. Ein wichtiger Zwischenschritt innerhalb des Projekts besteht in der Kombination und Synchronisation dieser beiden Messtechnologien. Die Analyse der Aktivierung in verschiedenen Hirnarealen (fMRT) und die direkte Messung der Aufmerksamkeitsausrichtung (Blickbewegungen) gestatten es, die der Wahrnehmung zu Grunde liegenden neurophysiologischen Prozesse zu untersuchen. In den vergangenen achtzehn Monaten wurden verschiedene Schwerpunkte des Projekts bearbeitet, um den Zielen näher zu kommen.

In einer Reihe von Untersuchungen wurden unterschiedliche emotionale Bilder, z. B. lächelnde oder angstvolle Gesichter bzw. Fotografien mit neutralen oder Ekel erregenden Inhalten gezeigt, wobei sowohl Blickbewegungen als auch fMRT gemessen wurde. Die Daten zeigen typische Erregungsmuster im Gehirn für einzelne Emotionen. Auch im Blickverhalten lassen sich deutliche Unterschiede finden.

Die Messung von Gehirnaktivität mit Hilfe von fMRT ist ein sehr aufwändiger Prozess – für den Probanden bedeutet das, für eine längere Zeit in einer Röhre zu liegen und bestimmte Aufgaben zu lösen, für den Experimentator, die verwendeten Paradigmen auf die relativ träge Antwort des Messsystems anzupassen (ca. 2-7 Sekunden). Innerhalb von PERCEPT ist es erstmals weltweit gelungen, die zeitlichen Begrenzungen von fMRT zu überwinden, und die Gehirnaktivität in Beziehung zu einzelnen Fixationen des Auges zu setzen (die Dauer einer Fixation beträgt ca. 250 ms). Damit ist es möglich, jeden einzelnen „Augenblick“ zu untersuchen. Die Ergebnisse der bisherigen Studien deuten darauf hin, dass es differenzierbare Muster in der Gehirnaktivität gibt, die zeigen dass sich die Inhalte des Bewusstseins von einem Augenblick zum anderen verändern.

Das Projekt PERCEPT, das von Dresdner Psychologen geleitet wird und acht weitere führende europäische Forschungszentren einschließt, ist nun in der Halbzeit. Wichtige Ergebnisse sind erzielt worden, die es erlauben, mit neuen und verbesserten Methoden daraufhin zu arbeiten, das bisher Verborgene der menschlichen Wahrnehmung transparenter zu machen.

Die Ergebnisse von PERCEPT werden helfen, die unterschiedliche Betrachtung eines Röntgenbildes durch Chefarzt und Assistenzarzt darzustellen. Letztlich wird dadurch dem jüngeren Kollegen schnell deutlich, welche Hinweise zu einer schnellen und richtigen Entscheidung führen.

Information für Journalisten:
Dr. Sebastian Pannasch, Tel.: 351 463-34306
E-Mail: pannasch@applied-cognition.org

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Kim-Astrid idw

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