Die Zukunft des artenreichen Grünlandes in Europa

Das Schwedische Zentrum für Biodiversität (SBC) an der Landwirtschaftlichen Universität Uppsala (SLU), die Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (HFR) und das European Forum on Nature Conservation and Pastoralism (EFNCP) veranstaltet vom 19.-21. Oktober 2008 einen Experten-Workshop zur Thematik des artenreichen, extensiven Grünlandes in Europa.

Rund 80 Teilnehmer aus 15 Ländern treffen sich auf Initiative des SBC, um zur Situation, zu offenen Forschungsfragen und zu Lösungsansätzen zur Erhaltung des extensiven Grünlandes in Europa zu diskutieren.

Hintergrund
In den vergangenen Jahren (Jahrzehnten) gab es vor allem in den Mitgliedstaaten der EU einen dramatischen Rückgang des extensiven, artenreichen Grünlandes. Damit in Zusammenhang steht auch der Verlust von landwirtschaftlichen Betrieben und den entsprechenden Agrarökosystemen. Das europäische extensive Grünland – also artenreiche Wiesen und Weiden – hat eine einzigartige Bedeutung im Kontext des globalen Biodiversitäts- und Naturerbes. In Deutschland kommen im Grünland mehr als 2.000 Pflanzenarten vor, das ist rund 52 % des Artenbestandes bei uns überhaupt. Allgemein geht man davon aus, das von jeder Pflanze allein 20 Insektenarten direkt oder indirekt abhängig sind. Das gibt einen Hinweis auf die ökologische Bedeutung von artenreichen Wiesen und Weiden.

Nur in Europa sind in den vergangenen Jahrtausenden in einer co-evolutiven Entwicklung zwischen Mensch, Tieren und Pflanzen diese Lebensräume entstanden. Dies ist auch ein Grund, warum die Europäische Union bereits in den 1990er Jahren durch die FFH-Richtlinie, der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, von allen Mitgliedsstaaten einfordert, das auch das extensive Grünland zu erhalten ist. Verstärkt wird diese Forderung durch die von allen EU Mitgliedsstaaten 2001 verabschiedete Nachhaltigkeitsstrategie. Diese sogenannten Göteborg-Ziele formulieren unter anderen, dass bis zum Jahr 2010 der Verlust an Biodiversität in Europa gestoppt sein soll. Das betrifft auch das artenreiche Grünland.

Politische Ziele gibt es also reichlich doch wie sieht die Realität aus?

Genaue Dokumentationen zum Verlust und der noch vorhandenen Verbreitung artenreicher Wiesen und Weiden sind eher selten und häufig nur regional verfügbar. Experten sind sich aber einig, dass seit etwa 1960 in Mitteleuropa rund 90 % des extensiven Grünlandes verschwunden ist. Ein Projekt des SBD zur Situation des extensiven Grünlandes in Schweden offenbarte, dass es dort kaum mehr noch als 1.000 ha artenreichen Grünlandes gibt. Für die südwestdeutschen Landschaften geht man nach Untersuchungen des Bundesamtes für Naturschutz davon aus, dass seit den 1950er Jahren bereits 85 % verschwunden sind. Aktuell gibt es in Baden-Württemberg vielleicht noch 40.000 bis 60.000 ha artenreichen Grünlandes mit sinkender Tendenz. Besonders bedroht ist wiederum das Grünland der Mittelgebirgsregionen und von Feuchtstandorten. Was ist denn nun aus dem Grünland geworden und was sind die Ursachen für den dramatischen Verlust.

Grünland wurde über Jahrtausende als Futtergrundlage für Nutztiere gebraucht.

Noch in den 1960er Jahren waren Grünfutter und Heu die wichtigste Futtergrundlage für die Milchproduktion. Ein klassische Wiese wurde zum Beispiel 2 max. 3 mal jährlich gemäht und mehr oder weniger regelmäßig mit Mist gedüngt. Damit wurde ein Leistungsvermögen von 3.000 bis 4.000 kg Milch pro Jahr erzielt. Auf solchen Wiesen, wie es sie vereinzelt auch noch am westlichen Bodensee gibt, können über 100 Pflanzenarten vorkommen. Eine heutige Kuh gibt 10.000 kg und mehr Milch pro Jahr. Man braucht also deutlich weniger Kühe, um eine gleiche Milchmenge zu produzieren und anderes Futter, das heute immer seltener vom Grünland kommt. Selbst Futter suchen dürfen Kühe in vielen Regionen schon lange nicht mehr. Moderne Kühe stehen heute im Stall und bekommen speziell komponiertes Hochleistungsfutter vorgelegt, das überwiegend aus intensiv angebauten Ackerfrüchten und aus importierten Konzentraten besteht. Wo Futter noch vom Grünland kommt, sind es Silagewiesen. Das heißt, der Aufwuchs wird 4 bis 6 mal im Jahr gemäht und intensiv mit Mineraldünger und Gülle gedüngt. Auf solchem intensiven Silagegrünland sind selten mehr als 10 Pflanzenarten zu finden.

Wiesen, die zu feucht waren, sind schon längst entwässert. Wo dies nicht möglich war oder Flächen zu steil für moderne Maschinen sind, wurden Wiesen oft aufgeforstet oder wurden der Sukzession überlassen. Eine neue Bedrohung ist der zunehmende Flächenbedarf für die Produktion von Biomasse zur Erzeugung von Energie. Diese Entwicklung ist meist begleitet vom Umbruch von Grünland und der Folgenutzung mit Maisanbau.

Zielsetzungen
Die Vision der Veranstalter ist es, dass die europäischen Länder ihre politischen Zielsetzungen zur Erhaltung der Biodiversität des Grünlandes tatsächlich auch in konkretes Handeln überführen. Schutz allein wird nicht ausreichen. Nur wenn auch ökonomische und soziale Ziele berücksichtigt werden entstehen nachhaltige und zukunftsorientierte Landnutzungsmodelle, in denen sich auch artenreiches Grünland wiederfinden kann. Hierzu braucht es verstärkt internationale Netzwerke, Erfahrungsaustausch und Forschungsansätze. Dies wird eines der Hauptanliegen des Workshops sein: den Forschungsstand zu benennen und Wissenslücken zu identifizieren. Der Wunsch ist, dass vom Konstanzer Expertenworkshop Impulse für neue Forschungsinitiativen ausgehen werden.

Zur praktischen Einführung in den Workshop gibt es für interessierte Teilnehmer eine vorab Exkursion. Besucht wird am Sonntag (19.Oktober 2008, 14.30) der Betrieb von Helmut Müller in Kaltbrunn (s. Betriebsspiegel). Der seit über 20 Jahre biologisch arbeitende Betrieb ist ein sehr gutes Beispiel, wie auch artenreiches Grünland sehr gut in moderne landwirtschaft-liche Betriebsabläufe integriert werden können. Der Hof war 2007 Sieger im Bundeswettbe-werb der Naturschutzhöfe und 2008 einer der Sieger beim Wettbewerb der baden-württembergischen Wiesenmeisterschaften.

Vor wenigen Tagen hat zur Grünlandthematik auch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) ein Positionspapier herausgegeben (Where have all the flowers gone ? Grünland im Umbruch). Die Studie kann auf der Homepage des BfN oder auf der Homepage der Hochschule für Forstwirtschaft (www.hs-rottenburg.de), dort unter Aktuelles, heruntergeladen werden.

Weitere Informationen bei
Prof. Dr. Rainer Luick (e-mail: luick@hs-rottenburg.de
oder SBC Dr. Anna Dahlström (e-mail: anna.dahlstrom@ekon.slu.se)

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Corinna Klett idw

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