Ultradünne Wasserfilme zum Fließen gebracht – ein Flachstrahl für die Röntgenspektroskopie

Flachstrahlsystem für Flüssigkeiten. Abb.: MBI

Element-spezifische Röntgenmethoden nehmen eine Schlüsselrolle ein bei der Untersuchung der atomaren Struktur und Zusammensetzung funktionaler Materialien. Mit Hilfe der Röntgenspektroskopie können Oxidationszustände, Abstände, Koordinationszahlen und die Art der nächsten Nachbarn des ausgewählten Elementes bestimmt werden.

Mit einer großen Vielfalt spektroskopischer Methoden mit Röntgenstrahlung wurden bisher zahlreiche gasförmige, flüssige und feste Proben oder molekulare Systeme an Grenzflächen untersucht. Dabei wurden stationäre und zeitabhängige Materialeigenschaften vorwiegend an Synchrotronstrahlungsquellen und neuerdings an Röntgen-Freie-Elektronen-Lasern bestimmt.

Die Untersuchung flüssiger Proben mit Absorptionsspektroskopie im weichen Röntgenbereich (im Energiebereich von ca. 0.2 bis 1.5 keV) stellt eine besondere Herausforderung dar. Zum einen müssen die Experimente unter Ultrahochvakuum-Bedingungen durchgeführt werden, in einer Umgebung also, die scheinbar unvereinbar mit dem hohen Dampfdruck von Wasser ist.

Außerdem erfordert die Messung der Transmission aufgrund der großen Absorptionsquerschnitte im weichen Röntgenbereich schwierig zu realisierende Probendicken im Bereich von einem Mikrometer und darunter (1 Mikrometer = 10-6 m = Ein millionstel Meter). Im Gegensatz dazu sind Messungen des Absorptionsspektrums basierend auf dem Nachweis sekundärer Zerfallssignale, wie zum Beispiel der Röntgenfluoreszenz, auf vergleichsweise hoch konzentrierte Proben beschränkt.

Eine Lösung für diese Probleme stellt die Verwendung von Zellen mit dünnen Membran-basierten Fenstern für Transmissionsmessungen dar. Damit kann die Dicke des Flüssigkeitsfilms zwar kontrolliert werden, allerdings können damit keine strahlungsempfindlichen molekularen Proben untersucht werden, da die Probe im Röntgenstrahl oder in einem sichtbaren Laserstrahl in Laser-Anrege und Röntgen-Abfrage Messungen zerstört wird.

Dieser Strahlenschaden wird vermieden, indem die Probe in einem Flüssigkeitsstrahl kontinuierlich ersetzt wird. Mit solchen Flüssigkeitsstrahlen jedoch, wobei die Flüssigkeit durch eine Düse in die Hochvakuumkammer gepresst wird, ist es schwierig oder gar unmöglich, Probendicken im Bereich von einem Mikrometer oder darunter zu realisieren.

In einer Zusammenarbeit haben nun Wissenschaftler des Max-Born-Instituts für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI), des Helmholtz-Zentrums Berlin (HZB) und des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) die erfolgreiche Umsetzung eines neuartigen Flachstrahlsystems für Transmissionsmessungen flüssiger Proben im weichen Röntgenbereich gezeigt.

Dabei wurde ein wohlbekanntes Phänomen aus der Fluiddynamik ausgenutzt: Wenn sich zwei identische laminare Flüssigkeitsstrahlen unter einem wohldefinierten Winkel treffen, breitet sich die Flüssigkeit radial aus, was zur Ausbildung eines dünnen blattförmigen Flüssigkeitsfilm senkrecht zur Ebene der beiden Strahlen führt. Dieser Film wird durch eine ebenfalls aus der Flüssigkeit gebildeten Randlippe stabilisiert.

Die Innovation besteht hier darin, dass ein über Stunden stabiler Flachstrahl im Vakuum (bei Drücken kleiner als 10-3 mbar) mit einer Dicke im Bereich von einem bis zwei Mikrometer realisiert und angewendet wurde. Erstmalig konnten damit Absorptionsspektren flüssiger Proben in Transmission mit Photonenenergien im Weichröntgenbereich und völlig ohne Membran-basierte Fenster gemessen werden.

Die röntgenspektroskopischen Messungen wurden an der Synchrotronstrahlungsquelle für weiche Röntgenstrahlung BESSYII des Helmholtz-Zentrums Berlin durchgeführt. Dieser technologische Durchbruch eröffnet völlig neue Möglichkeiten für die stationäre und zeitaufgelöste Spektroskopie flüssiger Proben mit weicher Röntgenstrahlung.

Abb.: Flachstrahlsystem für Flüssigkeiten mit den beiden Düsen, den beiden kollidierenden laminaren Flüssigkeitsstrahlen und dem 1 mm breiten und 5 mm langen blattförmigen Wasserfilm mit einer Dicke von 1 – 2 Mikrometern. Die Dicke des Films wurde aus Transmissionsmessungen an der Sauerstoff K Absorptionskante bestimmt (links). Das Flachstrahlsystem ermöglicht Absorptionsmessungen im weichen Röntgenbereich in Transmission, wie beispielhaft mit der Messung des Absorptionsspektrums an der Stickstoff K Absorptionskante von Ammoniumchlorid gezeigt werden konnte (rechts).

Originalpublikation: Structural Dynamics 2, 054301 (2015)
A liquid flatjet system for solution phase soft-x-ray spectroscopy
Maria Ekimova, Wilson Quevedo, Manfred Faubel, Philippe Wernet, Erik T.J. Nibbering

Kontakt
Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI)
Max-Born-Str. 2A
12489 Berlin

Dr. Maria Ekimova
ekimova@mbi-berlin.de
+49 (0) 30 6392 1454

Dr. Erik T.J. Nibbering
nibbering@mbi-berlin.de
+49 (0) 30 6392 1477

http://www.mbi-berlin.de

Media Contact

Karl-Heinz Karisch idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie

Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer