Aus der Universität Heidelberg Detektoren, Prozessoren und Software für den LHC

Seit einigen Tagen kreisen die Protonen in dem 27 Kilometer langen Ring des größten Teilchenbeschleunigers der Welt, dem Large Hadron Collider (LHC) in Genf.

Auch wenn die Protonen noch nicht auf Kollisionskurs sind, so stehen die ersten Experimente am LHC unmittelbar bevor, und mit dabei sind mehrere Forschergruppen der Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität. „Arbeitsgruppen aus Heidelberg sind führend an drei der vier großen Experimente am LHC beteiligt. Eine vergleichbar breite Beteiligung gibt es an keiner anderen Universität weltweit“, hebt Professor Karlheinz Meier vom Kirchhoff-Institut für Physik (KIP) der Ruprecht-Karls-Universität das Engagement der Heidelberger Wissenschaftler an den Experimenten hervor.

So haben in den vergangenen 10 bis 15 Jahren gut 100 Wissenschaftler, darunter zahlreiche Doktoranden und Diplomanden, Geräte oder Software für die verschiedenen Experimente geplant und gebaut. Mit insgesamt 22,9 Millionen Euro wurden die Beteiligungen an den drei Experimenten durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die Universität trägt durch ihre Grundausstattung ganz erheblich zum Gelingen solcher Projekte bei. Die Helmholtz-Gemeinschaft (HGF), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Europäische Kommission sind weitere Mittelgeber.

Zusammen mit Professor Hans-Christian Schultz-Coulon leitet Karlheinz Meier die Arbeitsgruppe am KIP, die einen wichtigen Teil des so genannten ATLAS-Experiments trägt. „ATLAS ist ein Experiment, mit dem alle Facetten von Proton-Proton-Kollisionen bei höchsten Energien untersucht werden sollen“, erläutert Karlheinz Meier. ATLAS wird gemeinsam mit seinem Partner-Experiment CMS nach dem Ursprung der Masse, einem neuen Spektrum von Teilchen (der Supersymmetrie) suchen und schauen, ob der Raum bei kleinsten Abständen neue Dimensionen aufweist. Diese Themen sind von besonderer Bedeutung für das Verständnis der physikalischen Prozesse, die bei der Entstehung des Universums abliefen.

Das ATLAS-Experiment hat die zentrale Aufgabe, möglichst ausnahmslos jedes interessante Ereignis, wie etwa das Entstehen neuer, schwerer Teilchen aufzuzeichnen, und dabei keinesfalls Hinweise auf neue Physik zu verlieren. Das technische Problem liegt darin, dass die Kollisionen im Detektor 40 Millionen Mal pro Sekunde stattfinden. Die Heidelberger Arbeitsgruppe am KIP hat hierfür in den vergangenen zehn Jahren ein System gebaut, das alle Kollisionen anschaut, aber nur etwa jede tausendste als interessant klassifiziert und zur Weiterverarbeitung frei gibt. Dieses Selektionssystem kann nicht mit konventionellen Computern realisiert werden, sondern erfordert modernste Methoden der Mikroelektronik, welche die Wissenschaftler in dem hochmodernen ASIC-Labor vorfinden, das gemeinsam von der Fakultät für Physik und Astronomie sowie dem Max-Planck-Institut für Kernphysik betrieben wird. Hier entwickelten sie den so genannten Pre-Prozessor des ATLAS-Experiments. Der absolut reibungsfreie Betrieb dieses Systems ist für den Erfolg des ATLAS-Projektes von alles entscheidender Bedeutung.

Für das ALICE-Experiment, bei dem ein neuer Materiezustand, das Quark-Gluon-Plasma, hergestellt und dessen Eigenschaften verstanden werden sollen, arbeiten verschiedene Gruppen am KIP und am Physikalischen Institut der Ruperto Carola. Der Zustand des Quark-Gluon-Plasmas entsteht, wenn bei der Kollision von Atomkernen, in diesem Fall Bleikernen, die Kernbausteine Protonen und Neutronen sozusagen schmelzen und sich in ihre Komponenten (Quarks und Gluonen) auflösen. Dieser Materiezustand hat im frühen Universum, also kurz nach dem Urknall, ab einem Alter von etwa 10 Billionstel Sekunden existiert und lebte bis zu etwa 10 Millionstel Sekunden. Erst dann entstanden die normalen Teilchen wie Protonen oder Neutronen.

„Um den Zustand des frühen Universums im LHC im Experiment zu wiederholen, sind die Heidelberger Wissenschaftler mit der Entwicklung von drei großen Komponenten des ALICE-Experiments beschäftigt“, berichtet die Professorin Johanna Stachel vom Physikalischen Institut, die selbst das Projekt zur Herstellung des Transition Radiation Detector leitet. Das ist ein Gasdetektor, der Spuren geladener Teilchen misst und es gleichzeitig schafft, Elektronen zu identifizieren. Hierfür sitzen direkt auf dem Detektor auf einer Fläche von 700 Quadratmetern 130 000 spezielle Mikrochips, die in Heidelberg entwickelt wurden. Die darin enthalten 250 000 Prozessoren treffen innerhalb von wenigen Millionstel Sekunden eine Vorentscheidung, ob eine Kollision interessant war und so deren Daten weiter verarbeitet werden sollen.

Zum ALICE-Experiment gehört ebenso die Time-Projection Chamber, für deren Konzeption und Bau die Heidelberger Wissenschaftler eine sehr wichtige Funktion hatten. Sie ist mit 100 Kubikmeter Volumen der größte Gasdetektor seiner Art, vermisst in drei Dimensionen die Spuren mehrerer Tausend Teilchen, die in einer Blei-Blei-Kollision produziert werden mit Submillimeter Präzision.

Das ALICE-Experiment verfügt über ein spezielles Selektionssystem, das eine komplette Analyse der Daten der Blei-Blei-Kollisionen auf einer Millisekunden-Zeitskala erlaubt, um zu entscheiden, ob die Daten gespeichert werden sollen. Dieser so genannte High Level Trigger wurde am KIP unter der Leitung von Professor Volker Lindenstruth entwickelt.

Das LHCb-Experiment (das „b“ steht für „beauty“) befasst sich mit dem Unterschied zwischen Teilchen und Antiteilchen. Es geht nicht zuletzt um das Problem, dass in unserem Universum fast nur Materie, aber fast keine Antimaterie vorkommt, obwohl im Urknall gleichermaßen Teilchen und Antiteilchen entstanden sind. „Wir wissen heute, dass sich die meisten der im Urknall erzeugten Teilchen und Antiteilchen gegenseitig vernichtet haben und zerstrahlt sind“, erläutert Professor Ulrich Uwer vom Physikalischen Institut. Übrig geblieben ist ein kleiner Überschuss an Teilchen, der die im heutigen Universum sichtbare Materie bildet. Die ursprüngliche Symmetrie muss also verletzt worden sein.

Das LHCb-Experiment versucht, diese Symmetriebrechung, das unterschiedliche Verhalten von Teilchen und Antiteilchen, besser zu verstehen. Es untersucht den kleinen Unterschied mit so genannten „Beauty“-Teilchen beziehungsweise Antiteilchen, die paarweise am LHC in extrem großer Zahl entstehen. „Beauty“-Teilchen fliegen im LHCb-Experiment nur einige Zentimeter, bevor sie zerfallen. Sie werden nachgewiesen, indem die Flugbahnen ihrer Zerfallsprodukte im Detektor präzise aufgezeichnet werden. Eine hierfür zentrale Komponente ist der Spurdetektor aus zwölf einzelnen sechs mal fünf Meter großen Spurkammern, die insgesamt aus über 55 000 einzelnen Zählröhrchen bestehen. Ein großer Teil dieser Kammern wurde in Heidelberg gebaut, und zusätzlich wurde am ASIC-Labor ein Chip entwickelt, der die Kammersignale der durchfliegenden Teilchen 40 Millionen Mal pro Sekunde aufzeichnet und an eine Computerfarm weiterleitet. Mit in Heidelberg erstellten Software-Algorithmen werden die Signale der Spurkammern zu Teilchenbahnen zusammenfügt. So kann in wenigen Tausendsteln einer Sekunde bestimmt werden, ob in einem Ereignis potentiell ein „Beauty“-Teilchen erzeugt wurde.

„Jetzt freuen wir uns darauf, die Experimente vorzunehmen und die so gewonnenen Daten analysieren und neue physikalische Erkenntnisse erlangen zu können“, blickt Johanna Stachel, die gleichzeitig auch Sprecherin des Forschungsschwerpunktes ALICE ist, in die Zukunft der Arbeiten am LHC.

Stefan Zeeh

Rückfragen bitte an:
Professor Dr. Karlheinz Meier
Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 227, 69120 Heidelberg
Tel. 06221 549831
meierk@kip.uni-heidelberg.de
Professor Dr. Johanna Stachel
Physikalisches Institut
Philosophenweg 12
69120 Heidelberg
Tel. 06221 549224
stachel@physi.uni-heidelberg.de
Professor Dr. Ulrich Uwer
Physikalisches Institut
Philosophenweg 12
69120 Heidelberg
Tel. 06221 549226
uwer @physi.uni-heidelberg.de

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