Radioaktive Elemente in Cassiopeia A liefern Hinweise auf Neutrinos als Ursache der Supernova-Explosion

Abb. 1: Zeitentwicklung des ausgeschleuderten radioaktiven Elements Nickel (56Ni) in einer 3D-Computerberechnung für eine Neutrino-getriebene Supernova-Explosion. Die Bildfolge zeigt die nichtsphärische Verteilung von einem frühen Moment nach Einsetzen der Explosion (3,25 Sekunden) bis zu einer späten Phase (6236 Sekunden), wenn die endgültige Asymmetrie festliegt. Die Farben repräsentieren radiale Geschwindigkeiten, wobei die Farbskala für die einzelnen Bilder leicht unterschiedlich ist. © MPA

Massereiche Sterne beenden ihr Leben mit einer gigantischen Explosion, einer sogenannten Supernova. Während ihres Lebens bauen solche Sterne in Millionen Jahren stabiler Entwicklung einen zentralen Bereich aus Eisen auf. Sobald dieser auf die zirka eineinhalbfache Masse der Sonne angewachsen ist, kollabiert er unter dem Einfluss der eigenen Schwerkraft zu einem Neutronenstern und setzt dabei gewaltige Energiemengen durch Neutrinos frei.

Diese nahezu masselosen Elementarteilchen entstehen bei den extremen Bedingungen im Innern des neugeborenen Neutronensterns, wo die Dichten höher als in Atomkernen sind und die Temperaturen mehr als 500 Milliarden Grad Kelvin erreichen können.

Seit über 50 Jahren tüfteln Theoretiker daran, die physikalischen Prozesse zu verstehen, welche die Sternexplosion auslösen und antreiben. Eine populäre Idee benutzt dazu die Neutrinos, weil diese über hundertmal mehr Energie wegtragen als die Sternhülle, die bei der Explosion einer typischen Supernova ausgeschleudert wird.

Ein kleiner Bruchteil der Neutrinos, die dem Innern des Neutronensterns entkommen, wird dabei aber von der umgebenden Materie wieder absorbiert, wodurch das Gas aufgeheizt wird. Dadurch kommt es zu heftigen Bewegungen, ähnlich denen in einem Topf mit kochendem Wasser. Wird das Brodeln zu heftig, kommt es zur Supernova-Explosion – als ob der Deckel vom Topf weg gesprengt würde.

Infolgedessen werden die äußeren Sternschichten in den Raum geschleudert, und mit ihnen all die chemischen Elemente, die der Stern im Lauf seines Lebens erbrütet hat. Daneben entstehen in den heißen Ejekta aber auch neue Elemente, insbesondere radioaktive Atomkerne wie Titan (44Ti mit 22 Protonen und 22 Neutronen) und Nickel (56Ni mit je 28 Protonen und Neutronen), die anschließend zu stabilem Kalzium und Eisen zerfallen. Die dabei freigesetzte Zerfallsenergie lässt eine Supernova über Jahre hinweg hell erstrahlen.

Weil das von Neutrinos geheizte Gas heftig brodelt, beginnt die Explosion asphärisch und Computermodelle lassen erwarten, dass Supernovae die Sternmaterie stark richtungsabhängig ausschleudern (Abb. 1). Genau das wird auch beobachtet: Supernovae und ihre gasförmigen Überreste sind deformiert, die chemische Zusammensetzung und Dichte des expandierendes Gases weist eine räumliche Variation auf.

Die anfängliche Asymmetrie der Explosion hat insbesondere zwei wichtige Folgen. Zum einen erhält der Neutronenstern einen Rückstoß entgegengesetzt zur der Richtung, in der die Explosion am stärksten ist. Er verhält sich dabei analog zu einem Ruderboot, aus dem eine Person abspringt. Zum anderen entstehen auf der Seite der stärkeren Explosion, auf der mehr heißes Gas ausgeschleudert wird, auch mehr schwere Elemente von Silizium bis Eisen, insbesondere auch Titan und Nickel.

„Beide Effekte haben wir schon vor einigen Jahren durch unsere dreidimensionalen Simulationen Neutrino-getriebener Supernova-Explosionen vorhergesagt“, betont RIKEN-Forscher Annop Wongwathanarat, der Erstautor einer entsprechenden Veröffentlichung aus dem Jahr 2013, als er noch am MPA mit seinen Koautoren H.-Thomas Janka und Ewald Müller zusammenarbeitete. „Die Asymmetrie der Verteilung radioaktiver Elemente ist umso ausgeprägter, je höher die Rückstoßgeschwindigkeit des Neutronensterns ist“, fügt er hinzu. Weil die radioaktiven Atome in den innersten Regionen der Supernova in unmittelbarer Nähe des Neutronensterns entstehen, bildet ihre räumliche Verteilung die Asymmetrie der Explosion am stärksten ab.

Neue Beobachtungen von Kassiopeia A (Cas A), dem gasförmigen Überrest einer Supernova, deren Licht die Erde um das Jahr 1680 erreichte, haben mittlerweile die theoretischen Vorhersagen bestätigt. Aufgrund ihres jungen Alters und ihrer relativen Nähe (mit einer Entfernung von nur 11.000 Lichtjahren) bietet Cas A zwei große Vorteile für derartige Messungen. Erstens setzt der radioaktive Zerfall von 44Ti immer noch erhebliche Mengen Energie und damit hochenergetische (Röntgen-)Strahlung frei, so dass die räumliche Verteilung dieses radioaktiven Elements mit hoher Genauigkeit abgebildet werden kann.

Zweitens sind sowohl die scheinbare Richtung als auch die Größe der Rückstoßgeschwindigkeit des Neutronensterns in Kassiopeia A bekannt: Der Neutronenstern jagt mit einer geschätzten Geschwindigkeit von mindestens 350 Kilometern pro Sekunde durchs All. Daher erwartet man eine beträchtliche Asymmetrie in der räumlichen Verteilung der radioaktiven Elemente. Genau dies wird auch beobachtet (Abb. 2, links).

Während der kompakte Sternüberrest in die südliche Hemisphäre rast, befinden sich die größten und hellsten 44Ti-Strukturen zusammen mit der meisten Materie in nördlicher Richtung. Die Computersimulation zeigt, aus einem geeigneten Blickwinkel betrachtet, eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Beobachtungsbild (Abb. 2, rechts). Dies demonstriert auch ein Vergleich der 3D Visualisierung der Computersimulation in Abb. 3 mit einer 3D-Karte der Beobachtungsdaten (siehe hier http://3d.si.edu/explorer?modelid=45 ).

Aber nicht nur die räumliche Verteilung von Titan und Eisen ähnelt derjenigen in Cas A. Auch die im Rechnermodell erzeugten Mengen dieser chemischen Elemente, die zugehörigen Ausbreitungsgeschwindigkeiten und die berechnete Geschwindigkeit des Neutronensterns stimmen erstaunlich gut mit denen von Cas A überein. „Diese Fähigkeit, grundsätzliche Eigenschaften der Beobachtungen durch ausgefeilte theoretische Modelle zu reproduzieren, belegt auf beeindruckende Weise, dass Cas A tatsächlich der gasförmige Überrest einer Neutrino-getriebenen Supernova sein könnte, deren Explosion durch heftige Gasbewegungen um den Neutronenstern ausgelöst wurde“, schlussfolgert H.-Thomas Janka vom MPA.

Ein überzeugender Nachweis, dass massereiche Sterne durch die Energie von Neutrinos explodieren, erfordert aber weitere Untersuchungen. „Kassiopeia A ist ein derart interessantes und wichtiges Objekt, dass wir hier auch die geometrische Verteilung aller anderen chemischen Elemente, wie z.B. Silizium, Argon, Neon und Sauerstoff, verstehen müssen“, bemerkt Ewald Müller (MPA) und verweist auf die fantastische Detailfülle, die der Cas A-Überrest in der dreidimensionalen Darstellung (siehe http://3d.si.edu/explorer?modelid=45) aufweist. Außerdem reicht ein Beispiel allein nicht für einen Beweis aus, dass die theoretischen Vorhersagen die Beobachtungen erklären können. Die Forschergruppe hat sich daher einer größeren Kollaboration angeschlossen mit dem Ziel, die theoretischen Vorhersagen für Neutrino-getriebene Explosionen mit einer größeren Zahl von Supernova-Überresten zu vergleichen. So hoffen die Wissenschaftler, Schritt für Schritt genug Fakten zusammenzutragen, um das alte Rätsel zu lösen, welche Vorgänge die Supernova-Explosionen verursachen.

Abbildungen:

Abbn. 1a, b, c:

Zeitentwicklung des ausgeschleuderten radioaktiven Elements Nickel (56Ni) in einer 3D-Computerberechnung für eine Neutrino-getriebene Supernova-Explosion. Die Bildfolge zeigt die nichtsphärische Verteilung von einem frühen Moment nach Einsetzen der Explosion (3,25 Sekunden) bis zu einer späten Phase (6236 Sekunden), wenn die endgültige Asymmetrie festliegt. Die Farben repräsentieren radiale Geschwindigkeiten, wobei die Farbskala für die einzelnen Bilder leicht unterschiedlich ist.

Abb. 2a:

Beobachtete Verteilung von radioaktivem Titan (44Ti, blau) und Eisen (weiß, rot) in Kassiopeia A. Das sichtbare Eisen ist vorwiegend Zerfallsprodukt von radioaktivem Nickel (56Ni). Ein gelbes Kreuz kennzeichnet das geometrische Zentrum der Explosion, das weiße Kreuz und der Pfeil geben die momentane Position und Bewegungsrichtung des Neutronensterns an.

(Bildrechte: Macmillan Publishers Ltd: Nature; aus Grefenstette et al., Nature 506, 339 (2014); Eisenverteilung mit freundlicher Genehmigung von U.~Hwang.)

Abb. 2b:

Beobachtbare Verteilung von radioaktivem Nickel (56Ni, grün) und Titan (44Ti, blau) wie sie von der 3D-Simulation einer Neutrino-getriebenen Supernova-Explosion in Abb. 1 vorhergesagt wird. Der Blickwinkel ist so gewählt, dass eine möglichst große Ähnlichkeit mit der Beobachtung von Cas A (Abb. 2a) besteht. Der Neutronenstern ist durch ein weißes Kreuz markiert und durch seine Eigenbewegung (Pfeil) gegenüber dem geometrischen Mittelpunkt der Explosion (rotes Plus) verschoben. Seine Bewegung ist entgegengesetzt zum Großteil des ausgeschleuderten 44Ti. Eisen (als Zerfallsprodukt von 56Ni) kann nur in einer äußeren, heißen Schale von Cas A beobachtet werden.

Abbn. 3a, b:

Interaktive 3D Visualisierung der räumlichen Verteilung von (a) 56Ni und (b) 44Ti in der Neutrino-getriebenen Supernova-Explosion von Abb. 1. Die Modellergebnisse sollten mit der interaktiven 3D-Karte der Beobachtungsdaten (siehe hier http://3d.si.edu/explorer?modelid=45 ) von Eisen in Cas A verglichen werden.

Die Frontansicht des Supernova-Modells ist so gewählt, dass die Ähnlichkeit mit Cas A optimal ist. Für die Computersimulation ist die gesamte Verteilung von erzeugtem Eisen und Titan gezeigt, während bei Cas A Eisen nur in einer äußeren, heißen Schale nachweisbar ist, im kalten Zentralbereich aber unsichtbar bleibt. Die drei größten Strukturen von Eisen bei Cas A entsprechen den Kappen der drei dominanten „Finger“ bei der berechneten Verteilung.

Veröffentlichung:

Wongwathanarat, A.; Janka, H.-Th.; Mueller, E.; Pllumbi, E.; Wanajo, S.

Production and Distribution of 44Ti and 56Ni in a Three-dimensional Supernova Model Resembling Cassiopeia A

ApJ 842 13

http://adsabs.harvard.edu/abs/2016arXiv161005643W

Webseite:

http://www.mpa-garching.mpg.de/447727/news20170621

HTJ

Kontakt:
Dr. H.-Thomas Janka
MPI für Astrophysik
Tel: +49 (89) 30 000 2228
Email: thj@mpa-garching.mpg.de
 
Dr. Ewald Mueller
MPI für Astrophysik
Tel: +49 (89) 30 000 2209
Email: emueller@mpa-garching.mpg.de
 
Dr. Hannelore Hämmerle
Pressesprecherin
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