Bericht zur "IWOTE'08": Zusammen gegen Beulen und Verzüge

In der Schweißtechnik will man den Verzug vermeiden, beim thermischen Umformen will man die Formungen für sich nutzen – und beide wollen Verzüge und Formungen vorhersagen und kontrollieren. Mit der IWOTE'08 (International Workshop on Thermal Forming and Welding Distortion) vom 22. bis 23. April in Bremen initiierte das Bremer Institut für angewandte Strahltechnik GmbH (BIAS) erstmals ein weltweites, interdisziplinär angelegtes Forum für Schweiß- und Umformtechniker und stieß damit rundum auf positive Resonanz.

Unterstützt wurde die IWOTE'08 vom Deutschen Verband für Schweißen und verwandte Verfahren e. V. (DVS), dem International Institute of Welding, dem Kompetenznetzwerk für optische Technologien in Norddeutschland HansePhotonik, dem Sonderforschungsbereich (SFB 570) Distortion Engineering – Verzugsbeherrschung in der Fertigung“ der deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Bremen sowie der ESI-GmbH.

Der offene Workshop für Fachleute aus Forschung, Entwicklung und Wirtschaft hatte seinen Fokus auf den industriellen Anwendungen. So stellten Unternehmensvertreterinnen und -vertreter aus zahlreichen verschiedenen Branchen und 13 Ländern gut ein Viertel der insgesamt rund 80 Teilnehmer, von denen weltweit namhafteste von ihnen in mehr als 40 Beiträgen neueste Erkenntnisse präsentierten. Diskutiert wurden aktuelle Entwicklungen, Probleme und Trends.

Einflussgrößen

Welche Größen beim thermischen Formen einen Einfluss auf die Formungen und beim Schweißen auf die Verzüge haben, ist im Wesentlichen bekannt. Einen Überblick gab hier Dr.-Ing. Christopher Schwenk (Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, BAM, Berlin) und er referierte über die Einflüsse und wesentlichen Parameter beim Schweißen von Aluminium und bei Dualphasen-Stählen. Seine Forschungen zielen auf die zuverlässige Vorhersage von Verzügen, wobei verschiedene Einflussgrößen zu berücksichtigt sind. Beim Schweißen und Formen ändern sich die Materialeigenschaften, und da besonders die Festigkeit. Zudem kommt es bei Stahl und bei einigen Aluminium-Legierungen durch den Wärmeeintrag zu Änderungen in der Gefügestruktur, was das mechanische Verhalten erheblich beeinflusst und zu nur schwer vorherzusagenden Verzügen führt.

Wie präzise sich Verzüge in der Umformtechnik mittlerweile beherrschen lassen und wie genau Prozesse kontrolliert werden können, präsentierte das Wissenschaftler-Team um Professor Yoshiharu Namba von der Chubu University (Japan). So berichtete Litao Qi am Beispiel des Mikrojustierens von Biegewinkeln über eine inzwischen erreichte Genauigkeit mit Abweichungen von nur 0,0001 Grad. In der Produktion gewinnen auch diese Größenordnungen zunehmend an Bedeutung.

Methoden, Strategien und Prozesse

Zur besseren Verzugsbeherrschung bedarf es auch neuer Methoden und Strategien. Zahlreiche Optionen beim Schweißen zur Beherrschung von Beulen bieten zum Beispiel die LSND-Methoden (Low Stress No Distortion). Sie sollen die Spannungen begrenzen, denn erst ab einer kritischen Spannung kommt es zu Beulen. Dr. Stewart Williams (Cranfield University, England) stellte derzeit angewandte und verfolgte Strategien sowie aktuelle Forschungen vor.

Mit einem einfachen und dennoch weitgehend unbekannten Verfahren zur Vermeidung von Beulen wartete Dr. Elisabeth Maria van der Aa (Corus Research, Development & Technology, Ijmuiden/Niederlande) auf. Sie setzt nicht auf einen zusätzlichen Wärmeeintrag, sondern auf Kühlen: Sofort nach dem Erhitzen nur wenige Zentimeter hinter der Wärmequelle wird das Werkstück mit einem Gasstrom aus Kohlendioxid-Schnee gekühlt. Dazu hat sie ein analytisches, einfach und schnell zu handhabendes Mehrbalkenmodell entwickelt, das die temperaturabhängigen Steifigkeiten nahe der Schweißlinie berücksichtigt. Anhand ihres Modells lassen sich schnell die Längsspannungen bestimmen, die zum Beulen führen können.

Sehr komplex wird es, wenn Beulen und Verzüge (Winkelverzüge und Schrumpfungen) überlagert sind, also alle Probleme gleichzeitig auftreten. Ein Beispiel sind die so genannten „Feldbeulen“, mit denen besonders der Schiffbau zu kämpfen hat. Die IWOTE bot hier einen Spiegel des aktuellen Forschungsstandes. Führend in diesem Bereich sind Korea, die USA und Deutschland, das sich im Schiffbau durch höchste Qualität auszeichnet. Das Streben nach einer steten Qualitätssteigerung und der Kostendruck bringen die Entwicklungen voran. „Das Richten verursacht im Schiffbau je nach Werft und insbesondere Schiffstyp als Folge der typspezifischen Materialstärken 5 bis 20 Prozent des Fertigungsaufwandes für den Schiffskörper“, sagte dazu Maximilian Heinemann von der Flensburger Schiffbau Gesellschaft.

Auf großes Interesse stieß daher der Vortrag von Dr. Jerry Jones (Native American Technologies Company). Erstmals außerhalb der USA stellte er ein neues System zum automatischen Richten von Schiffsdecks und Schiffsaußenhäuten vor. Das kommerziell erhältliche Gerät basiert auf einem lernfähigen neuronalen Netz, das wie ein Richtschmied über Erfahrungswissen verfügt und im Einsatz weiter lernt. Mittels einer optischen Erkennung erfasst es die Form eines Feldes. Ist dieses noch nicht ausreichend in Form, wird mit einem vom neuronalen Netz vorgegebenen Parametersatz und Richtort im Feld erwärmt. Die neue Form wird vom neuronalen Netz mit der alten verglichen und ausgewertet, und gegebenenfalls wird der ganze Prozess solange wiederholt, bis sich die gewünschte Form eingestellt hat.

Es gibt vielfältige Einflüsse und Auswirkungen verschiedener Prozess-Ketten sowie deren Reihenfolgen auf die Maßhaltigkeit der Werkstücke. Das belegen die Forschungen im SFB 570, die die gesamten Prozessschritte in Reihe betrachten. Dr. Kai Schimanski von der Stiftung Institut für Werkstofftechnik (IWT) in Bremen zeigte dies anhand des Beispiels von Alublechen für die Luft- und Raumfahrttechnik, welche sie in einem Gemeinschaftsprojekt mit Airbus untersuchen.

Optionen erkannt – Potenziale erschließen

„Der Workshop war ein sehr gutes Beispiel für gelungenen Transfer!“ So kommentierte Professor Dr.-Ing. Helmut Wohlfahrt (Institut für Füge- und Schweißtechnik, TU Braunschweig) die IWOTE'08. Er gilt als eine der Koryphähen auf dem Gebiet schweißbedingter Eigenspannungen und Verzüge. Wohlfahrt begrüßt die mit dem Workshop angeregte Zusammenarbeit und sieht darin einen großen Gewinn für beide Fachrichtungen. „In der Schweißtechnik bekämpfen wir die Ursachen der Verformungen; das sind dieselben Ursachen, die das thermische Umformen für sich nutzt“, sagte er. Die Schweißtechnik schöpfe aus vielen Erfahrungen, die sie aus unerwünschten Verzügen gewonnen habe. Dieses Wissen sei auch wertvoll für die Umformtechnik. Umgekehrt gelte natürlich Ähnliches. Wohlfahrt abschließend: „Nun beginnt ein verstärktes, gegenseitiges Entdecken, woraus hoffentlich weitere Kooperationen entstehen werden.“

„Mit der interdisziplinären Ausrichtung der IWOTE haben wir das Experiment gewagt, Ergebnisse aus den Bereichen des thermischen Umformens und des Schweißverzugs gemeinsam zu diskutieren. Obwohl die beiden Vorgänge die gleiche Ursache haben, nämlich die plastischen Verformungen auf Grund örtlicher und zeitlicher Temperaturgradienten, wurden sie bisher getrennt behandelt“, sagt Professor Dr.-Ing. Frank Vollertsen, BIAS-Geschäftsführer und Vorsitzender des Workshops. „Wächst das gegenseitige Verständnis für die häufig isoliert betrachteten Prozesse, können wir wertvolle Erkenntnisse gewinnen.“ Der renommierte Experte sowohl für thermisches Umformen als auch für die Verzugsbeherrschung sieht er in der Zusammenarbeit der Disziplinen ein hohes, wirtschaftliches Potenzial.

Dass die Zusammenkunft in Bremen bereits erste Früchte trägt, weiß BIAS-Wissenschaftler und Tagungsorganisator Jens Sakkiettibutra. „Schon während des Workshops hat ein reger Austausch begonnen. An vielen Stellen wurde ein tieferes Interesse für die jeweils andere Disziplin geweckt“, sagt er. Daher werde auch die IWOTE'2011 wieder als gemeinsames Forum geplant.

Tagungsband:
Frank Vollertsen, Jens Sakkiettibutra (Eds.): Thermal Forming and Welding Distortion , Proceedings of the IWOTE'08: International Workshop on Thermal Forming and Welding Distortion (BIAS Verlag, Bremen 2008, ISBN 978-3-933762-23-8, 89 Euro)

Weitere Informationen:

Ihre Ansprechpartner:

Prof. Dr.-Ing. Frank Vollertsen (Geschäftsführer BIAS)
Telefon: 0421 218-50 04
Dipl.-Ing. Jens Sakkiettibutra
Telefon: 0421 218-50 20, E-Mail: sakkiettibutra@bias.de
Sabine Nollmann (Wissenschaftskommunikation)
Telefon: 0170 904 11 67, E-Mail: mail@kontexta.de

Media Contact

Dr.-Ing. Matthias Schilf idw

Weitere Informationen:

http://www.bias.de

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