Abschied von der Gleichwertigkeit

Die in Deutschland geltenden Leitbilder der Versorgung und infrastrukturelle Mindeststandards auf dem Land führen zu einem gleichen Flächenverbrauch und Ressourceneinsatz wie in der Stadt – aber für sehr viel weniger Menschen. Das sei nicht im Sinne der Umweltpolitik, so die Autoren der Studie.

Vor allem der gesetzlich festgeschriebene Grundsatz der Gleichwertigkeit stehe einer nachhaltigen Raumentwicklung im Weg. Er zementiere die Vorstellung davon, dass eine einheitliche Versorgung in Stadt und Land möglich sei, und stehe der dringend notwendigen Entwicklung von umsetzbaren Versorgungskonzepten für dünn besiedelte Regionen im Weg. Diese Konzepte seien bitter nötig, so Klaus Töpfer, Exekutivdirektor des IASS Potsdam: „Durch den demografischen Wandel verstärkt sich das Gefälle zwischen städtischen Zentren und ländlichen Gebieten enorm. Diese Unterschiede müssen wir anerkennen, um den richtigen Ordnungsrahmen für das Kleinerwerden aufzustellen.“

Um hier zu neuen Lösungsansätzen zu kommen, fordert die Studie, das Leitbild Gleichwertigkeit neu zu diskutieren. Denn mit dem Argument der Gleichwertigkeit, so die Autoren, ließen sich Subventionen für bauliche Verschönerungen, für die Ansiedlung von Unternehmen oder für neue Straßen begründen – und zwar selbst in entlegenen oder dünn besiedelten Landstrichen, in denen die Bevölkerungszahl abnimmt. Insbesondere dort zeitigten diese kostspieligen Programme jedoch immer dürftigere Ergebnisse. Wo junge Menschen abwandern, nehme langfristig in der Regel auch die Wirtschaftskraft ab. Selbst millionenschwere Förderprogramme könnten diesen Prozess nicht aufhalten. Besonders offensichtlich werde das Versagen der Raumpolitik am Flächenverbrauch: der liege trotz Bevölkerungsrückgang Tag für Tag bei 80 Hektar und damit weit über der Zielmarke der Bundesregierung von 30 zusätzlichen Hektar pro Tag.

Die Studie fordert deshalb an die demografische Entwicklung angepasste Raumentwicklungskonzepte: Wo nur noch wenige Personen leben und junge Menschen abwandern, lohne es sich nicht, überdimensionierte zentralisierte Abwasserentsorgungsanlagen zu betreiben, neue Straßen zu bauen oder den Linienverkehr aufrechtzuerhalten. Vielmehr müssten alternative Versorgungskonzepte her – wie etwa mobile Arztpraxen, flexible Verkehrsmittel oder Fernschulen. Im Extremfall müsse die Verwaltung sogar Entsiedlungskonzepte für unattraktive und kaum noch bewohnte Dörfer erstellen. „Wir müssen wohl ein paar ‚heilige Kühe‘ schlachten – etwa die Mindestschülerzahlen, das Personenbeförderungsgesetz oder den Anschluss- und Benutzungszwang beim Abwasser“, fordert Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Nur so könnten kreative Lösungen entstehen, die die Zukunftsfähigkeit des ländlichen Raums dort sichern, wo es noch möglich sei, und die dazu beitragen, einen ökologischen Nutzen aus dem Bevölkerungsrückgang zu ziehen.

Die Studie erhalten Sie als PDF kostenlos unter:
http://www.berlin-institut.org/publikationen/studien/vielfalt-statt-gleichwertigkeit
Bei Rückfragen helfen wir Ihnen gerne weiter:
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Schillerstr. 59
10627 Berlin
Ansprechpartner: Ruth Müller (ruth.mueller@berlin-institut.org, Tel.: 030 -3101 7450)

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unabhängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und globaler demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut wurde 2000 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die Aufgabe, das Bewusstsein für den demografischen Wandel zu schärfen, nachhaltige Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die Politik einzubringen und Konzepte zur Lösung demografischer und entwicklungspolitischer Probleme zu erarbeiten.

Das Berlin-Institut erstellt Studien, Diskussions- und Hintergrundpapiere, bereitet wissenschaftliche Informationen für den politischen Entscheidungsprozess auf und betreibt ein Online-Handbuch zum Thema Bevölkerung.

Weitere Informationen, wie auch die Möglichkeit, den kostenlosen regelmäßigen Online-Newsletter „Demos“ zu abonnieren, finden Sie unter http://www.berlin-institut.org.

IASS Potsdam
Berliner Straße 130
14467 Potsdam
Ansprechpartner: Sabine Sämisch (media@iass-potsdam.de, Tel.: 0331-288223-41)
Das 2009 in Potsdam gegründete Institut für Nachhaltigkeitsstudien ist zugleich eine international vernetzte Forschungseinrichtung und ein transdisziplinär arbeitender Think Tank. Ziel des mit öffentlichen Mitteln geförderten Instituts ist es, mit seiner Spitzenforschung Entwicklungspfade für die globale Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft aufzuweisen und interaktiv den Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu fördern. Forschungsgebiete sind die globale Nachhaltigkeitspolitik, innovative Technologien für die Energieversorgung der Zukunft, die nachhaltige Nutzung von Ressourcen wie Ozeane, Böden oder Rohstoffe sowie die Herausforderungen für unser Erdsystem durch Klimawandel und Luftverschmutzung.

Media Contact

Ruth Müller idw

Weitere Informationen:

http://www.iass-potsdam.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Studien Analysen

Hier bietet Ihnen der innovations report interessante Studien und Analysen u. a. aus den Bereichen Wirtschaft und Finanzen, Medizin und Pharma, Ökologie und Umwelt, Energie, Kommunikation und Medien, Verkehr, Arbeit, Familie und Freizeit.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer