Das VLT schaut in die Augen der Jungfrau

Die Augengalaxien NGC 4435 und NGC 4438<br>Bild: ESO/Gems project<br>

NGC 4438, die größere der beiden Galaxien, war einst eine ganz normale Spiralgalaxie, wurde aber durch Zusammenstöße mit anderen Galaxien während der letzten hundert Millionen Jahre stark deformiert. Dies ist die erste Aufnahme aus dem Programm „Cosmic Gems“ (zu Deutsch „kosmische Edelsteine“), in dessen Rahmen die ESO Beobachtungszeit für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung stellt.

Die beiden Augengalaxien befinden sich in einer Entfernung von etwa 50 Millionen Lichtjahren von der Erde im Sternbild Virgo (die Jungfrau). Sie sind etwa 100.000 Lichtjahre voneinander entfernt und liegen mitten in einer Struktur, die Markarians Galaxienkette genannt wird: einer Anordnung von acht Galaxien, die sich größtenteils in dieselbe Raumrichtung bewegen und die in den 1970er Jahren von dem armenischen Astronomen Benjamin Markarian untersucht wurden. Den Spitznamen „Die Augen“ hat das Galaxienpaar erhalten, da seine beiden Zentren – zwei helle Ovale, die man mit schon mit einem typischen Amateurteleskop sehen kann – einem Augenpaar ähneln, das im Dunkeln leuchtet.

Obwohl sich die Kernregionen der beiden Galaxien ähneln, könnten ihre Außenbereiche unterschiedlicher nicht sein: NGC 4435, die Galaxie unten rechts, ist kompakt und scheint keinerlei Gas und Staub mehr zu enthalten. Im Gegensatz dazu besitzt NGC 4438, die große Galaxie oben links, ein dunkles Staubband unterhalb ihres Zentralbereichs. Links vom Kern der Galaxie sieht man junge Sterne, und Gas erstreckt sich mindestens bis in die Ecken des Bildes.

Die Bestandteile von NGC 4438 wurden durch den Zusammenstoß mit einer anderen Galaxie gewaltsam herausgerissen. Die Kollision hat die Spiralstruktur der Galaxie verzerrt. Etwas Ähnliches könnte auch unserer Milchstraße bevorstehen, wenn sie in drei bis vier Milliarden Jahren mit der benachbarten Andromedagalaxie zusammenstößt.

Dazu, welche Galaxie die Schäden an NGC 4428 verursacht hat, gibt es verschiedene Theorien. Einige Astronomen glauben, dass die andere Augen-Galaxie, also NGC 4435, die Schuldige ist. Die Schäden an der größeren Galaxie wären dann vor etwa 100 Millionen Jahren durch eine Begegnung verursacht wurden, bei der sich die zwei Galaxien auf bis zu 16.000 Lichtjahre aneinander angenähert haben. Während des Beinahe-Zusammenstoßes könnten Gezeitenkräfte zum einen die Bestandteile von NGC 4438 auseinandergerissen, zum anderen aber auch die Masse von NGC 4435 verringert und den Großteil ihres Gases und Staubs entfernt haben. Die größere der beiden Galaxien wäre also stark beschädigt, die kleinere aber noch viel stärker in Mitleidenschaft gezogen worden.

Eine weitere Verdächtige ist die riesige elliptische Galaxie Messier 86, die sich etwas weiter von den Augengalaxien befindet und daher auf dem hier veröffentlichten Bild nicht mehr zu sehen ist. Erst kürzlich hat man Filamente aus ionisiertem Wasserstoffgas zwischen den beiden großen Galaxien entdeckt; ein Indiz, dass die beiden in der Vergangenheit miteinander kollidiert sein könnten.

Alle drei Galaxien – die elliptische Galaxie Messier 86 und die Augengalaxien – gehören zum Virgohaufen. In diesem großen Galaxienhaufens herrscht ein für kosmische Verhältnisse recht dichtes Gedränge. Unter solchen Bedingungen sind Galaxienkollisionen merklich häufiger, und es ist durchaus möglich, dass NGC 4438 zwei Zusammenstöße hinter sich hat: einen mit NGC 4435, den anderen mit Messier 86.

Diese Aufnahme ist die erste, die im Rahmen des „Cosmic Gems“-Programms der ESO entstanden ist. Dabei handelt es sich um eine Initiative zur Erstellung von astronomischen Aufnahmen für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Das Programm nutzt hauptsächlich diejenigen Zeiten, zu denen die Beobachtungsbedingungen nicht den strengen Ansprüchen wissenschaftlicher Beobachtungsarbeit genügt, um Bilder von interessanten, faszinierenden oder von Himmelsobjekten anzufertigen, die einfach schön anzusehen sind. Die Bilddaten sind im wissenschaftlichen Archiv der ESO für jedermann zugänglich. Auch professionelle Astronomen können sie für ihre Zwecke nutzen.

Im Falle der Augengalaxien standen zwar einige Wolken am Himmel, aber die atmosphärischen Bedingungen waren außergewöhnlich gut, als die Daten für das Bild gewonnen wurden. In der Aufnahme, die mit dem FORS2-Instrument [1] entstand, werden daher feinste Details sichtbar. Das Bild ist aus Einzelaufnahmen mit zwei verschiedenen Farbfiltern zusammengesetzt: rot (in rötlichen Farbtönen dargestellt) und gelbgrün (in Blau dargestellt). Die Belichtungszeiten betrugen im 1800 bzw. 1980 Sekunden.

Endnote

[1] Der FOcal Reducer and low dispersion Spectrograph (kurz FORS, wörtlich „Brennweitenreduzierer und niedrigauflösender Spektrograf“) ist das vielseitigste Instrument des Very Large Telescope. Die Kombination aus astronomischer Kamera und Spektrograf wurde gemeinsam von den Universitätssternwarten in Heidelberg, Göttingen und München und der ESO entwickelt und gebaut. FORS2 ist am ersten Hauptteleskop des VLT montiert.

Zusatzinformationen

Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 15 Mitgliedsländer: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO ein Großteleskop der 40-Meter-Klasse für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird, das European Extremely Large Telescope (E-ELT).

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsstaaten (und einigen weiteren Ländern) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.

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