Intakter Schleimschutz im Darm

Ein viel versprechendes Medikament gegen die chronische Dickdarmentzündung „Colitis ulcerosa“ haben Wissenschaftler der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg bereits in einer zweiten klinischen Studie erfolgreich getestet: Ein körpereigenes, aber speziell aufbereitetes Fett kann 80 Prozent der Patienten von ihren Beschwerden befreien, ohne dass eine zusätzliche Behandlung mit Kortison nötig ist. Das im Fettgemisch Lecithin enthaltene Phosphatidylcholin (PC) macht zudem die Hälfte dieser Patienten beschwerdefrei. Für die Studie wurde PC pharmakologisch verpackt, so dass es – im Gegensatz zu anderen Fetten – erst im unteren Teil des Dünndarms freigesetzt wird und von dort den Dickdarm erreicht.

Die Heidelberger Studie ist jetzt in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift „Annals of Internal Medicine“ veröffentlicht worden; sie wurde von der Dietmar-Hopp-Stiftung, Walldorf, unterstützt.

An der schweren Darmentzündung Colitis ulcerosa leiden rund 200.000 Menschen in Deutschland. Meist beginnt die Erkrankung im jungen Erwachsenenalter; blutige Durchfälle und heftige Schmerzen durch Geschwüre im Dickdarm prägen das Krankheitsbild – oft ein Leben lang. Die Ursache der Erkrankung, die das Risiko für Darmkrebs vervielfacht, ist nicht bekannt. Medikamente können nur die Beschwerden lindern, allerdings oft mit erheblichen Nebenwirkungen wie beim entzündungshemmenden Kortison.

Erste Studie 2005 gab Hinweise auf Wirksamkeit und Verträglichkeit

Die Heidelberger Wissenschaftler suchen seit Jahren nach Möglichkeiten, die bei Colitis verminderte Schleimschicht auf den Darmzellen zu verstärken, damit sie wieder ausreichend Schutz vor Bakterien oder anderen Entzündungsauslösern bieten kann. So entdeckten Professor Dr. Wolfgang Stremmel, Ärztlicher Direktor der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg, und sein Team, dass die Einnahme von speziell aufbereitetem Phosphatidylcholin (PC) den Schleimschutz im Dickdarm aufbauen kann. Eine erste Studie an Patienten mit chronisch aktiver, bei der PC gegen ein Scheinpräparat (Placebo) getestet wurde, hatte bereits im Sommer 2005 erste Hinweise auf die Wirksamkeit und Verträglichkeit des Fettes gegeben (GUT, Band 54, Seite 966 – 971, 2005).

„Für die neue Studie haben wir Patienten behandelt, die dauerhaft Kortison einnehmen müssen, damit ihre Erkrankung wenigstens einigermaßen kontrolliert wird“, berichtet Professor Stremmel. „Allerdings sprechen nicht alle Patienten auf Kortison oder andere Medikamente wie die Immunsuppressiva an, zum Teil rufen sie auch schwere Nebenwirkungen hervor.“

Deutschlandweite Studie unter Heidelberger Federführung

An der Heidelberger Studie nahmen insgesamt 60 Patienten teil, die 12 Wochen lang entweder PC oder ein Placebo einnahmen. „Rund 80 Prozent der Patienten waren innerhalb von 3 Monaten vom Cortison befreit, ohne dass sich die Colitis verschlechterte“, berichtet Dr. Max Karner, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Professor Stremmel. Die Hälfte dieser Patienten erreichte dabei ein krankheitsfreies Stadium; Nebenwirkungen traten – abgesehen von Blähungen – nicht auf. „Dies ist ein erster Hinweis dafür, dass wir diesen verzweifelten Patienten mit einem nebenwirkungsarmen Therapieverfahren in Zukunft eine Behandlungsalternative anbieten können“, bewertet Professor Stremmel die Ergebnisse der Studie.

Die Heidelberger Wissenschaftler bereiten nun eine deutschlandweite Studie vor, in der das Präparat an mindestens 150 Patienten getestet wird. Ergebnisse werden in ca. zwei Jahren vorliegen. Bis dahin hofft man auch, einen pharmazeutischen Hersteller gefunden zu haben, der die Heidelberger Entwicklung umsetzt und das aufbereitete Phosphatidylcholin produziert sowie eine Zulassung als Medikament beantragt.

Patienten, die an der Studie teilnehmen möchten, wenden sich bitte an:
Studiensekretariat
Tel.: 06221 / 56 8701
E-Mail: anja.hanemann@med.uni-heidelberg.de
Kontakt Professor Stremmel:
Tel.: 06221 / 56 8705 (Sekretariat)

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