Selbstveränderliche Materialien eröffnen neue Wege zu hochentwickelten optischen Technologien

Durch selektive Ionenbeststrahlung wird die Übergangstemperatur von Vanadiumoxid in den Regionen gezielt verändert, die dem Ionenstrahl ausgesetzt sind. Abb.: Jura Rensberg

Im einen Moment siehst du etwas, doch im nächsten ist es plötzlich verschwunden: In Büchern und Filmen gelingt es Zauberern mühelos, einen undurchsichtigen Körper in einen transparenten zu verwandeln.

Doch auch in der Realität gibt es Materialien, die dieses Kunststück vollbringen können: Man nennt diese Eigenschaft Phasenübergang. Das bedeutet, dass das Material abhängig von seiner Temperatur oder einem äußeren elektrischen Feld von einem transparenten in einen trüben Zustand wechseln kann.

Jüngst ist es einem internationalen Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Forschungseinrichtungen – unter Beteiligung der Friedrich-Schiller-Universität Jena – gelungen, den Phasenübergang von Vanadiumdioxid so zu regulieren, dass sie die Übergangstemperaturen präzise selbst einstellen können.

Die Forschungsarbeit, die heute in der Fachzeitschrift „Nano Letters“ veröffentlicht wurde, könnte zu neuen Arten von veränderbaren Materialien für die Optik und die Wärmeregulierung führen.

„Im Grunde wäre jedes optische Element besser, wenn es veränderlich wäre“, erklärt Mikhail Kats, Assistenzprofessor für Elektrotechnik und Technische Informatik an der University of Wisconsin-Madison (USA) und Seniorautor des Artikels.

Anstatt sich auf mechanische Komponenten zu verlassen, um ein Objekt zu fokussieren, wie die Linse einer Kamera oder eines Teleskopokulars, würde ein veränderliches Material seine wesentlichen optischen Eigenschaften auf Abruf verändern und anpassen.

Die Wissenschaft weiß seit über 50 Jahren, dass Materialien wie Vanadiumdioxid zwischen transparentem und trübem Zustand wechseln können. Normalerweise wechseln diese Materialien ihren Zustand jedoch nur unter ganz bestimmten Bedingungen, was den praktischen Einsatz erheblich einschränkt.

„Bei den meisten dieser Materialien erfolgt die Umwandlung unter Bedingungen, die weit von der normalen Raumtemperatur entfernt sind. Somit ist es schwierig, sie in nützliche Geräte einzubauen“, erklärt Kats.

Die Wissenschaftler veränderten die Übergangstemperatur von Vanadiumdioxid nun nicht nur von 68 °C auf unter Raumtemperatur, sondern können diese eben auch auf jeden beliebigen Wert einstellen. „Diese Ergebnisse eröffnen neue Möglichkeiten für photonische Geräte und Apparate“, sagt Shriram Ramanathan, Professor für Werkstofftechnik an der Purdue University in West Lafayette (USA), der ebenfalls an der Studie mitgearbeitet hat.

Einsatz in „intelligenten“ Wänden denkbar

Weil die optischen und strukturellen Eigenschaften auf denselben physikalischen Prinzipien beruhen, ändern sich auch die thermische und elektrische Leitfähigkeit des Vanadiumdioxids aufgrund des Phasenübergangs. Diese Art von Materialien könnte zum Beispiel in Wohnhäusern in „intelligenten“ Wänden oder Fenstern verbaut werden, die dann auf die jeweilige Umgebungstemperatur reagieren.

„Objekte, die so konzipiert sind, dass sie Licht bei hohen Temperaturen effizient emittieren, nicht aber bei niedrigen Temperaturen, könnten als rein passive Temperaturregler eingesetzt werden, die keinerlei externe Schaltung oder Energiequelle benötigen“, so Kats.

Bisher hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Umwandlungstemperatur von Vanadiumdioxid zu verändern versuchten, im Laufe des Prozesses stets Verunreinigungen eingebracht. Dies veränderte jedoch das gesamte Material einheitlich – das deutsch-amerikanische Team hingegen beschoss nur bestimmte Regionen des Vanadiumdioxids mit energiereichen Ionen.

Ein solcher Ionenbeschuss verursacht Schäden am Material, was normalerweise eine unbeabsichtigte Begleiterscheinung ist. Aber der mitwirkende Festkörperphysiker Prof. Dr. Carsten Ronning von der Friedrich-Schiller-Universität Jena erklärt, dass die aktuelle Entwicklung der Wissenschaftler gerade auf diesen Schäden aufbaut.

„Das Großartige unseres Ansatzes ist, dass wir uns diese ‚ungewollten‘ Schäden zunutze machen“, sagt er. Die Ausrichtung des Ionenstrahls auf bestimmte Regionen der Proben ermöglichte es dem Wissenschaftlerteam, Veränderungen des Materials im Nanometerbereich hervorzurufen.

„Wir können die Umwandlungstemperatur überall auf der Probe mit einer Genauigkeit von etwa 20 Nanometern präzise steuern“, so Ronning. „Mit dieser Methode konnten wir hocheffiziente optische Metaoberflächen schaffen, die mehrere Phasenumwandlungen gleichzeitig durchlaufen.“ Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten so beispielsweise einen neuen optischen Polarisator entwickeln und bauen, dessen Selektivität sich je nach Temperatur verändert.

An dem Forschungsprojekt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt beteiligt. Die Erstautoren des Manuskripts, Jura Rensberg von der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Shuyan Zhang von der Harvard Universität, promovieren bei Professor Carsten Ronning bzw. Professor Federico Capasso.

Original-Publikation:
Nano Letters (2016), Artikel ASAP, DOI: 10.1021/acs.nanolett.5b04122
http://pubs.acs.org/toc/nalefd/0/0

Kontakt (in Jena):
Prof. Dr. Carsten Ronning
Institut für Festkörperphysik der Universität Jena
Helmholtzweg 3
07743 Jena
Tel.: 03641 / 947300
E-Mail: carsten.ronning[at]uni-jena.de

www.nano.uni-jena.de

http://www.uni-jena.de

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Axel Burchardt idw - Informationsdienst Wissenschaft

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