Spinflüssigkeiten – zurück zu den Anfängen

Prinzip der resonanten Valenzbindung nach Anderson mit paarweise quantenmechanisch verschränkten Spins © Universität Augsburg, EP VI/EKM

Andersons Spinflüssigkeitsmodell ist ein vor 44 Jahren vorhergesagter quantenmechanischer Zustand, der auf einer resonanten Valenzbindung benachbarter Spins basiert. Dieser Zustand ist von fundamentalem Interesse, da er Grundlage für eine Reihe weiterer quantenmechanischer Modelle ist und sich darüber hinaus für die Realisierung von Quantencomputern eignet.

Forscher des Augsburger Lehrstuhls für Experimentalphysik VI/EKM berichten jetzt aktuell in „Nature Communications“ vom erstmaligen experimentellen Nachweis der Anregungen dieses Zustands, der ihnen in Zusammenarbeit mit Kollegen vom Rutherford Appleton Labor bei Oxford und von der Renmin University in China gelungen ist.

Flüssigkeiten sind Stoffe, deren Teilchen sich unregelmäßig bewegen und dabei zwar einer Nahordnung, aber keiner Fernordnung unterliegen. Im Gegensatz zu Gasen sind Flüssigkeiten nahezu inkompressibel, da ihre atomaren Bestandteile nur geringen Abstand voneinander haben und daher stark miteinander wechselwirken.

Einen flüssigkeitsartigen Zustand können unter speziellen Bedingungen auch die als Spins bezeichneten kleinsten Bestandteile von Magneten einnehmen. Wie Moleküle in einer normalen Flüssigkeit sind dann direkt benachbarte Spins zwar miteinander in Wechselwirkung, aber nicht global ausgerichtet. Im Gegensatz zu einem normalen Magneten, liegt daher keine feste Ordnung vor.

Spins in einem paarweise gebundenen ungeordneten Zustand

Bereits 1973 hat der amerikanische Physiker und spätere Nobelpreisträger Philip W. Anderson ein Modell entwickelt, in dem Spins einen paarweise gebundenen unmagnetischen Zustand annehmen. Hierbei wechseln die Bindungspartner ständig untereinander. Die Beschreibung im Rahmen der Quantenmechanik erfordert eine Überlagerung aller möglichen benachbarten Paarzustände, wie in Abbildung 1 dargestellt.

Daher wird der Zustand als „resonante Valenzbindung“ (RVB) bezeichnet. Dieser RVB-Zustand ist hochgradig quantenmechanisch verschränkt. Dies bedeutet, dass sich der Zustand nicht als Kombination unabhängiger einzelner Spinzustände darstellen lässt. Für diesen Zustand gibt es keine einfache Analogie in der klassischen Physik, er kann aber als Anwendung im Quantencomputer sehr komplexe Rechenoperationen ermöglichen.

Andersons Vorschlag hat seit den 1970er Jahren bis heute viele neue experimentelle und theoretische Entwicklungen angeregt. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Theorie auf Materialien mit Spinmomenten ist mittlerweile jedoch theoretisch stark umstritten. Außerdem gab es bislang keine Hinweise auf eine experimentelle Realisierbarkeit des RVB-Modells.

Eine neue Substanz, mit Spins auf einem Dreiecksgitter

„Um einen RVB-Zustand zu ermöglichen, muss unter anderem verhindert werden, dass sich die normale magnetische Ordnung, also eine feste Ausrichtung der Spins, einstellen kann“, erläutert Dr. Alexander Tsirlin, Nachwuchsgruppenleiter am Zentrum für Elektronische Korrelationen und Magnetismus des Augsburger Physik-Instituts.

Um eine solche feste Ausrichtung der Spins auszuschließen, haben Tsirlin und sein Team in Kollaboration mit dem Rutherford Appleton Labor in Oxford und der Renmin University of China in Nanjing eine neue Substanz – YbMgGaO4 – hergestellt und untersucht. Diese Verbindung zeigt ein gleichförmiges Dreiecksgitter von magnetischen Momenten der Ytterbium-Atome (siehe Abbildung).

Frühere Untersuchungen des Teams hatten gezeigt, dass diese Momente bei Abkühlung bis zu extrem niedrigen Temperaturen von einigen Hundertsteln Grad an den absoluten Nullpunkt keine feste Ausrichtung annehmen und damit in einem flüssigkeitsartigen Zustand verbleiben.

Anregungen in perfekter Übereinstimmung mit Andersons Vorhersagen

Mit Messungen der inelastischen Neutronenstreuung wurde detailliert der richtungsabhängige Energieübertrag von an der Probe gestreuten Neutronen untersucht. Aufgrund der dabei gewonnenen umfangreichen Datensätzen konnten die Forscher nun eindeutig auf die zwischen den Yb-Momenten vorliegenden Korrelationen bei unterschiedlichen Anregungsenergien rückschließen und dabei zwei Bereiche beobachten: Bei höheren Anregungsenergien zeigt sich völlig überraschend eine Richtungsabhängigkeit in perfekter Übereinstimmung mit den Vorhersagen des RVB-Modells.

„Damit sind nach vielen Jahrzehnten erstmals Signaturen der prototypischen RVB-Spinflüssigkeit beobachtet, so dass die von Anderson vorhergesagten Verschränkungseffekte jetzt systematisch studiert werden können“, fasst Prof. Dr. Philipp Gegenwart, Inhaber des Augsburger Lehrstuhls für Experimentalphysik VI/EKM, den wegweisenden Fortschritt zusammen, auf den die Augsburger Physiker und ihre Kollegen aus Oxford und Nanjing verweisen können.

Unverstanden sei bislang noch, warum ausgerechnet YbMgGaO4 RVB-artige Anregungen zeige. „Zumal dieses Material die strengen Voraussetzungen der Theorie gar nicht erfüllt, ist damit zu rechnen, dass eine über das RVB-Modell hinausgehende Beschreibung notwendig ist“, so Gegenwart. Dies deuteten auch die Ergebnisse im zweiten Bereich bei sehr niedriger Anregungsenergien an. Hier gebe es Hinweise auf stark ein unterschiedliches Verhalten, das Wechselwirkungen jenseits benachbarter Spins vermuten lasse.

Publikation:

Yuesheng Li, Devashibhai Adroja, David Voneshen, Robert I. Bewley, Qingming Zhang, Alexander A. Tsirlin, and Philipp Gegenwart, Nearest-neighbor resonating valence bonds in YbMgGaO4, Nat. Commun. 8 (2017), 15814.

http://www.nature.com/articles/ncomms15814

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Philipp Gegenwart und Dr. Alexander Tsirlin
Lehrstuhl für Experimentalphysik VI/EKM
Institut für Physik / Zentrum für Elektronische Korrelationen und Magnetismus
Universität Augsburg
86135 Augsburg
Telefon +49(0)821/598‐3651
philipp.gegewart@physik.uni‐augsburg.de, alexander.tsirlin@physik.uni-augsburg.de

http://www.nature.com/articles/ncomms15814

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Weitere Informationen:

http://www.uni-augsburg.de/

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