Das Gehirn als Karikaturist?

„Die meisten Menschen sind ausgesprochene Experten darin, sich Gesichter zu merken und bekannte Gesichter wiederzuerkennen“, sagt Prof. Dr. Stefan Schweinberger von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Vermutlich sei diese Fähigkeit deshalb so gut ausgeprägt, weil ihr eine hohe soziale Bedeutung zukommt.

Doch wie gelingt es uns, in Bruchteilen von Sekunden Gesichter zu erkennen und richtig einzuordnen? Der Psychologe Stefan Schweinberger nennt eine mögliche Erklärung: „Unser Gehirn stellt wahrscheinlich charakteristische individuelle Abweichungen von einem prototypischen Gesicht fest.“ Vergleichbar sei das mit der Arbeit eines Künstlers, der mit einer Karikatur die wesentlichen Merkmale eines Gesichts herausarbeitet.

Kleinere Abweichungen von unserer Fähigkeit, Gesichter zu erkennen, fallen normalerweise kaum ins Gewicht. Sind die Fähigkeiten zur Wahrnehmung sozialer Signale in Gesichtern jedoch gravierend gestört, drohen den Betroffenen starke Einbußen im sozialen Leben. „Personen mit Autismus etwa haben enorme Probleme, Intentionen oder Emotionen in anderen Gesichtern zu lesen“, sagt Stefan Schweinberger, der in Jena die DFG-Forschergruppe „Personenwahrnehmung“ leitet. Andere Patienten, die einen Schlaganfall erlitten haben, litten unter Störungen der Gesichtererkennung. „Wenn wir wissen, wie unser Gehirn diese Informationen verarbeitet, können wir Therapien entwickeln oder zumindest erklären, weshalb bestimmte Defizite auftreten“, sagt Schweinberger.

Um den aktuellen Forschungsstand zu diskutieren, hat die Jenaer DFG-Forschergruppe am 13. und 14. Oktober renommierte Fachkollegen zum Workshop „Person Perception“ nach Jena eingeladen. Zu den Gästen gehören unter anderem die Professoren James W. Tanaka von der University of Victoria (Kanada), Bruno Rossion von der Université catholique de Louvain (Belgien) und Pascal Belin von der University of Glasgow (Schottland).

Tanaka gilt als weltweit führender Fachmann in Sachen Wahrnehmungs-Expertise. Er ist zudem Direktor des Forschungszentrums für Autismusforschung, Technologie und Erziehung (CARTE) und hat ein vielbeachtetes Trainingsprogramm zur Gesichterwahrnehmung entwickelt, das u. a. bei der Therapie von Autismus angewandt wird. Der Belgier Bruno Rossion forscht insbesondere über die kognitiv-neurowissenschaftlichen Grundlagen der Gesichterwahrnehmung. Hingegen hat sich der in Glasgow arbeitende Franzose Belin der Erforschung der menschlichen Stimme im Kontext der Personenwahrnehmung verschrieben. Belin untersucht, wie Menschen beispielsweise feine Untertöne im gesprochenen Wort erkennen können oder wie wir das Geschlecht oder den Gefühlszustand eines Sprechenden zu bestimmen vermögen.

Prof. Schweinberger, der den Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie/Kognitive Neurowissenschaften in Jena innehat, betont, dass alle sechs Projekte der Jenaer Forschergruppe hochaktuelle Ergebnisse vorzuweisen hätten, die mit den internationalen Fachkollegen erörtert werden sollen. Beim Workshop „Person Perception“ gehe es darum, den eigenen Forschungsstand zu referieren und kritische Diskussionen für die Arbeit fruchtbringend anzuwenden.

Kontakt:
Prof. Dr. Stefan R. Schweinberger
Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Am Steiger 3, Haus 1, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945180
E-Mail: stefan.schweinberger[at]uni-jena.de

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Stephan Laudien idw

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